RE: PSYTRANCE RAVE
Der Sex mit Haily war so anders als das, was ich bisher kannte. Wahrscheinlich lag das hauptsächlich an dem Acid in meinem Organismus, das jede Art des Körperkontakts so unglaublich intensiv machte und mich gleichzeitig so grenzenlos gut und ausgeglichen fühlen ließ, aber es war auch nicht nur das. Diese Intensität kam auch davon wie viel Zeit wir uns füreinander nahmen, wie sensibel wir miteinander umgingen, wie vertraut wir uns immer wieder in die Augen sahen. Die Kombination aus alledem ließ mich Haily so nah fühlen wie selten jemandem zuvor, tatsächlich so, als würden unsere Körper ineinander verschmelzen, als würden wir gemeinsam tief in den Boden unter unserem Rücken sinken, als wären wir Eins mit dem Wind, der unsere Haut kitzelte und dem Rauschen der Blätter, das rhythmisch so gut mit den tiefen Geräuschen harmonierte, die unsere Kehlen verließen. Ich hätte mich niemals in der Position gesehen eine solch erfüllende Erfahrung zu machen, aber ich merkte schon jetzt, mitten im Trip, wie sehr das noch mein Leben beeinflussen und verändern würde. Ich konnte das nicht genau benennen, aber irgendetwas geschah in dieser Nacht mit mir, auf das ich noch lange zurückblicken würde. Nicht nur auf den Sex, diese intensive Nähe, sondern allgemein auf diese ganz andere Wahrnehmung meiner Sinne. Die Wertschätzung meines Umfeldes.
Wie dankbar ich Haily für das alles wirklich war, das merkte ich allerdings erst, als die Wirkung der Droge in meinem Körper langsam nachließ, als wir eng umschlungen zurück zum Haus liefen und als ich sie mit meinen letzten Kräften ins Bett trug, mich neben sie auf die Matratze legte und langsam ihren Rücken streichelte. Weil ich genau in dem Moment spürte, dass das alles nicht nur eine Illusion war, die eine chemische Reaktion in meinem Körper auslöste, und dass ich danach wieder hart in die Realität fallen würde, sondern weil diese Droge mir nachhaltig die Augen öffnete. Weil die Welt mit einem Mal so anders aussah, so viel schöner, und auch nie wieder zu dem grauen, trüben Ort wurde, den ich noch am gestrigen Tag in ihr gesehen hatte.
Selbst als ich einige Tage später nach Los Angeles zu Lahja fuhr, hatte sich daran noch nichts verändert und das sorgte auch dafür, dass ich überraschend ruhig war. Wie könnte Lahja das denn nicht sehen, was ich sah? Wie könnte sie nicht fühlen, wie gut es mir gerade ging? Das Einzige, was mir Sorgen bereitete, war, dass sie diese Liebe falsch deuten könnte, die ich für Haily empfand. Ich hatte kein romantisches Interesse an ihr, war nicht verliebt in sie oder wollte mit ihr zusammen sein, zumindest nicht auf so eine nichtssagende Art, wie sie von unserer Gesellschaft vorgelebt wurde. Gewissermaßen war ich doch schon mit ihr zusammen, immer wenn wir Zeit miteinander verbrachten, immer wenn wir unsere Matratze miteinander teilten, Arm in Arm darauf einschliefen - manchmal nackt, manchmal nicht -, wenn wir Sex miteinander hatten oder uns küssten. Aber das, was wir miteinander teilten, war gleichzeitig auch die absolute Definition von freier Liebe. Wenn Haily ihre Matratze mit jemand anderem teilen wollte, dann war das in Ordnung. Wenn sie jemand anderes küssen wollte, dann sollte sie das tun. Wenn wir keine Zeit füreinander hatten, war das auch gut. Wir erwarteten voneinander nichts, aber gaben gleichzeitig alles, indem wir uns uneingeschränkt öffneten. Das war anders als alles, was ich bisher kannte, und insbesondere anders als das, was Lahja und ich bisher miteinander geteilt hatten. Das machte die Beziehung zu ihr nicht weniger wichtig für mich oder weniger wertvoll, das musste ich ihr auch unbedingt sagen und zeigen, aber es eröffneten sich neue Welten. Ganz neuartige Emotionen. Und es machte mich nervös, dass Lahja wohlmöglich nicht nachvollziehen könnte, weshalb ich so glücklich war.
Und genau das merkte ich auch sofort, als ich aus dem Bus ausstieg und in die eigentlich so vertrauten Augen meiner Freundin sah, in denen auf einmal so viel Skepsis und Angst lag. Ich spürte es daran, wie verkrampft und unsicher sie mich umarmte, obwohl sie sich Mühe gab das nicht zu tun und mich nicht zu verurteilen. Das alles steckte trotzdem in ihr. Doch anstatt, dass ich mich wie so oft von ihr distanzierte und ihr den nötigen Raum gab, um sich wieder zu beruhigten, zeigte ich ihr diesmal mehr denn je, wie sehr ich sie schätzte. Und unsere Beziehung. Immer wieder nahm ich sie in den Arm, hielt ihre Hand fester in meiner als üblich oder sah ihr länger in die Augen, als sie es von mir kannte. Darüber hinaus verschwieg ich nichts vor ihr, sondern sprach alles aus, was mir durch den Kopf ging. Ich sagte ihr, wie sehr sie mir gefehlt hatte, wie schön sie heute aussah, dass ich froh war bei ihr zu sein. Und als wir etwas später auf einer Mauer am Strand saßen, als Lahja ihren Mut zusammen nahm und mich nach der Frau fragte, über die ich am Telefon mit ihr gesprochen hatte, redete ich auch darüber ganz offen und frei. Ich erzählte ihr mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht von dem Hardcore-Konzert, wie Haily dort vor Angst auf die Theke geflüchtet war, und auch wenn das so völlig gegen das ging, was wir bisher vereinbart hatten, sagte ich meiner Freundin sogar, dass sie die blonde junge Frau mal kennen lernen müsste. Weil sich auch dahingehend Dinge in mir geändert hatten. Das war sicher etwas, was Lahja und ich noch miteinander diskutieren müssten, aber ich wollte über Haily mit ihr reden. Und ich wollte auch von Zac hören. Ich wollte alles wissen, was Lahja tat und was sie glücklich machte. Es beängstigte mich jetzt auch nicht mehr Lahja und Zac miteinander zu sehen oder mir vorzustellen, wie die beiden sich näher kamen, viel eher wollte ich auch ihn besser kennen lernen und mich selber davon überzeugen, wie gut er für meine Freundin war. Das konnte ich von einem Tag auf den Nächsten zwar nicht von ihr erwarten, das wusste ich auch, aber trotzdem sagte ich ihr all diese Dinge, damit sie sich darüber Gedanken machen konnte.
Und dann erzählte ich ihr von der Psytrance Party im Wald, von dem LSD, das ich genommen hatte, und ich führte weit aus, wie anders die Welt seitdem aussah. Ich redete nicht nur von Haily, sondern auch von ihrer Freundin, die noch dabei gewesen war, und zu meiner eigenen Überraschung versank ich dabei auch jetzt noch nicht in Scham, sondern berichtete Lahja bereitwillig von dem Sex. Von dieser ganz anderen Körperwahrnehmung. Während ich das tat fühlte es sich jedoch tatsächlich so an, als würden sich meine Sorgen bestätigen. Als könnte sie nicht differenzieren zwischen der Liebe, die ich für Haily empfand, und der Liebe, die ich für sie empfand, und deshalb versuchte ich ihr auch das zu erklären. Ich sagte ihr, dass die Gefühle für Haily nicht einmal ansatzweise das schmälerten, was Lahja in mir auslöste. Im Gegenteil sogar. Ich glaubte, dass ich sie seit dieser Erfahrung nur noch viel mehr lieben könnte, viel intensiver, viel reiner, viel offener. Dass wir zusammen gehörten, dass wir glücklich miteinander werden könnten. Zumindest, wenn sie sich vor alledem nicht so verschloss. Wenn sie sich vor mir nicht verschloss. Und obwohl jetzt noch keiner von uns wissen konnte, ob das tatsächlich so funktionierte und ob Lahja sich mir ebenfalls so öffnen könnte, fühlte sich mein Herz danach viel leichter und freier an.
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