RE: FIGHT CLUB
Ganz bewusst hielt ich mich im Moment von beiden Frauen fern, von Lahja und auch von Nele, weil ich seit Jahren wieder das Gefühl hatte die Kontrolle über mein Leben würde mir entgleiten. Das äußerte sich nicht nur darin, dass ich meine Emotionen für sie beide nicht recht deuten konnte, sondern hatte ebenso damit zutun, dass ich die Wohnung aufgeben musste, nach einer neuen, günstigeren Unterkunft Ausschau hielt und auch mein Studium mir immer mehr Probleme bereitete. Dadurch, dass Lahja und ich das Training noch nicht wieder aufgenommen hatten, konnte ich an meiner Arbeit nicht weiter schreiben, aber das war nicht einmal alles. Gerade jetzt nahmen mich die Schuldgefühle darüber völlig ein, immer wieder blätterte ich in meinen Unterlagen oder las die bisherigen fertig gestellten Untersuchungen durch und fragte mich dabei, ob ich nicht wirklich einen Schritt zu weit ging. Ob ich ihr Vertrauen in mich wirklich so missbrauchen wollte, denn wenn diese Arbeit einmal abgegeben war, dann war sie auch für jeden ersichtlich. Dann konnte Lahja alles lesen, was über sie darin stand, wenn sie das denn wollte. Niemand würde wissen, dass es dabei um sie ging, weil ihr Name nirgends erwähnt wurde, aber da standen so persönliche und private Details in meinen Niederschriften - ich war mir fast sicher, dass sie danach nie wieder mit mir reden würde. War es das wirklich wert? Aber was war denn die Alternative? Noch einmal von vorne anfangen? Und dadurch noch ein oder zwei Semester anhängen? Wäre das überhaupt möglich, nachdem ich jetzt nicht mehr die finanzielle Unterstützung von Neles Eltern im Rücken hatte?
All das zerrte so sehr an meinen Nerven, dass ich momentan für mich selber mehr trainierte, als jemals zuvor. Wenn ich morgens aufwachte war ich schon zum Zerreißen angespannt und musste erst einmal eine Stunde durch die Stadt rennen, egal bei welchem Wetter, um sicher zu gehen, dass sich diese negativen Gefühle nicht wieder in mir anstauten und irgendwann explosiv aus mir heraus kamen. Eigentlich hatte ich schon seit Jahren einen festen Wochenplan, nach dem ich mich sportlich betätigte, aber innerhalb der letzten Tage hatte ich das Pensum locker verdoppelt, um mit all dieser Wut und Verzweiflung in mir fertig zu werden, ohne mich selber oder andere in Gefahr zu bringen. Ich versuchte zwar weiterhin verbissen meinen Tag penibel durchzuplanen, weil ich die Erfahrung gemacht hatte, dass mir das am Besten half, um die Kontrolle über mein Leben halten zu können, aber immer wieder musste ich davon abweichen, da ich das Gefühl hatte keine Sekunde länger am Schreibtisch oder in der Universität sitzen zu können. Stattdessen trainierte ich dann nur noch mehr. Natürlich ging ich deshalb im Moment auch öfter als üblich zu den Kämpfen, entweder um mich selber in den Ring zu stellen und der Reihe nach meine Gegner ins K.O. zu befördern, aber auch, um mir einfach nur die Kämpfe von Anderen anzusehen. Es fühlte sich so an, als könnte es mir schon helfen einfach diese Brutalität zu sehen, den Schweiß zu riechen, die Anspannung zu spüren, selbst das war schon wie ein Ventil für mich.
Heute ging ich ebenfalls nur zu dem Club, in dem ich normalerweise mit Lahja trainierte, um diese Atmosphäre in mir aufzunehmen, nicht um selber zu boxen. Etwas später als üblich kam ich dort an, weil ich bis gerade eben noch am Schreibtisch gesessen und mich durch Rechnungen gewühlt hatte, die ich nicht bezahlen konnte, und begrüßte oben vor dem Eingang ein paar andere Männer, die ich kannte, ehe ich direkt durch die Tür hinein ging. Zwei weitere kamen mir auf der Treppe entgegen und amüsierten sich lauthals darüber, dass das Mädchen, das unten im Ring stand, ihre Gegnerin gerade völlig auseinander nehmen würde, aber dem schenkte ich kaum Beachtung. Frauen waren hier zwar selten, aber ich rechnete nicht damit, dass es sich um Lahja handeln könnte, solange wir noch nicht soweit waren. Solange ich ihr nicht das Okay gab. Und Nele erwartete ich hier noch weniger. Doch als ich dann tatsächlich unten in dem dunklen Raum ankam sollte ich jäh eines Besseren belehrt werden.
Als Erstes erkannte ich Lahja im Ring, diesen wütenden und zerstörerischen Blick in ihren Augen, der nur auf ihre Gegnerin fixiert war, und blieb erschrocken stehen. Sie war nicht bereit dafür, das war auch das Erste, was mir durch den Kopf ging. Sie konnte sich nicht kontrollieren, das machte sie schwach in ihrer Verteidigung und unachtsam, deshalb presste ich auch angespannt meine Kiefer aufeinander und spürte die Wut in mir aufsteigen, darüber, dass sie das hier tat, ohne mit mir zu reden. Aber das hielt nur so lange, bis ich erkannte gegen wen sie dort kämpfte und wer diese harten Schläge von ihr chancenlos einstecken musste. Nele?! Mein Verstand setzte mit einem Mal völlig aus, wütend und panisch zugleich schob ich mich durch die Zuschauer hindurch und brach damit eine der wenigen, aber wichtigsten Regeln dieser Kämpfe: Niemand mischte sich ein, bis ein Kampf nicht vorbei war. Dementsprechend hatte die Wut und Unzufriedenheit der Anwesenden zweifellos auf meiner Seite, als ich mich mitten zwischen die beiden stellte, den Rücken schützend in Richtung der deutlich schwächeren Nele gewandt und den Blick auf Lahja gerichtet. "Hör auf! Es reicht!", schrie ich ihr wütend entgegen und nutzte gleichzeitig meine Arme, um sie von mir, aber vor allem auch von Nele weg zu stoßen. Unsicher, ob die beiden überhaupt eine Ahnung davon hatten, gegen wen sie hier eigentlich kämpften.
ZACHARY WILLIAM COLES # 28 YEARS OLD # STRAIGHT EDGE
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