RE: SHOWDOWN
Im ersten Moment schien alles so normal, wie Summer mit ihrer Kleidung auf dem Arm im Badezimmer verschwand, nicht ohne mir ihr umwerfendes Hinterteil mit der richtigen Hüftbewegung noch ausgiebig anzupreisen. Wie ich trotzdem seelenruhig in der Tür stehen blieb, mit der Zigarette in meiner Hand und einem Lächeln auf den Lippen, darauf wartend, dass der Glimmstengel bis zum Filter hinab gebrannt war und ich ihr endlich in die Dusche folgen konnte. Aber noch während sich in meinem Kopf detaillierte Szenen davon abspielten, auf welche Art ich diesmal ihren Körper auseinander nehmen wollte, hörte ich ein Geräusch, das ich nicht kannte. Und das mir nicht gefiel. Das laute Rattern eines startenden Motors übertönte das Wasser in der Dusche und sorgte augenblicklich dafür, dass sich mein gesamter Körper verspannte, die Kippe unachtsam auf den Boden fiel und ich ins Badezimmer hinein stürzte, um genau das vorzufinden, was sofort meine schlimmste Befürchtung gewesen war. Scheiße. Auf der Toilette balancierten einige Gegenstände, die Summer geholfen hatten das Fenster zu erreichen. Genau das Fenster, hinter dem unser Auto stand. Diese verfickte scheiß Hochzeit und diese verdammt leichtfertige, dumme Frau. Immer wieder fluchte ich laut, während ich wieder in unser Zimmer lief, nach meiner Jacke griff und in den Taschen nach dem Schlüssel des Autos suchte, aber tatsächlich. Summer war tatsächlich weg, mit meinem Wagen, heimlich. Ohne auch nur an ein Oberteil oder an Schuhe zu denken rannte ich aus der geöffneten Tür hinaus, umkreiste das Gebäude, stürzte dorthin, wo eigentlich das Auto stehen musste, aber nichts mehr. Außer Reifenspuren im Schotter war in dieser verdammten Einöde nicht einmal ein anderes Auto zu erkennen, das ich mir kurzerhand hätte leihen können, um Summer noch rechtzeitig aufholen. Und mir blieb nichts anderes übrig als laut fluchend diese eigentlich so beruhigende Stille zu durchbrechen und zurück zu unserem gemieteten Zimmer zu laufen.
Das Erste, was ich tat, war natürlich sofort zu meinem Handy zu greifen und so ziemlich den einzigen Freund anzurufen, den ich in Los Angeles hatte und der mich bisher über alles auf dem Laufenden hielt. In knappen Sätzen erklärte ich ihm, dass er kommen musste oder mir anders ein Auto besorgen sollte, ohne überhaupt meine Worte einmal zu durchdenken und mich daran zu erinnern, was das für ein Risiko darstellte. Das tat er dann allerdings, indem er sich vehement weigerte nach Santa Barbara zu fahren, um mir zu helfen. Nicht für eine Frau, die anscheinend einen Hang zur Dramatik hatte. Oder tatsächlich lebensmüde war, eins von beidem. Er ging schwer davon aus, dass Brooke ihn tatsächlich beschattete und er würde mir nicht helfen, nicht für sowas. Genau das musste er allerdings mehrmals gegen meine wütende, bestimmende Stimme laut anschreien, bevor ich einfach den Hörer auflegte und ihm somit die Sätze im Mund abwürgte. Verdammte Dreckscheiße. Wie ein Irrer lief ich im Zimmer auf und ab, verzweifelt auf der Suche nach einer rettenden Idee, nach sowas wie einem Plan, aber es kam nichts. Gar nichts. Und irgendwann war ich allein von der Anspannung so ermüdet, dass ich erst einmal tief durchatmete, mir selber einredete, dass es an der Zeit war einen klaren Kopf zu bekommen, und mich auf das Bett setzte. Wusste ich denn mit Sicherheit, dass Summer zu der Hochzeit fahren würde? Nach Los Angeles? Oder war sie vielleicht nur unterwegs, um ein paar Einkäufe zu erledigen? Schwachsinn, das würde sie nicht so tun. Nicht heimlich. Es gab keinen Zweifel an dem Ziel ihrer spontanen Spritztour, die einzige Frage war also, wie ich dorthin kommen würde. Taxi? Keine Option, all mein Bargeld, das ich besaß, war in diesem verdammten Auto. Mir spontan ein Auto zu mieten fiel also auch raus. Ebenso wie Bus, Bahn oder andere öffentliche Verkehrsmittel. Mir blieb nur meine Waffe und meine Erinnerungen an den New Yorker Untergrund, der mir beigebracht hatte die Tür eines Autos auch ohne Schlüssel zu knacken. Doch am hellichten Tag? Viel zu gefährlich, gerade in einer Kleinstadt wie dieser und während ich noch immer auf der Flucht vor den Behörden war. Ich verbrachte bestimmt eine geschlagene Stunde damit all meine Optionen erneut zu durchdenken und den sichersten, aber gleichzeitig auch effektivsten Plan herauszufiltern, aber das war er. Wenn es dunkel wurde, dann konnte ich mir ein Auto öffnen und so schnell wie möglich nach Los Angeles fahren. Ich wusste, dass die Hochzeit am Strand stattfinden würde, darüber hatten wir gesprochen. Venice Beach, das wusste ich auch. Dann musste ich die Veranstaltung dort nur noch finden und Summer mit mir nehmen, bevor Brooke das tat. Wenn Brooke tatsächlich da war, dann würde sie sich auch nicht in den frühen Nachmittagsstunden eingreifen. Viel zu gefährlich.
Den restlichen Nachmittag verbrachte ich damit mir selber einzureden, dass ich völlig übertrieb. Dass Los Angeles eine große Stadt war und Brooke niemals Summer dort finden würde. Dass selbst Brooke sie nicht auf dieser Hochzeit erwarten würde, auch wenn sie die sozialen Kontakte von Summer ebenfalls beschattete. Wer war denn auch so dumm und lieferte sich freiwillig so aus? Niemand. Eigentlich. Es sei denn man hieß Summer und hatte tatsächlich einen solchen Hang zur Gefahr. Erst um Punkt 20 Uhr, das war die Deadline, die ich mir selber schon vorher gesetzt hatte, erhob ich mich wieder von dem Bett, wechselte von der Jogginghose in eine Jeans, zog mir meinen Hoodie über, die Schuhe an meine Füße, steckte den Lauf der Waffe in den Hosenbund am Rücken und sah dann nochmal um mich. Handy, Portemonnaie, Schlüssel, mehr nahm ich nicht mit.
Die Suche nach einem geeigneten Auto war nicht besonders schwer, ungefähr jeder eher unauffällige Wagen, der vor den 2000er Jahren gebaut wurde, kam infrage. Genau diese Autos waren spielend leicht zu knacken. Ich bog nur in eine Seitenstraße ab, steuerte dort einen silbernen Ford Baujahr 1996 an und holte zwei metallische kleine Werkzeuge aus meinem Portemonnaie, mit denen ich in Sekundenschnelle den Wagen geöffnet hatte. Mit ein wenig Gewalt entfernte ich die Verdeckung unter dem Lenkrad, im Fußraum, kappte gekonnt zwei Kabel, führte sie aneinander und startete durch einen Kurzschluss so den Motor des Wagens. Das hätte ich schon so oft getan, das würde ich selbst blind hinkriegen, deshalb war ich bis zu diesem Zeitpunkt auch noch völlig entspannt. Zumindest so entspannt wie man in so einer Ausnahmesituation eben sein konnte. Zusätzlich redete ich mir selber aber auch ein, dass Brooke definitiv versuchen würde mich telefonisch zu erreichen, wenn Summer in ihrer Gewalt war, und solange sie das nicht tat, hatte ich nichts zu befürchten. Hoffentlich. Durchgehend so weit wie möglich über der Geschwindigkeitsbegrenzung wie ich mir leisten konnte, ohne dabei zu riskieren von der Polizei angehalten zu werden, fuhr ich die Strecke von Santa Barbara zurück nach Los Angeles. Etwa zwei Stunden war ich unterwegs, bevor ich in Richtung des Venice Beach abbog und dabei gleichzeitig auch merkte, wie mein Herzschlag sich immer mehr beschleunigte. Es würde alles gut, versuchte ich mich selber immer wieder zu überzeugen. Kein Drama. Nichts würde passieren. Und genau danach sah es auch erst aus, als ich den Wagen unachtsam am Bürgersteig vor der Strandpromenade abstellte und genau dort auch ausstieg. Auch wenn sich abends immer einige Leute hier aufhielten, würde eine Hochzeit doch auffallen. Vermutlich wäre sie nicht mitten im Trubel des Geschehens, sondern ein wenig außerhalb, am Rande, wo sie nicht von Ordnungsämtern oder Touristen gestört wurden. Und auch damit sollte ich Recht behalten. Ich musste wirklich nicht lange suchen, ehe in etwas Entfernung ein großes Lagerfeuer erspähen konnte, viele ausgelassene Gäste und darunter auch einen großen Bogen aus Blumen, Treibholz und Ästen, der wohl den Altar mimen sollte. Das musste es sein. Und weil ich keine Zeit zu verlieren hatte, lief ich auch sofort schnellen Schrittes darauf zu, nur darauf fixiert Summer schnell von dort weg zu zerren und wieder zu verschwinden. Das änderte sich dann jedoch, als mir zwei junge Menschen entgegen kamen, denen ich eigentlich nur für einen kurzen Moment meine Aufmerksamkeit schenkte, weil das Mädchen laut lallte und sich kaum selber auf den Beinen halten konnte. Der Junge, der sie begleitete, war dann allerdings derjenige, der mich so schockte, dass ich plötzlich alles um mich herum vergaß. Diese dunklen Augen, die man in der Dunkelheit nur erahnen konnte, sein Gesicht, seine Statur und allem voran diese offensichtlichen Tätowierungen, die ich mir schon hundert Mal auf unterschiedlichen Mugshots von ihm angesehen hatte. Eigentlich sollte dieser Junge nicht mehr in meinem Leben existieren, ich hatte mich nie darauf eingestellt ihn jemals wieder zu sehen, aber hier war er, einfach so. Lief mir im Sand entgegen und hob ebenfalls kurz den Blick in meine Augen. Die kurze Sekunde, in der ich meinem Bruder nach all den Jahren direkt in die Augen sah, fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die trotzdem viel zu schnell vorbei zog, denn im Gegensatz zu mir hatte dieser Junge keine Ahnung, wer ich war. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, dass ich existierte. Und ich war auch nicht dabei das zu ändern, nicht so und vor allem nicht jetzt. Aber dennoch, irgendwas geschah in diesem Moment mit mir, das sich noch verheerend für alle auswirken würde. Ich verlor meinen Fokus, meine klaren Gedanken, ich verlor sogar meinen eigentlich bis ins letzte Detail ausgefeilten Plan, weil ich ständig sein Gesicht vor Augen hatte. Innerlich spürte ich das und ich wusste auch, dass es klüger wäre mich einfach umzudrehen und wieder zu gehen, um wenigstens noch meinen Hintern zu retten und Summer einfach ihrem Schicksal zu überlassen, aber das tat ich nicht. So oft ich diese Option heute schon in Erwägung gezogen hatte, das konnte ich nicht. Es war mir physisch und psychisch einfach nicht möglich diese Frau an Brooke auszuliefern, warum auch immer, und zumindest über diesen Gedankengang fand ich meine Entschlossenheit wieder. Aber der Schock über das Gesicht meines Bruders blieb nicht der Einzige an diesem Abend, viel eher folgte direkt der Nächste, als ich mich der Feier näherte, zwischen all den Menschen nach Summer suchte, aber letztendlich an den Augen von jemand ganz Anderem hängen blieb. Wie hieß er noch gleich? Marc. Oder Matt. Der Freund von Madison. Aber anscheinend nicht nur das, sondern seinem Aussehen nach zu urteilen auch eine der Hauptpersonen dieser Veranstaltung und damit der Bräutigam. Summer hatte diesen Namen mal in den Mund genommen, aber von Männern namens Matt oder Marc gab es viele. Verdammte Scheiße. In dem Moment, in dem unsere Blicke einander trafen, verhärtete sich der Ausdruck in seinem, sein Körper spannte sich an und wenn es nicht so dunkel wäre, dann hätte ich vermutlich auch erkennen können wie sich seine Hautfarbe vor Wut rot färbte. Das spürte ich sogar über die paar Meter Distanz hinweg, die uns noch voneinander trennten, aber die er jetzt entschlossen durchbrach, um auf mich zu zu gehen. Sofort hob ich abwehrend meine Hände hoch und schüttelte den Kopf, noch ehe er etwas sagen konnte. "Ich bin sofort wieder weg, ich muss nur jemanden abholen. Summer. Ist Summer hier?" Vielleicht war es dumm eine gesittete Antwort von ihm zu erwarten, stattdessen trafen mich seine Hände, die so hart gegen meine Brust schlugen, dass ich ein paar Schritte zurück taumelte. Was willst du hier? Woher weißt du von der Hochzeit? Dreh dich sofort um und hau ab oder sich sorge dafür, dass das passiert, verließ hart seine Lippen, aber nein. Nicht so kurz vor meinem Ziel. Ich brachte zwar wieder ein wenig Platz zwischen uns, hielt auch noch immer meine Hände entschuldigend erhoben, aber ich ging nicht. "Summer. Sag mir nur, wo Summer ist", forderte ich ihn erneut auf, doch als er meiner Bitte nicht nachkam, rief ich einfach den Namen laut in die Menge. Mehrmals. Bis Matt mich zum Schweigen brachte, indem er seine Faust gegen meinen Kiefer schlug. Ich hab dich nicht geschlagen, nachdem du meine Frau gefickt hast, aber ich tu es jetzt. Viel zu gerne. Von mir aus auch immer wieder. Also verpiss dich, du verdammtes Arschloch, oder du wirst es bereuen. Während ich noch damit beschäftigt war meinen Kiefer in verschiedene Stellungen zu verrenken, um zu überprüfen, ob alles noch funktionierte, kamen zur selben Zeit wohl ein paar Freunde von Matt zur Hilfe, die sich neben ihm aufbauten, um mir zu demonstrieren, dass es an der Zeit war zu gehen, aber nein. Immer noch nicht. Keine Chance. Stattdessen rief ich noch einmal lauthals nach Summer.
CHARLES LUCAS THOMPSON # 34 YEARS OLD # CRIMINAL
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