RE: LAHJA # MATT
Obwohl ich mich gedanklich schon darauf vorbereitet hatte, traf mich der harte Schlag ihrer Hände doch so unerwartet, dass ich zwei Schritte zurück taumelte und ich sofort entschuldigend meine Handflächen in ihre Richtung streckte. Bloß entschuldigend allerdings, nicht abwehrend oder schützend, denn egal wie wütend Kilian oder Lahja sich mir gegenüber verhielten, ich würde niemals Angst vor ihnen haben. Vielleicht war das naiv, allem voran deshalb, weil ich in der Vergangenheit bereits mehrfach Bekanntschaft mit Kilians Faust machen durfte, aber ich glaubte zu sehr an das Gute im Menschen. Vor allem in denen, die ich bereitwillig so nah an mich heran ließ und als meine Familie bezeichnen würde. Wie sollte ich denn jemals wieder normal mit ihnen umgehen, wenn ich auch nur einmal zuließ, dass ich mich aus Angst anders ihnen gegenüber verhielt? Das würde einfach nicht passieren. Und während Lahja mich geschockt anstarrte, völlig überfordert von ihrer gewaltsamen Reaktion, drückte ich deshalb auch bloß meine eigene Hand auf meine Brust, rieb einmal darüber und tat das Ganze mit einem "Autsch, das tat weh" ab. Wenigstens hatte ich dadurch erreicht, dass meine Nichte es doch schaffte sich zu öffnen, ganz langsam und sehr widerwillig, aber immerhin. Und weil ich dadurch nur immer mehr verstand, worauf das Ganze hier hinauslief, atmete ich einmal tief durch, ging wieder zwei Schritte auf sie zu, aber anstatt Lahja diesmal erneut zu berühren, ließ ich mich neben ihr in den Sand sinken. Das war schließlich nicht mit ein paar Worten erledigt, da steckte viel zu viel hinter. "Du kannst dich setzen, wenn du möchtest. Musst du aber nicht." Dennoch klopfte ich zwei Mal mit der Hand in den Sand neben mir, sah kurz von unten zu ihr herauf, aber winkelte dann meine Beine etwas an und legte meine Arme auf den Knien ab. Für Lahja oder ihren neurotischen Vater mochte es unheimlich schwierig sein eine Auseinandersetzung nicht auf Augenhöhe austragen zu können, aber ich hatte absolut kein Problem damit, dass meine Nichte mich gerade körperlich so überragte. Um ehrlich zu sein, über so etwas hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
"Das ist alles nicht so simpel, Lahja", begann ich ruhig, den Blick gen Meer gerichtet, aber bevor ich weitersprach, nahm ich mir ein paar Sekunden, um erst einmal über ihre Fragen nachzudenken. Um die Antworten darauf in meinem Kopf zu ordnen, denn wirklich bewusst hatte ich bisher keinen Gedanken daran verschwendet, weshalb wir beide uns so selten sahen. "Erst einmal, ich glaube nicht, dass das nur eine einseitige Sache ist. Wenn du dich erinnerst, du warst vor ein paar Monaten diejenige, die mich wochenlang gemieden hat, weil ich mit Kilian über deine Essstörung sprechen musste. Und wegen der Sache mit Chris. Was verständlich ist, keine Vorwürfe, ich wollte es nur anmerken. Und dann, nachdem Noah sich von dir getrennt hat, warst du in einer Phase, wo wieder keiner an dich heran gekommen ist. Egal, was wir getan hätten, dich hätte es nicht interessiert. Und dann warst du sechs Monate einfach wie vom Erdboden verschluckt. Ich meine, ich kann es verstehen, ja. Weshalb du niemanden sehen wolltest. Wehe Kilian erfährt jemals, dass ich das gesagt hab, aber ich kann- nachvollziehen, warum du dich dem nicht aussetzen wolltest. Aber bei mir? Was hätte ich dir getan, Lahja? Wovor hattest du denn bei mir Angst? Dass ich dir auch Vorwürfe mache?" Ich sah kurz von unten zu ihr herauf, zog dabei meine Schultern ein wenig zusammen, aber wandte mich dann doch wieder an das Meer. "Das war für mich auch verletzend. Ich steck sowas immer- ganz gut weg, aber meinst du nicht, dass ich mich während dieser Zeit auch ständig gefragt hab, wie du so desinteressiert an uns sein kannst, dass du dich einfach- sechs Monate nicht meldest? Ich hab dir dafür nie Vorwürfe gemacht, das will ich auch jetzt nicht. Das war eine Ausnahmesituation und es ist in Ordnung für mich, wenn du sagst, dass du es einfach nicht geschafft hättest uns dort im Gefängnis gegenüber zu sitzen. Das ist okay. Aber deshalb- meinst du nicht, dass das Gleiche auch für mich gilt? Anstatt mir Vorwürfe zu machen - meinst du, du könntest vielleicht mal versuchen dich in meine Lage zu versetzen? In meine Ausnahmesituation?" Wieder hob ich meinen Blick kurz in Lahjas Gesicht, doch durch die Dunkelheit konnte ich in ihrer Mimik nicht erkennen, ob ich sie gerade mit meinen Worten erreichte. "Mir ging es in den letzten Monaten wirklich nicht gut und ich glaube das war tatsächlich die schlimmste Zeit, die ich je durchmachen musste. Madisons Krankheit, dann- die Fehlgeburt, die ganze Zeit danach. Wusstest du, dass Madison auch einfach drei Wochen abgehauen ist? Ohne mir zu sagen, wohin?" Das war für mich noch immer so absurd und verletzend, dass ich langsam den Kopf darüber schüttelte. "Da war wirklich- verdammt viel los in den letzten Monaten und ja, vielleicht bist du darüber zu kurz gekommen. Und das tut mir Leid. Aber das hat nichts damit zutun, dass ich mich nicht für dich interessiere oder dass andere wichtiger sind, Lahja. Ich hatte nur einfach das Gefühl- du brauchst mich im Moment nicht unbedingt. Kilian hat mir immer wieder erzählt, wie gut es dir geht. Von diesem Training, das du machst, und von dem Geld, dass du ans Jugendzentrum gespendet hast. Dass du da sogar ehrenamtlich arbeitest. Wie gut es im Moment mit deinem Vater klappt, obwohl ihr wieder auf engstem Raum zusammen wohnt. Dass du wieder mit Noah zusammen bist. Das macht mich alles so glücklich und stolz und ich dachte einfach- du bräuchtest im Moment kein Aufmunterungsprogramm von Onkel Matt. Während gleichzeitig- Jamie und Madison mich wirklich gebraucht haben. Maddi und ich, wir mussten einfach wieder mehr Zeit miteinander verbringen, um- uns zu retten. Ich glaube wir mussten zeitweise ganz neu lernen, dass wir einander brauchen. Und Jamie- wen hat sie denn sonst? Weißt du, warum ich auf dem Weg nach San Francisco war, als du mich angerufen hast? Weil sie im Krankenhaus lag. Nach einem schweren Autounfall. Den sie irgendwie teilweise sogar selber zu verantworten hatte. Ich war doch der Einzige, der ihr helfen konnte, Lahja. Und es tut mir wirklich Leid, dass ich dich hinterher nicht angerufen hab, um zu fragen was los ist. Und dass ich nicht für dich da war, während ganz offensichtlich -" Mit meiner geöffneten Hand deutete ich hinter mich, in Richtung der Feier, wo sie heute Abend schon für zwei Konflikte die Verantwortung tragen musste. "- bei dir alles mal wieder auf dem Kopf steht. Aber, Kleines, glaubst du wirklich du bist für mich weniger Familie, als alle anderen? Oder dass ich dich aus irgendetwas ausschließen will? Das ist doch Schwachsinn, Lahja. Ich liebe dich mehr als mich selbst - und das heißt einiges. Du wirst immer meine Familie sein, aber ja, wir sind jetzt nicht mehr nur zu dritt. Das ist jetzt nicht mehr Kilian, Matt und Lahja gegen den Rest der Welt. Aber für dich doch auch nicht. Wird Noah nicht langsam auch ein bisschen Teil deiner Familie? Oder- dieser Zac?" Weil ich es einfach nicht verhindern konnte, zog sich ein schiefes Grinsen über meine Mundwinkel, als ich noch einmal zu Lahja aufsah. Zumindest bei mir entspannte sich die Situation dadurch auch ein wenig und ich schüttelte erneut den Kopf. "Und ob du es willst oder nicht, du bleibst auch immer mein Kleines, also spar dir deine Energie und ärger dich lieber über andere Dinge."
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
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