RE: TIJUANA
Haily hatte keinen Plan, wie lange sie hier bleiben würde. Sie wusste nicht, wann ihre Grenzen erreicht wären. Als sie gehört hatte, wo Aiden steckte, war ihr einziger Gedanke gewesen, zu ihm zu fahren und das ohne zu Wissen, was sie von ihm wollte. Ihm Vorwürfe machen? Ihn ausfragen, wie er ihr das antun konnte? Haily dachte darüber natürlich nach, sie zweifelte mehr an seinen Gefühlen zu ihr denn je aber dann hatte sie ihn gesehen und sie konnte halt nicht aus ihrer Haut. Sie war eben wer und wie sie war. Ihr Herz schlug zu schnell, als sie Aiden wieder sah und sie hing so sehr an ihm. Vorwürfe hätten demnach keinen der beiden weiter gebracht und sie wusste doch, sie würde auf dem direkten Weg keine Antwort bekommen, warum er dazu in der Lage war, sie erneut so hängen zu lassen. Die Antwort wäre wahrscheinlich so simpel wie schrecklich, das Kokain war es. Haily war tief Verletzt darüber, dass ihr Lachen und ihr Herz, ja ihr Glück ihm so gleichgültig waren und vielleicht kam daher der Gedanke, sich ebenso zu Grunde zu richten wie er. Vielleicht erhoffte sie sich zu verstehen, wieso sie gegen das Kokain nicht gewonnen hatte. Wieso er es mehr lieben konnte als sie. Mochte sein, dass auch der Gedanke da war, ihm zeigen zu wollen, wie Schmerzhaft es war, mit anschauen zu müssen, wie ein geliebter Mensch sich so selbst zerstörte aber wer sagte ihr denn, dass sie genau so eine Rolle in seinem Leben spielte wie er in ihrem? Haily hatte vieles über sich ergehen lassen und sie hatte ihn immer wieder in Schutz genommen, vor allem und jedem, dass würde sie auch jetzt noch – weil sie verliebt war und weil sie wusste, wer Aiden noch sein konnte aber er hatte sie so schrecklich oft belogen. Er hatte das getan, was sie am meisten gebeten hatte, ihr nicht wieder an zu tun und einfach zu verschwinden. Noch weniger mochte sie die Emotionen, die in ihr hoch krochen, wenn sie begann sich mit Lucy zu vergleichen oder eher sich bewusst zu werden, sie würde nie so einen Hohen Stellenwert in seinem Leben bekommen und deswegen würde er sich nicht ändern – weil sie nicht genügte. Haily war kein Mensch, der gerne solche Gedanken hegte und eigentlich versuchte sie sich dann einfach in ihrer Liebe für sich selber oder ihrem Leben aufzufangen aber diesmal war da etwas anders und weil es nur einen Weg gab, mit einer Trennung oder eine Liebe abzuschließen, nämlich alles verrückte tun, was das Herz verlangte, stieg sie auf seine eigen Zerstörung ein und begünstigte die gemeinen Gedanken damit nur in ihrem Kopf. Der blonde Hippie ertrug eine Menge, wenn sie sich in sich und mit sich Wohl fühlte – ihre Welt hatte sie in Kopf, Herz und Seele immer bei sich aber Kokain war eine der Drogen, die am meisten an den Grundfesten des Charakters eines Menschen rüttelten. Dieser Arroganz und Futter fürs Ego Effekt, der blieb bei ihr aus, das hatte bei einer Person wie Haily noch nie angeschlagen. Für sie war alles und jeder auf der Welt gleich und auch jetzt würde sie nie denken, sich gegenüber jemand anderem erhabener zu fühlen und auch wenn sie in der ersten Nacht extremer Tanzte und verrückter, mit größeren Augen, die Bässe um sich herum genoss, dann wartete da am nächsten Tag weniger auf sie. Ihr Körper war ihr wichtig, ihre Ruhe, ihr Schlaf – auch wenn man das so nicht dachte bei der aufgedrehten Person, sie hatte ein perfektes Zusammenspiel zwischen Körper und Geist geschaffen und gerade zerschlug sie das alles. Manchmal machte ihr ein Schwindelgefühl zu schaffen, das machte ihr Angst. Mal das schnelle und harte pochen ihres Herzens, auch das führte zu Panik und wenn sie dann nur weiter künstlich wach hielt, dann arbeitete sie gegen sich selber und das ging eigentlich so sehr dem entgegen, was sie auszeichnete. Wenigstens ließen sich Aidens Attacken, sein Anschreien und seine verletzenden Worte gegen sie mit dem Kokain aushalten. Manchmal, wenn es zu schlimm wurde und sie danach aus seinem Sichtfeld verschwand, wenn sie gerade runter kam, war Haily auch schon die ein oder andere Träne über die Wange gerollt aber noch immer wollte sie ihm auch kein schlechtes Gewissen machen oder viel mehr sein Leben nur noch schwerer. Haily war doch die Starke von den beiden. Sie war hier, weil sie hier sein wollte. Er hatte das Recht gemein zu sein, weil sie ihm wieder gegen seinen Willen nach lief und sie wartete doch nur auf ein Zeichen aus ihrem inneren, wann sie das hier beenden müsste – oder ob das hier vielleicht in einer Romanze mit zwei Drogentoten endete? Haily liebte ihr Leben aber nur wenn sie es so lebte, wie es sie leitete und wenn sie nun aufggeben würde, würde sie ihr Leben nur noch halb verbringen weil ein Teil wäre genau hier geblieben, bei Aiden, in dieser Phase und sie war dazu nicht bereit. Haily wollte sich ganz fühlen oder gar nicht. Leider wurden auch die Gedanken an Chris an Tagen, wo sie zu lange wach war wieder in ihr wach und generell, sie hatte das Gefühl, je mehr Eskalation desto mehr finstere Gestalten verschluckten sie oder lockten sie. Kein Wunder, was nach all diesen Jahren aus Aiden geworden war, wenn dem Lebensfrohen Wesen einige Tage schon alles so schwer erschienen ließen. Noch immer nahm sie ihn für seine Art in Schutz, noch immer wollte sie am liebsten alle Dämonen erst aus seinem und dann aus ihrem Leben verscheuchen – weil sie in der Lage war, sich irgendwann selbst zu heilen – und sie liebte ihn noch immer so schmerzhaft. Haily war eine Treue Seele, sie verschenkte ihr Herz nicht oft so ganz aber willkürlich und auch ihren Mitbewohnern hatte sie immer wieder gesagt, ob Aiden und sie zusammen passten, danach hätte ihr Herz nunmal nicht gefragt. Es war einfach so. Umso tiefer saß auch an diesem Tag wieder, was er vor ihren Augen tat und eine Weile sah sie gegen die Tür, wartend auf den Augenblick wo ihre innere Stimme ihr sagte, sie sollte gehen und ihr Herz damit begann, ihn los zu lassen. Diesen Gefährten aufzugeben. Doch nichts. Stattdessen kamen alte Gedanken auf, alte Probleme zwischen Aiden und ihr die so fern schienen, so lange her und allem voran so klein. Was gab ihm diese Frau, was sie nicht konnte? Wie fühlte sich das an, nur so benutzt zu werden? Haily hatte es mit Aiden versucht aber trotzdem – ihm war es nicht gelungen sie so zu behandeln, wie seine anderen Liebschaften und weil sie vergebens in sich horchte, ob es nun an der Zeit war, Aidens Lebensgeschichte zu verlassen, suchte sie mechanisch nach einem jungen Mann, auf der Basis, das es sie ohnehin schon ziemlich offensichtlich anstarrte. Es dauerte kaum lange, da begab er sich mit ihr zu den Toiletten und sie war schon fast erleichtert, weil diese reduzierenden Anmachen so leblos und so wenig bunt in ihren Ohren klangen, wie die Welt in ihrem Zustand. Eigentlich sah sie in diesem Mann genau so jemanden, wie Aiden einst Chris beschrieben hatte und vielleicht – vielleicht war zuerst das dran. Vielleicht verarbeitete sie nun eben diese Nacht und ihre Seele wollte danach erst mit Aiden abschließen, sie wusste es nicht, eigentlich war sie absolut überfordert. Das legte sich auch nicht, als der Fremde ihr beim gehen schon fast den Rock nach oben schob und die Tür noch gar nicht geschlossen, ihre Träger von BH und Top in einem herunter riss und sich eisigkalt die Toilettenwand auf ihrer Haut anfühlte. Kühl und leer, mit einem aufgeregt schlagenden Herzen stand Haily da und wusste nicht mal mehr, ob das eine gute Idee war – ob es egal war – ob ihr das hier irgendwas bringen konnte und wunderte sich, wie wenig man sich so schnell selbst nur noch Wert sein konnte, als auf einmal jemand das Szenario stürmte, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Aiden? Was machte der denn? War der etwa schon fertig? Refelxartig tat sie etwas, was sie sonst nie tat, weil sie sich normalerweise selbst liebte – sie schützte ihren entblößten Oberkörper mit den Unterarmen, auf denen man eine Gänsehaut ausmachen konnte und verfolgte das geschehen. „ Was...?“ Zu mehr kam sie nicht, als Aiden an die Stelle des Fremden trat und so viel Angst ihr sein muskulöserer, überlegener Körper auch machte, so sehr sehnte sie sich auch um jeden Preis so sehr nach seiner Nähe. Wie beim letzten Mal, als die beiden im Wald gestanden hatten und Aiden dieses offensive Verlangen nach ihr ausgelebt hatte – weil sie sich darauf einlassen wollte, hatte Haily das dringende Bedürfnis, alle Verantwortung in seine Hände zu geben. Sie schützte ihren Oberkörper nicht mehr, legte einfach die Unterarme ausgestreckt auf seinen Schultern ab und es war verrückt, trotzdem fühlte sich die Wand hinter ihr nicht so kalt an wie eben. Nicht so Bedrängend. Nicht so hart. Aiden war hier und wenn er hier bei ihr war, dann war die kleine Welt der Blonden Frau doch so viel freundlicher, wärmer, weicher – wieso sah denn nur er das nicht? Wie gut er für sie war? Wieso wollte er das nicht mehr? Haily vermisste ihn so schrecklich und zeitgleich vermisste sie ihre Welt etwas – jetzt gerade gab er ihr jedoch etwas von den Farben zurück. Liebe war so bunt und so schön, war diese Zerstörung es vielleicht am Ende doch Wert um ihm nur Nahe zu sein? Konnte er das Glück, was sie sonst in der Welt fand und in diesem Leben vergebens suchte, ersetzten? Wenn auch nur solange, solange er ihr ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken konnte als dem Kokain? Sie wollte es auf seine Weise, das Leben? Dann war das hier doch der nächste Schritt. Das hier fühlte sich auch irgendwie an, wie weg getreten und Haily war auch viel zu sehr in sich gefangen, wirklich eine Handlung oder große Geste zu erwidern aber sie liebte Aiden. Sie hatte ihn nicht daran Zweifeln lassen und ihre großen, runden Augen die schauten ihn so Sehnsüchtig an, wie seine Lippen im Gegenzug auf ihre trafen. Das Vertrauen in ihn, was so erschüttert schien, das gab er ihr in diesem Augenblick alles auf einmal zurück und alle Verantwortung.
|| LOSING HERSELF » 25 YEARS OLD » DIFFUS ||
Just remember to laugh as much as you cry,
and I promise you will find yourself when you are least expecting it.
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