TIJUANA
Aiden hatte mit dem vielen Kokain und dem ganzen Geld nicht lange überlegen müssen, wohin es ihn trieb. Chas stellte kaum Bedingungen an sein Verschwinden, er sollte einfach nur aus der Stadt raus und den Kontakt zu Haily meiden, das wars, und weil Aidens eigene Anforderungen ähnlich simpel waren - er wollte feiern, mehr nicht - nahm er dafür eines der naheliegendsten Ziele: Tijuana in Mexiko. Dass er auf dem Rückweg mit den Drogen und dem Bargeld an der Grenze durchaus schwerwiegende Probleme bekommen könnte, wenn man ihn herauszog und das Auto durchsuchte, das nicht einmal auf seinen Namen angemeldet war, daran verschwendete er keinen einzigen Gedanken. Oder möglicherweise rechnete er unterbewusst auch jetzt schon damit, dass es diesen Rückweg mit diesem Risiko niemals so geben würde. Das Kokain, das Chas ihm gegeben hatte, würde seine endlosen Eskalationen sowieso nicht überleben, besonders sparsam ging Aiden auch mit seinem Geld nicht um und eventuell wäre das alles sowieso kein Kopfzerbrechen wert, wenn er einfach im Rausch sein Leben ließ. Er dachte nicht oft darüber nach, dass diese Möglichkeit tatsächlich nicht besonders fern lag, aber irgendwo tief in ihm war ihm durchaus bewusst, was er mit seinem Konsum und seiner Zerstörungswut gerade aufs Spiel setzte. Er war doch schon einmal dort gewesen, er hatte schon einmal beinah sein Leben verloren und damals schon eine Hand voll Ärzte gehabt, die alles daran setzten ihn eindringlich zur Vernunft zu bringen. Mit Erfolg. Damals hatte er Motivation fassen können und sich nach seinem Entzug in eine Rehabilitation begeben, aber das war verdammt nochmal so lange her, dass die Erinnerungen nur noch diffus in seinem Kopf rauschten. Seitdem war so viel passiert. Seitdem hatte Aiden so viel Leid aushalten müssen und sich darin selber verloren, schon wieder. Da gab es nicht mehr viel, an dem es sich lohnte noch festzuhalten. Um ehrlich zu sein nur eins: Haily.
Haily hatte ihn durch die letzten Wochen, durch die letzten Monate gebracht, sie hatte ihm seinen Weg ein bisschen ausschmücken, seiner Existenz ein wenig Licht geben können, aber trotz all ihrer Versuche Aiden zu zeigen wie gut er auch für sie war, hatte er das bis jetzt nicht verinnerlicht. Das lag nicht an ihr und auch nicht daran, dass sie zu wenig dafür gab, im Gegenteil, sondern an ihm selber. Daran, dass er in sich selber nichts mehr fand, das es wert war zu lieben. Da gab es nichts. Und Haily könnte noch so oft zärtlich über seinen Rücken streicheln und mit den Fingern seinen Nacken kraulen, sie könnte ihn noch so oft verliebt küssen oder strahlend anlächeln, ihm immer wieder sagen wie wundervoll er war, wie glücklich er sie machte und wie miserabel sie sich ohne ihn fühlte, Aiden würde ihr trotzdem nicht glauben. Manchmal redete er sich ein sie sei einfach nur verblendet, von dieser Liebe. Sie war so anfällig für schöne Gefühle, dass sie diese destruktive Beziehung nicht aus rationaler, objektiver Sicht betrachten konnte. Und dass sie deshalb auch nicht verstand, dass alles zwischen ihnen sowieso zum Scheitern verurteilt war.
Chas hingegen, der konnte das erkennen. Der sah das, jetzt schon, und vielleicht war auch das ein bedeutender Grund, weshalb Aiden sein Geld und damit auch seine Bedingungen angenommen hatte: Weil Hailys Bruder ihn endlich in dem unterstützte, was er doch schon lange wusste. Er war nicht gut für sie. Er tat ihr nicht gut. Und die Menschen, denen sie am Herzen lag, die erkannten das ebenso. Nicht nur Chas, sondern auch all ihre Mitbewohner, all ihre Freunde. Aiden merkte doch wie sie ihn manchmal ansahen und nicht recht verstehen konnten, was Haily überhaupt an diesem unfreundlichen, arroganten, immer schlecht gelaunten Menschen finden konnte. Offen ablehnend war keiner von ihnen, das ging anscheinend gegen ihre Prinzipien - und ja, Aiden konnte auch nicht verleugnen, dass sie ihm zu Beginn alle herzlich und offen begegnet waren - aber mittlerweile herrschte dort eine spürbare Spannung zwischen ihm und einigen anderen Personen im Haus. Es war sogar schon einmal vorgekommen, dass ein Freund von Haily ihn sich zur Brust nehmen und ihm eine Lektion erteilen wollte wie man mit anderen Menschen umging, aber Aiden hatte das einfach abgeblockt, so wie alles andere auch. Es machte ihm nichts, wenn man ihn nicht leiden konnte, ihm selber ging es im Gegenzug ja genauso, aber je öfter er die Ablehnung der anderen spürte, desto drängender wurde auch die Frage, warum Haily einfach nicht sah, was für alle anderen anscheinend klar auf der Hand lag. Was musste denn passieren, damit sie sich endlich nicht mehr von ihm belügen, beschimpfen und verletzen ließ? Wie oft musste er ihr denn noch das Herz brechen, bis sie endlich zu müde wurde die Einzelteile wieder zusammen zu setzen?
Das, was er jetzt mit dem Geld von Chas tat, war nur ein weiterer Punkt auf einer langen Liste an Enttäuschungen, für die er verantwortlich war, aber diesmal glaubte Aiden wenigstens daran, dass es endgültig war. Ihr Bruder würde nicht zulassen, dass sie sich noch einmal auf die Suche nach ihm begab, egal was passierte, und selbst wenn sie es doch einfach tat, was würde Haily dann vorfinden? Nach etwa einer Woche sah Aiden schlimmer aus als je zuvor. Der wenige Schlaf und der grenzenlose Konsum machten sich in seinem Gesicht, in seiner Haut, seinen Augen bemerkbar, und ebenso präsent war auch die Gleichgültigkeit, die bei ihm mit den Drogen einher ging und sich in jegliche Aspekte seines Lebens übertrug. Ihm war es bis jetzt nicht einmal gelungen seine Schulden zu begleichen, das Geld lag noch immer im Koffer, versteckt unter seinem Bett im Zimmer eines mittelständigen Motels. Aiden hätte mit dem Geld von Chas alles tun können: Einen erneuten Entzug finanzieren, eine neue Wohnung anmieten, Rechnungen abbezahlen, endlich wieder ein Fundament in seinem Leben errichten und vielleicht, ja vielleicht hätte er das sogar getan, wenn er dieses Geld und Haily hätte haben können, aber das war nunmal nicht der Deal. Und ein Leben ohne Haily? Das hatte ähnlich wenig Wert wie ein Leben ohne Drogen.
Stattdessen war Aiden jetzt also hier, in Tijuana, in Mexiko, mit viel zu viel Geld und viel zu viel Koks. Er feierte, er eskalierte, er schlief so wenig wie möglich. Und binnen kürzester Zeit war er miserabler denn je, so drauf und so gleichgültig, dass selbst dann keinerlei Emotionen auf seinem Gesicht erkennbar waren, als doch eines abends auf einmal Haily vor dem Eingang zu seinem Motelzimmer saß, auf der Motorhaube von Chas Auto. Sie wusste von dem Geld, sie wusste was geschehen war, doch dass er sie daraufhin sprachlos anstarrte hatte weniger damit zutun, dass er auf einmal wieder eine Chance für sie beide sah, sondern eher mit der plötzlichen, drängen, schmerzhaften Angst in Aidens Nacken, dass ihr Bruder nun seine Drogen und sein Geld zurückfordern würde. Das tat er aber nicht. Und diesmal war Haily auch nicht hier, um wieder Licht in Aidens Leben zu bringen, sie war nicht hier um ihn mit Liebe zu überschütten oder um ihn die Schönheit in der Welt sehen zu lassen, sondern um das Gegenteil von Aiden zu verlangen. Diesmal wollte sie in seine Welt eintauchen. Sie wollte sehen, was er sah. Tun, was er tat.
Anfangs verstand er noch gar nicht so recht, was das bedeuten sollte und wie sie das umsetzen wollte, er versuchte bloß sie wieder wegzuschicken und sie dazu zu bewegen, dass Haily ihn endlich in seiner Tristesse und Selbstzerstörung zurück ließ, aber genauso penetrant wie immer weigerte sie sich auch diesmal gegen seine Forderung. Ihren Rucksack warf sie einfach in den Wagen von Chas und als Aiden sich nach einer verbalen Auseinandersetzung wütend abwandte, um sich erneut in die Drogen und in einen abgeranzten Techno-Club zu flüchten, folgte sie ihm auf Schritt und Tritt. Die ganze Zeit. Egal, was Aiden zu ihr sagte, wie er versuchte sie loszuwerden: Sie beachtete ihn einfach nicht. Selbst als er probierte sie zu ignorieren, ließ sie sich davon nicht einschüchtern. Sie verfolgte ihn wie ein Schatten und als ob das noch nicht genug wäre, tat sie auch genau das, was er tat. Wann immer er es tat. Kokain, endloses Feiern, zu viel Alkohol dazwischen, mehrere Tage ohne Schlaf, all das zog sie genauso durch wie er und obwohl es Aiden eigentlich egal sein sollte - war es das nicht. Sie war ihm nicht egal. Haily konnte ihm gar nicht egal sein. Die Drogen dämpften seine Empathie ihr gegenüber, sie verschleierten wie sehr er sie liebte und wie sehr er sie brauchte, aber trotzdem konnte er nicht einfach gleichgültig mitansehen wie sie sich in ihr Verderben stürzte. Wie sie so feindselig mit ihrem eigenen Körper und ihrer eigenen Seele umging wie er.
Jeden verdammten Tag ließ er sie das auch spüren, immer wieder, wenn Aiden wütend auf sie wurde und sie anschrie sie solle verdammt nochmal endlich verschwinden und ihn in Ruhe lassen. Er wollte sie hier nicht, er wollte sie generell nicht und obwohl ihm diese Lüge beinah das Herz zerriss, war es doch die einzig richtige Entscheidung. Scheiße, warum sah sie das denn nicht? Warum ließ sie ihn nicht endlich los? Zusätzlich war es nämlich auch noch ein ganz andere Art von Belastung, dass er dank ihr mit eigenen Augen beobachten musste wie zerstörerisch er selber mit sich umging. Im Rausch der Drogen ging das normalerweise unter, er kannte sich auch gar nicht mehr anders, aber Hailys Haut wurde so schnell ganz fahl, ihre Augen leer, die Lippen trocken und ihr Körper kraftlos und müde. Schon nach ein paar Tagen hatte sie nichts mehr gemein mit diesem strahlenden, vor Liebe strotzenden Energiebündel, das er sonst kannte. Da war so wenig Ähnlichkeit geblieben und trotzdem- trotzdem ließ sie einfach nicht los. Warum ließ sie denn nicht endlich los?
Bewusst würde Aiden es sich niemals selber eingestehen, aber dass er eines nachts - nachdem Haily schon mehrere Tage an seinen Fersen hing - mit einer fremden Frau auf den Club-Toiletten verschwand, so offensichtlich, dass sie es auch zweifelsfrei mitbekam, tat er nur, um sie zu verletzen. Um sie dadurch hoffentlich endlich von sich zu vertreiben. Wenn Haily bei ihm war, dann gab es in seinem Kopf eigentlich keinen Platz für andere Frauen. Wenn Haily sich ständig in seinem Blickfeld befand, dann existierte da niemand anderes um ihn herum. Das war schon immer so gewesen und das würde auch immer so bleiben. Aiden konnte gefühlskalt mit anderen Frauen schlafen, wenn er alleine feiern ging, damit hatte er kein Problem, aber Haily war für ihn wie ein Magnet. Wenn sie sich in der Nähe befand, dann gab es nichts anderes, außer sie. Niemand sonst war seine Aufmerksamkeit mehr wert. Die Frau, die er an diesem Abend hinter sich her zog, war daher auch ganz willkürlich ausgewählt - in seinem Kopf war kein Raum, um zu kontrollieren, ob sie seinen Anforderungen entsprach - doch in der engen Kabine der Toilette sollte er auch schnell merken, dass er seinen Plan nicht recht durchdacht hatte. Denn obwohl Haily sich zwar nicht mehr in seinem Blickfeld befand, war sie immer noch da. Überall. Sie nahm ihn vollkommen ein, so sehr, dass es Aiden absolut nicht gelingen wollte ich auf die Fremde hier zu konzentrieren. Auf die dunkelhaarige, kurvige Frau, die absolut gar nichts mit dem blonden Hippie-Mädchen gemein hatte, das er so sehr liebte. Seine Lippen waren nicht bei ihr, sondern bei Haily, als er sie küsste, und seine Hände sehnten sich nach der vertrauten Wärme seines Fabelwesens, nicht nach den unbekannten Kurven. Es gelang Aiden einfach nicht von Haily loszulassen und obwohl die Dunkelhaarige sich durchaus bemühte, konnte er einfach nicht abschalten. Sein Körper weigerte sich gegen sie und während die fremde Dame noch vor ihm kniete, um alles dafür zu geben ihn zu erregen, musste er sich wütend, verzweifelt, beschämt geschlagen geben. Es ging einfach nicht. Sie war nicht Haily. Und ohne ein weiteres Wort mit ihr zu wechseln, ohne einen weiteren Blick auszutauschen, zog er sich plötzlich von ihr zurück, schloss fluchend seine Hose und verschwand mit angespannten aufeinander gepressten Kiefern aus der Kabine, um in den Bässen der elektronischen Musik den Frust darüber loszuwerden.
Doch so weit kam er gar nicht. Noch bevor er sich zwischen die tanzenden Menschen schieben konnte, suchten seine Augen den Raum nach Haily ab und als er sie endlich sah, am Rande der Theke, im engen, intensiven Gespräch mit einem anderen Mann, blieb er auf einmal urplötzlich stehen und ließ sich von seinem rasenden Herzen regelrecht lähmen. Sie redete nicht einfach mit diesem Mann wie mit ihren Freunden und Mitbewohnern in der Küche, sie war nicht neugierig interessiert, an ihm und an seinen Geschichten. Ihr Blick war anders, ihre Körpersprache war anders. Sie berührte ihn. Sie verführte ihn. Und während Aiden noch immer regungslos dort stand, sich selber und seinen ungewollten Emotionen völlig ausgeliefert, musste er mitansehen wie auch sie sich in Richtung der Toiletten begab, mit jemandem, den sie kaum kannte. Mit einem Mann, der gar nicht sah, wie viel Wert in ihr steckte. Für ihn war sie nur irgendjemand, nur eine weitere, willige Frau, eine schnelle Erleichterung, ein Punkt auf seiner langen Liste. Sie war für ihn so unbedeutend und genau dieser Gedanke war es, den Aiden nicht ertragen konnte. Für ihn war sie nur eine hübsche Hülle.
Er würde sich selber noch verfluchen, für das, was er als nächstes tat, aber Aiden konnte sich auch nicht gegen sich selber wehren, als er plötzlich angespannt und entschlossen hinter ihnen her ging, als er die Personen zur Seite drängte, die ihm entgegen kamen, und gerade noch rechtzeitig seine Hand gegen die Kabinentür der Toilette drücken konnte, hinter der Haily mit ihm verschwinden wollte, bevor sie ins Schloss fiel. Völlig kopflos griff er gewaltsam nach dem Pullover des Fremden, zog ihn mit einem Ruck heraus, von ihr weg, und stieß seinen Körper grob gegen die gegenüberliegende Wand, während er ihm mit tiefer, dunkler, wütender Stimme Beleidigungen entgegen fluchte. Für einen Moment schien der Mann zu überlegen, ob er sich gegen Aiden behaupten wollte, aber als dieser ihm gar keine Chance dazu gab und ihn direkt brutal in Richtung des Ausgangs stieß, gab er sich dann doch erbost geschlagen. Weil Haily für ihn eben nicht Haily war. Er wusste nicht, um was er da kämpfen sollte. Für ihn war sie nur ein attraktives Gesicht und die fand man vielfach da draußen, zwischen den anderen Frauen. Aiden aber, der sah in Haily so viel mehr als das und wie brachial ihn das jetzt treffen würde, als er schwer atmend, wütend zur Seite blickte und ihr direkt in die Augen sah, darauf war auch er nicht vorbereitet. Die dunklen Ränder unter ihren Augen sollten ihn eigentlich abschrecken, ihre trockenen Lippen sollten ihn alarmieren, ihre leeren Augen zurückhalten, aber nichts davon trat ein. Unter der Zerstörung der Drogen war sie noch immer die Frau, die er liebte, und sein Kopf, sein Körper hatten gerade beide keine Kraft, um sich gegen sie zu wehren. Sie war da, er sehnte sich so sehr nach ihr, und ohne ein Wort zu sagen, ging er auf einmal auf sie zu, in die Kabine hinein, schob seine Hand grob in ihren Nacken, presste ihren Körper mit seinem eigenen gegen die Wand und verschloss ihre Lippen, um sie atemlos zu küssen.
AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE
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