RE: JOSHUA TREE NATIONALPARK
Während Haily so dicht bei ihm saß, während er ihre filigranen Finger auf seiner Haut spürte und ihre weiche Stimme in seinem Ohr vernahm, fragte Aiden sich immer wieder, wovor er eigentlich Angst gehabt hatte. Weshalb er nicht schon zuvor nach ihrer Nähe, ihrer Zuneigung und vor allem ihrer Unterstützung gesucht hatte, sondern sich jetzt schon seit Tagen - ja, vielleicht sogar seit Jahren - selber und ganz allein mit dem belastete, was in ihm vorging. Dabei hätte er sich einfach nur vor Haily öffnen müssen. Er hätte sich einfach nur dazu durchringen müssen auch mal seine verletzliche Seite zu zeigen, ohne Angst und ohne Scham, denn alles, was ihn dabei besorgt hatte, trat nicht ein. Nicht einmal ansatzweise. Haily verurteilte ihn nicht, sie belächelte ihn nicht, sie wandte sich nicht von ihm ab oder versuchte ihn zu etwas zu drängen, das er nicht wollte. Ob sie ihn verstehen konnte, das vermochte Aiden nicht zu sagen, aber er fühlte klar, dass es darauf auch nicht ankam. Viel wichtiger war, dass sie ihn akzeptierte, auch mit seinen komplexen, dunklen Gedanken und mit seinem gänzlich anderen Lebensstil. Für ihn wäre es niemals eine Option so zu leben wie die junge Frau an seiner Seite, er könnte ohne Geld, ohne Wohnung, ohne Rückhalt niemals so glücklich sein wie sie, und ja, deshalb hatte er sich auch davor gefürchtet, dass sie seine Probleme eher belächelte, aber das tat Haily nicht. Haily gab ihm mit ihrer Ruhe, mit ihrer Selbstverständlichkeit, ihrem Optimismus und ihrer Zuneigung genau das, was Aiden jetzt brauchte. Und noch viel mehr. Sie gab ihm das Gefühl noch nicht alles verloren zu haben und das war so wertvoll, so wichtig, für den jungen Mann, dass er ihr endlich in die Augen sah, als sie sich neben ihn auf den Boden legte. Lange blieb er mit dem Blick an ihr hängen, unsicher weshalb er es überhaupt verdient hatte jemanden wie sie in seinem Leben zu haben, ehe er langsam die Hand hob und mit den Fingern liebevoll, behutsam über ihre warme, vertraute Haut streichelte. Angefangen an ihrem Handrücken, über ihren Unterarm, ihren Oberarm, die Schulter, bis in ihr Gesicht. Zärtlich zog er den Daumen über ihre Wange, ihren Kiefer, streichelte mit den Fingerkuppen durch ihren Haaransatz und verlor sich irgendwann, indem er die Hand in ihrer Halsbeuge ruhen ließ, während er ihr noch immer fest in die Augen sah.
"Das klingt alles so viel leichter, wenn du das sagst", nuschelte Aiden leise, insbesondere bezüglich seiner Wohnsituation und den vielen Schulden auf seinem Konto. Wahrscheinlich würde es nicht lange dauern, bis sein Kopf diese Gedanken wieder schwärzte, aber er zweifelte auch nicht daran, dass es Haily noch einmal gelingen würde wieder Licht ins Dunkel zu bringen. "Danke. Ich- denke darüber nach, okay? Das mit dem Zimmer- vielleicht wäre das wirklich erstmal eine vorübergehende Lösung. Sobald etwas frei wird. Und ich könnte einen Termin mit der Bank vereinbaren, wegen der Schulden, vielleicht- mal gucken." Wo kam denn diese Motivation auf einmal her? Wo kam es denn auf einmal her, dass sich in Aidens Kopf wirklich so etwas wie Zuversicht bildete? Er dachte sogar darüber nach welche Art von Job er bereit wäre auszuführen und wie er wohlmöglich sein abgeschlossenes Studium dort involvieren konnte und das nur deshalb, weil Haily ihm das Gefühl gab, dass er eben noch nicht alles verloren hatte. Dass es genug gab, für das es sich zu arbeiten lohnte. Sie selber war ebenfalls ein wichtiger Faktor und ja, auch dafür war Aiden bereit etwas zu tun. Er tat sich offensichtlich schwer damit, aber anstatt sie wieder auszuschließen, schüttelte er unsicher den Kopf und ließ sie an seinen Zweifeln teilhaben. "Das mit Noah, Matt und keine Ahnung wem noch: Es ist nicht so, dass ich da grundsätzlich etwas gegen habe oder dass ich der festen Überzeugung bin, dass Liebe und Sex nicht zu trennen sind oder sowas. Das ist Schwachsinn. Es ist nur- Ich habe ständig Angst davor die Menschen zu verlieren, dir mir etwas bedeuten. Dich eingeschlossen. Wenn es für dich wirklich nur um Sex ginge, so wie bei Nele und mir, dann wäre das für mich vielleicht leichter, aber das ist so nicht. Nele bedeutet mir nichts, Nele ist mir egal und es wäre auch okay, wenn ich sie jetzt nie wieder sehe, aber bei dir- bei dir ist das anders. Du liebst diese Menschen auch. Und du kannst mir noch so oft sagen, dass die Gefühle für mich und die Gefühle für Matt oder Noah ganz unterschiedlich und nicht einmal ansatzweise vergleichbar sind, aber was, wenn sich das irgendwann ändert? Was, wenn da auf einmal doch etwas ist? Ich hab das ständig im Kopf, wenn ich daran denke, und ich hab ständig Angst davor, dass du irgendwann lieber bei jemand anderem bist, als bei mir. Und das wird sich auch nicht ändern." Angespannt wandte Aiden den Blick wieder ab, starrte abwesend auf den Sand zwischen seinen Füßen, aber auch diesmal verlor er sich nicht vorschnell in der Dunkelheit und in seiner Panik, sondern versuchte wirklich aktiv nach einer Lösung zu suchen. Nach etwas, das ihm helfen würde damit umzugehen, denn noch weniger als Haily zu verlieren, wollte er, dass sie für ihn aufgab, wer sie war. "Eventuell- Ich möchte wissen, wenn das passiert. Wenn du mit jemandem schläfst. Ist das okay? Wäre das etwas, was wir ausprobieren können? Erzähl mir hinterher davon, detailliert. Wie es dazu gekommen ist, was du mochtest, woher ihr euch kennt, wie lange schon. Alles. Ich will alles wissen, damit ich weiß, dass ich keine Angst haben muss. In Ordnung?" Einfach wäre das wahrscheinlich für keinen der Beteiligten, weder für Aiden, noch für Haily, aber im Moment war das tatsächlich die einzige Option, die ihm einfiel. Dass sie ihm dadurch immer wieder versicherte, dass es nichts zu befürchten gab. "Und das Kokain- Wenn wir das so machen wie du es vorschlägst glaube ich, dass ich dadurch die negativen Gefühle in dich projiziere. Wenn ich mal nicht schaffe, was ich mir vornehme, meine ich. Dann verwehrst du mir die Drogen und dann bin ich wütend auf dich, obwohl ich eigentlich auf mich selber wütend sein müsste. Das funktioniert nicht. Gib mir- gibst du mir ein bisschen Zeit darüber nachzudenken?" Aiden wusste selber nicht, ob er Zeit wollte, um eine Lösung zu finden, oder ob er einfach nur Zeit wollte, um sich noch länger in seiner Selbstzerstörung zu suhlen. Vielleicht verstanden sie beide auch noch nicht recht, dass er wirklich wieder abhängig war. Und was diese Abhängigkeit bedeutete.
AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE
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