RE: JOSHUA TREE NATIONALPARK
Aiden hätte an diesem besagten Morgen eigentlich schon früh spüren müssen, dass irgendetwas anders war und dass dieser Tag nicht so harmonisch-entspannt verlaufen würde wie die vorherigen. Es war zwar schon mehrmals vorgekommen, dass er alleine aufwachte, weil Haily mal wieder hibbelig durch die Natur stromern musste, aber diesmal war sie eben nicht zwischen Felsen, Bäumen, Büschen oder Kakteen unterwegs, sondern saß ganz ruhig auf dem Dach des Autos. Regelrecht erwartungsvoll sah sie ihn an, als er aus dem Bus stolperte, erst ein paar mal verschlafen-verwirrt um sich sah, aber seine Begleitung dann irgendwann dort oben entdeckte. Hatte sie wirklich darauf gewartet, dass er wach wurde? Und wenn ja, warum tat sie das dann nicht, indem sie sich an ihn kuschelte? Oder ihn einfach weckte? Es war ja nicht so als ginge sie sonst stets respektvoll mit seinem Schlaf um. Außerdem lag auch so eine undefinierbare Spannung in der Luft, doch Aiden war von den vergangenen Tagen und von seinen Vorstellungen dieser Reise noch viel zu verblendet und ließ gar nicht an sich heran, dass irgendetwas diese gute Stimmung zeitnah trüben könnte. Lieber kletterte er in aller Ruhe neben Haily auf das Blechdach und suchte augenblicklich ihre Nähe. Nicht aufdringlich kitschig, so war er nicht, aber zumindest rutschte er von vorne dicht an sie heran, zog seine Hände über ihre Unterschenkel und drückte ihr einen kurzen, zarten Kuss auf die angewinkelten Knie, lächelnd, zufrieden, ja wohlmöglich sogar ein wenig glückselig, was jedoch nicht besonders lange hielt.
Schon nach den ersten Worten aus ihrem Mund zog sich auf einmal alles in Aiden zusammen, sein Körper verspannte sich, die Kiefer trafen aufeinander und der Blick wurde ganz starr. Er wollte so gerne an dieser Harmonie und Leichtigkeit festhalten, vielleicht hätte er Haily sogar ein paar Eingeständnisse gemacht und zumindest die ein oder andere Unsicherheit für sie aufgeklärt, wenn sie es ein wenig langsamer angegangen wäre, aber je mehr Fragen haltlos ihren Mund verließen, desto mehr verlor sie ihn. Es war ja nicht so, dass Aiden diese Dinge grundsätzlich nicht mit ihr besprechen wollte, in Wahrheit konnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als eine gemeinsame Zukunft mit Haily zu visualisieren, aber die Antworten auf ihre Fragen und die wahrscheinlich sehr unterschiedlichen Vorstellungen der beiden, die machten ihm Angst. In seinem Kopf waren ihre verschiedenen Charaktere noch immer nicht miteinander vereinbar und während er sich gerade sowieso weigerte weiter in die Zukunft zu sehen als bis zum nächsten Bier, warfen solche Fragen wie die nach Matt, Noah oder Nele schon die ersten Schatten eines drohenden Konfliktes voraus. Und das wollte er nicht. Nicht hier. Nicht jetzt. Am liebsten niemals.
Völlig falsch war daher auch, dass Haily Aiden groß ankündigte den Schlüssel des Wagens versteckt zu haben, denn damit drängte sie ihn nicht nur mehr und mehr in eine Ecke, in die er eigentlich gar nicht hinein gehen wollte, sondern nahm ihm auch jegliche Fluchtmöglichkeiten. Unwillkürlich begannen die Emotionen in ihm zu brodeln, Wut kochte auf, ein unangenehmes Kribbeln zog sich über seinen Nacken und selbstverständlich konnte er auch nicht verhindern, dass eine verbale Reaktion darauf folgte. "Du hast was?!" Das galt dem Schlüssel. Aiden wusste zwar nicht, ob Haily das so schnell verstand, aber ehe er sich erklären konnte, stieß ihm etwas anderes noch härter auf. "Fragst du mich gerade wirklich, ob wir meine Mutter suchen, Haily? Hast du dir das in deinem Kopf also schon so schön ausgemalt, ja? Warum gehen wir nicht einfach auf ein Dreier-Date? Du, ich und meine Mutter. Wird bestimmt nett. Vielleicht kannst du dann auch mit ihr diskutieren wie es mit mir weiter geht, mit den Drogen und so. Oder wo ich in Zukunft wohne. Scheint ja sowieso jeder zu glauben, dass er irgendwie ein Mitspracherecht dabei hat, hm? Meine Mutter tauscht sich bestimmt gerne mit dir aus. Oh nein, warte, stimmt ja. Sorry Haily, aber das letzte Mal, dass ich sie gesehen hab, hat sie sich einen Scheißdreck dafür interessiert. Dann musst du da wohl doch alleine durch." Nicht nur das, was er sagte, sondern vor allem auch wie Aiden es sagte - bissig, wütend, vorwurfsvoll und anklagend - war mal wieder völlig ungerechtfertigt, aber wie immer schaukelte er sich selber hoch und verlor dadurch nur mehr die Kontrolle über sein Handeln und seine Worte.
Er ließ Haily nicht einmal darauf antworten oder gab ihr die Chance die Stimmung wieder zu beschwichtigen, ehe er urplötzlich aufstand, vom Dach runter sprang und tatsächlich als Erstes vorne in die Fahrerkabine stürzte, um dort überall nach dem Schlüssel für den Bus zu suchen. Im Zündschloss, im Handschuhfach, in den Türen, ja sogar unter den Sitzen suchte er, immer wieder fluchend, ehe er nur noch lauter schreiend wieder ausstieg und in seiner Fassungslosigkeit das komplette improvisierte Wohnzimmer der beiden zerstörte. Die Stühle trat er mit seinem Fuß einfach um, die aufgespannte Plane riss er herunter und die liebevolle Dekoration glich nach seinem Ausbruch auch nur noch einem Haufen Elend. "Bist du eigentlich total bescheuert, dass du den scheiß Schlüssel einfach versteckst, Haily?! Tickst du nicht mehr ganz richtig?!" Hatte sie das jemals? "Ich hab keinen Bock über die Scheiße mit dir zu reden und wo du sonst immer groß Freiheit und Akzeptanz und Toleranz predigst, wäre es ganz geil, wenn das auch für mich gilt. Es geht dich nichts an, was ich tun will oder was ich nicht tun will, und jetzt gib mir den verkackten Schlüssel! Sofort!" Absurderweise schien sie jedoch nicht kooperieren zu wollen und weil Aiden ihr sowieso nur knapp zwei Sekunden Bedenkzeit einräumte, drehte er sich viel zu schnell wieder laut fluchend ab und stieß in den Himmel, dass er dann eben nach Hause laufen würde. Er brauchte sie ja nicht, ebenso wenig wie den doofen Bus. Und als wäre das eine tatsächlich realisierbare Option setzte er sich danach wirklich in Bewegung. Mit festem, entschlossenem Schritt lief er einfach los, mitten in die Natur hinein, immer geradeaus. Und ja, er hielt das sogar wirklich für eine halbe Stunde durch, aber als er es danach noch nicht einmal über den nächsten großen Hügel geschafft hatte und noch immer ganz klein den bunt bemalten Bus dort im Tal zwischen den Felsen erkennen konnte, blieb Aiden nichts anderes übrig, als sich geschlagen zu geben. Nein, es war keine realisierbare Option einfach nach Hause zu laufen. Und weil er damit auch seine übrigen Möglichkeiten immer mehr schwinden sah, ließ er sich garstig auf einen nahegelegenen Stein sinken und starrte wütend vor sich ins Nichts, bestimmt eine weitere geschlagene Stunde lang, bis der Groll langsam mehr und mehr nachließ. Er hatte ja auch keine andere Wahl.
AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE
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