RE: BRIEFE AN HAILY
Haily,
deine dritte Frage: Hast du noch einmal mit deiner Mutter sprechen wollen?
Ja. Und nein. Die ersten Tage, Wochen, Monate im Jugendgefängnis waren grauenhaft, ich hab jeden Tag geglaubt ich müsste aus diesem Albtraum nur endlich wieder aufwachen und alles wäre so wie vorher. Täglich hab ich versucht meine Mutter zu erreichen, nicht selten weinend wie ein kleiner Junge, der ich nunmal war, aber nie hat sie das Telefon abgenommen. Sie ist nie im Besuchsraum aufgetaucht. Ich war damals so einsam, so allein, ich hätte ihr alles verziehen, mit nur einem Augenaufschlag. Ich hab nie verstanden, weshalb sie das getan hat, aber das war mir auch völlig egal, ich hätte sie trotzdem mit offenen Armen empfangen. Ich wollte nur endlich wieder bei jemandem sein, den ich liebe.
Irgendwann hat sich das jedoch geändert. Mit jedem Tag, an dem sie nicht den Kontakt zu mir gesucht hat, ist immer mehr in mir gebrochen. Die Sehnsucht in mir wurde zu Enttäuschung, Enttäuschung zu Wut und Wut zu Hass. Ich war siebzehn Jahre alt, als sie zum ersten Mal versucht hat sich bei mir zu melden, mit einem Brief, den ich niemals geöffnet habe. Danach kam sie mehrmals zu den Besuchszeiten, hat man mir gesagt, aber ich wollte sie nie empfangen. Nichts, was sie mir hätte sagen wollen, konnte noch etwas an diesem Hass ändern, der damals schon längst in mir lebte. Sie zu sehen hätte nur Emotionen wieder aufgewühlt, die ich nicht mehr spüren wollte. Ein paar Briefe kamen danach noch von ihr, aber auch die sind ungelesen geblieben. Und irgendwann hat sie aufgegeben.
Ich habe in den vergangenen Jahren mehrmals überlegt zu ihr zu fahren, sie zu besuchen und ihr all die Fragen zu stellen, auf die ich niemals eine Antwort bekommen hab, aber die Angst bleibt. Dass sie mir etwas sagt, was ich nicht hören möchte und dass damit alles auf einmal wieder da ist, was ich nicht fühlen möchte.
Aiden
AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE
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