RE: KRANKENHAUS
Es war genauso, wie ich es erwartet hatte. Das Aussprechen all dieser Gedanken machte das alles für mich nur noch realer. Es war ja nicht so, dass ich bisher bewusst diese Dinge vor jedem verschwiegen hatte, viel eher war ich mir dessen doch selber nicht klar gewesen. Weil ich es nie zugelassen hatte so tief in mich zu gehen. Weil es doch auch für mich einfacher war an dem Gedanken festzuhalten ich wäre einfach nur ein ruheloser Landstreicher, der sich überall und nirgendwo Zuhause fühlte, als dass ich ständig wie ein Besessener nach meinen Eltern suchte. So, als käme ich nicht alleine klar. Als würde ich mich darüber definieren. Auch bei Jamie war es immer so leicht gewesen ihr zu predigen, dass sie ihrem Vater nicht brauchte. Dass sie niemanden brauchte, der sie nicht so akzeptieren konnte, wie sie war. Und gleichzeitig sollte sich mein Leben um diesen zentralen Punkt drehen? Darum, dass ich versuchte die Menschen zu finden, die aus irgendeinem Grund kein Interesse an ihrem eigenen Kind gehabt hatten? Das war hart. Und der Druck lastete so sehr auf meinen Schultern, dass ich mit festem Blick auf meine Hände starrte und versuchte all diese Emotionen in mir zu ordnen. So lange, bis ich sah wie Jamie an die Kante des Bettes rutschte und vorsichtig ihre Finger um meine schloss. Ein warmes Gefühl zog sich davon ausgehend durch meinen ganzen Körper, aber zum ersten Mal fühlte es sich nicht an wie diese nervöse Unruhe, die mich immer wieder dazu gebracht hatte vor anderen Menschen zum fliehen. Zum ersten Mal war das ein gutes Gefühl. Ein entspannendes Gefühl. Eine Sicherheit und eine Geborgenheit, die mir so nicht bekannt war. Oder die ich nie als diese annehmen konnte. "Hab ich nicht, nein, aber- das macht auch keinen Sinn. Als man mich damals gefunden hat war ich 4 Jahre alt und saß ganz allein im Park auf einer Bank, mitten in der Nacht. Es ist ja nicht so, dass meine Eltern mich persönlich in ein Heim gebracht haben. Und das ist nicht nur verdammt traurig, sondern auch strafbar. Die haben damals alles getan, um meine Eltern zu finden, aber nichts. Es hat mich auch nie jemand als vermisst gemeldet." Und wenn ich doch irgendwelche Anhaltspunkte hätte, was dann? Würde ich dann bei ihnen an der Tür klingeln und fragen, was damals geschehen ist? Was würde passieren, wenn ich feststellte, dass sie ganz normal wären? Dass ich damals einfach nur nicht in ihr Leben gepasst hatte? Das alles wog so schwer und wühlte so viel in mir auf, dass ich mich regelrecht an Jamies Körper krallte, als sie ihre Arme um mich legte. Ich vergrub eine Hand fest in ihrer Schulter, die andere auf ihrem Rücken und ließ die Gefühle langsam Überhand nehmen, die sie in mir auslöste. Dieser vertraute Geruch ihrer Haare zog sich beruhigend durch mich hindurch, löste in mir aus, dass ich einmal tief durchatmete und für ein paar Sekunden die Augen schloss. Bis ich langsam den Kopf schüttelte, den Griff um ihren Körper lockerte und mich wieder ein wenig zurück lehnte, um sie anzusehen. "Ich will nicht wieder gehen", sagte ich leise, aber in einer Stimmlage, die verriet, dass ich nicht bloß gerade von meinen Gefühlen übermannt wurde, sondern auch darüber heute lange nachgedacht hatte. "Ich will nicht wieder weglaufen und mein ganzes Leben nach etwas suchen, das ich wahrscheinlich niemals finden kann. Ich bin- nicht so einfach, wie du siehst. Und ich weiß auch nicht, ob das funktioniert, aber- vielleicht- wenn du das auch noch willst- vielleicht können wir einfach nochmal anfangen. Von vorne. Ganz langsam und ohne Erwartungen." Diesmal war ich es, der die Nähe suchte und Jamies Hände sanft mit meinen umschloss. "Ich hab das noch nie jemanden gefragt, aber- darf ich dich auf ein Date einladen? So wie man das normalerweise macht, wenn man sich kennen lernt und irgendwie- den anderen mag?"
AUGUSTUS EVANS # 25 YEARS OLD # HOMELESS
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