RE: FIGHT CLUB
Ein paar Monate waren bereits vergangen seit Avas Krankenhausaufenthalt, doch was sich dort bloß als mögliche Komplikation herausgestellt hatte, war mittlerweile für das junge Paar zur bitteren Realität geworden. Die beiden hatten alles versucht, um dagegen zu steuern, sie hatten jegliche noch so absurde Pläne in die Tat umgesetzt und versucht sich auf die Vorfreude und die gemeinsame Zukunft zu konzentrieren, aber die Depressionen konnten durch nichts aufgehalten werden. Ganz langsam und schleichend nahmen die Launen von Ava immer extremere Formen an, sie wurde unheimlich leicht reizbar, weinerlich und lustlos. Manchmal gab es Tage, an denen Zac ihr nichts recht machen konnte, an denen sie ihn ausschließlich kritisierte, und dann wieder welche, in denen er kaum Beachtung fand, weil Ava nicht dazu fähig war aus dem Bett aufzustehen. So wie Nele damals. Oft weinte sie stundenlang, ohne überhaupt zu wissen weshalb, und dann nur noch mehr, weil sie sich selber Vorwürfe machte. Ihr Gesicht war fahl geworden, ihre Augen müde und in regelmäßigen Abständen beklagte sie sich über Schmerzen und verzweifelte beinah an ihrer ausweglosen Situation, erwachte sogar mitten in der Nacht und begann hemmungslos zu weinen, weil sie sich durch dieses Kind so eingeengt fühlte, weil sie es endlich los werden wollte. Immer wieder musste Zac sie dann fest in den Arm nehmen und so lange beruhigend über ihren Rücken, ihren Bauch oder ihre Schultern streicheln, bis die Tränen ganz langsam versiegten. Es war so als durchlebte er hier seine Vergangenheit mit Nele noch einmal und obwohl er wusste, dass diese Belastung zeitlich begrenzt war, und obwohl auch die gemeinsame Therapeutin ihn regelmäßig daran erinnerte und Ava sich in ihren wenigen hoffnungsvollen Momenten immer wieder für ihr Verhalten entschuldigte, konnte er doch nicht verhindern, dass das alles unheimlich an seinen Nerven zerrte. Er hatte zwar mit der Zeit seine Rolle gefunden, er kannte seine Aufgaben und er legte auch alles daran, um das Leben für seine Verlobte so angenehm wie möglich zu gestalten, aber in ihm passierte so viel mehr. All die Wut, die sich insgeheim in ihm aufbaute, durfte er nicht herauslassen. Er durfte nicht verzweifeln, er durfte nicht sauer sein, er durfte niemandem Vorwürfe machen. Wenn er sich auf Konflikte mit Ava einließ, dann würde es nur noch schlimmer, für sie beide, das wusste er, und auch seine Sorgen konnte er nicht auch noch auf ihren Schultern ablegen. Stattdessen blieb das alles in ihm und staute sich immer mehr an, zu etwas, das er irgendwann nicht mehr kontrollieren konnte. Zu oft hatte er das schon mitgemacht, zu oft hatte er dieses unangenehme Kribbeln unter seiner Haut gespürt und diese Schwere auf seinem Rücken. Er wusste, was da gerade in ihm passierte, und irgendwann gelang er unwillkürlich an einen Punkt, an dem er nicht mehr länger dagegen arbeiten konnte. In der Beziehung mit Ava war es ihm so gut gegangen, dass er sich immer weiter von den Kämpfen entfernt hatte: Er brauchte das nicht mehr, um den heißen Dampf des Kessels abzulassen, weil es einfach nichts mehr gab, was ihn so sehr belastete. Monatelang war er nicht mehr in dem Club aufgetaucht, er trainierte nicht einmal mehr in dem kleinen, versifften Kellerraum, aber vor ein paar Wochen hatte es ihn doch wieder dorthin getrieben. Nach einer schlaflosen Nacht, in der Ava am liebsten ihren Bauch aufgerissen und eigenhändig das Kind daraus entfernt hätte, weil sie einfach nicht mehr konnte. Bis zur bitteren Erschöpfung schlug er am Morgen danach auf den Boxsack im dem kleinen Trainingsraum ein und hatte sich hinterher eingestehen müssen, dass er das brauchte. Er brauchte ein Ventil für die Emotionen in ihm, bevor sie haltlos und an völlig falscher Stelle auf einmal explosiv aus ihm herauskamen. Dass er schon seit geraumer Zeit öfter trainieren ging, das wusste Ava, und er teilte ihr auch mit, dass er das als Ausgleich benötigte, aber wo er das tat und was eigentlich noch in seinem Hinterkopf passierte, das behielt er für sich. Heimlich wartete er nur darauf sich endlich einmal wieder richtig schlagen zu können, er fieberte einem eigenen Kampf entgegen, trainierte härter als jemals zuvor und spann Pläne wie er Ava die dadurch entstandenen Blessuren erklären könnte, ohne sie zu besorgen. Ein Überfall vielleicht, mitten in der Nacht. Jemand, der einfach auf ihn losgegangen wäre, um ihn zu verprügeln. Vielleicht sollte er sein Portemonnaie wegschmeißen und behaupten man hätte ihn ausgeraubt. Das würde sie ihm vielleicht abnehmen. So lange, bis dieser Plan stand und bis er sich und seinen Körper in die richtige Form gebracht hatte, hielt er sich aber bloß an sein Training und daran die Kämpfe nur als Zuschauer zu besuchen. Vor zwei Wochen war es schon einmal hier gewesen und heute noch einmal, nur um dieses Gefühl von damals wiederzufinden, das Adrenalin, die Endorphine zu spüren und den kalten Schweiß zu riechen, der in jeder Ecke dieses Raumes saß. Weil er Ava wieder einmal beruhigen musste, hatte er es heute nicht rechtzeitig zu Beginn geschafft, aber als er die Treppenstufen nach unten lief und sich unter die wild jubelnde, schreiende Meute mischte, die im Kreis um zwei sich schlagende Männer standen, da fühlte er auch sofort die Freiheit, die damit einher ging. Er fühlte sich angekommen, verstanden. Das hier war wie ein zweites Zuhause für ihn und während er noch genoss wie schwer sein Herz auf einmal schlug, schob er sich langsam durch ein paar Leute hindurch, um einen Platz zu finden, von dem aus er besser das Geschehen beobachten konnte. Stattdessen fand er jedoch etwas ganz anderes, denn während er noch dabei war im Vorbeigehen ein paar bekannte Gesichter mit Handschlag zu begrüßen, erblickte er auf der anderen Seite das Gesicht von jemandem, den er hier nicht erwartet hätte, und blieb urplötzlich erschrocken stehen. Lahja. Da war tatsächlich Lahja zwischen den Menschen und starrte, so wie die anderen auch, völlig gebannt in die Mitte des Raumes. Was machte sie hier? Seit wann war sie wieder in der Stadt? Lebte sie schon länger wieder in Los Angeles? Wie ging es ihr? Ebenso viele Fragen wie Emotionen schossen Zac auf einmal durch den Körper, einerseits erregte allein ihr Anblick so viele Sehnsüchte in ihm, andererseits wollte er so schnell wie möglich fliehen, weil er genau das gerade doch absolut nicht gebrauchen konnte. Es gelang ihm jedoch nicht einmal eine Entscheidung für sich zu treffen, als auf einmal einer der Kämpfer einen schweren Schlag einsteckte, benommen in die Menge taumelte, der andere ihm hinter stürzte und Zac noch so abwesend war, dass er es nicht schaffte schnell genug richtig zu reagieren, ehe ein Ellenbogen auf einmal sein Gesicht traf und auch er plötzlich das Gleichgewicht verlor. Er wurde zwar von zwei anderen Männern gehalten, aber die Aufmerksamkeit war dadurch selbstverständlich für einen kurzen Moment auf ihn gefallen und während er noch dabei war sich den schmerzenden Kiefer zu halten und mit Blut getränkten Speichel auf den Boden zu spucken, erkannte er aus dem Augenwinkel auch, dass Lahja ihn direkt ansah. Für ein paar wenige Sekunden ließ er zu, dass die Blicke der beiden einander kreuzten, er nickte sogar einmal schwach, aber weil noch immer Blut aus einer Verletzung in seinem Mund floss und weil er etwas finden musste, um die Wange zu kühlen, bevor sie anschwellen konnte und Ava misstrauisch machen würde, drehte er sich um und lief die Treppen einfach wieder nach oben.
ZACHARY WILLIAM COLES # 28 YEARS OLD # STRAIGHT EDGE
![[Bild: zac04.png]](https://i.postimg.cc/tgR61mn8/zac04.png)
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