RE: KRANKENHAUS
Auch ich verfolgte Gus mit meinen Augen, bis er das Zimmer verlassen hatte, aber mein Blick war dabei nicht ansatzweise so verzweifelt wie der von Jamie. Viel eher tat ich das, was normalerweise Eltern in so einer Situation tun würden: Ich suchte nach einem Verantwortlichen. Nach jemandem, dem ich die Schuld daran zuschieben konnte, dass meine Schwester jetzt im Krankenhaus lag. Weil es so schwer war zu akzeptieren, dass jemand, den man gern hatte, tatsächlich bewusst so etwas Dummes anstellen würde. Doch auch davon abgesehen wurde ich das Gefühl nicht los, dass irgendetwas zwischen Jamie und Gus in der Luft lag, eine gewisse Distanz, die ich noch nicht zuordnen konnte, aber meine Halbschwester klärte mich schneller auf, als ich erwartet hatte. Völlig aufgelöst und mit einem schuldbewussten Blick in den Augen erklärte sie mir, was genau geschehen war, und sorgte damit nicht nur einmal dafür, dass mein Herz einen Schlag aussetzte und mein Gesichtsausdruck immer fassungsloser wurde. Ein illegales Hasenfußrennen? Jamie? Die Jamie, die noch vor wenigen Wochen so viel Angst vor einem simplen Kuss gehabt hatte, dass sie danach erst einmal das Weite suchen musste? Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass sie diesen Trip nutzen würde, um ein paar Grenzen zu überschreiten. Weitere zwischenmenschliche Erfahrungen eventuell, Alkoholkonsum, einige leichte Drogen oder möglicherweise sogar ein paar geringfügige Gesetzesbrüche. Aber das? Ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen? Und mit ansehen zu müssen, wie ihr Mitfahrer sein Leben verlor? Jamies Tränen waren es letztendlich, die mich aus meiner Schockstarre heraus holten, aber völlig entgegen den Reaktionen, die sie von ihrem Vater gewöhnt war, öffnete ich erneut meine Arme, legte sie um ihren schmalen Körper und drückte sie sanft an mich. Mit einer Hand streichelte ich beruhigend über ihre Wirbelsäule, die andere lag regungslos an ihrem Hinterkopf. "Scheiße, ist das dein Ernst?", sprach ich wie immer genau die Dinge aus, die mir durch den Kopf gingen. "Ich hab mir solche Sorgen gemacht und ich bin so froh, dass es dir- einigermaßen gut geht, aber- scheiße." Es war grundsätzlich schon verdammt belastend am Tod eines Menschen beteiligt zu sein, aber dann auch noch jemand, den sie kannte und der ihr nah stand? "Was ist das mit Gus? Wann ist er gegangen? Und warum ist er dann jetzt hier?" Gerade in dem Moment, in dem ich mich fragte, wie ich das alles ihrem Vater - und vor allem auch irgendwann unserer Mutter - beibringen sollte, erwähnte sie genau ihn. Dass er ebenfalls auf dem Weg hierhin war hätte ich mir vermutlich denken können, aber trotzdem zog sich die Erkenntnis so unangenehm durch meinen Körper, dass ich ein wenig Distanz zwischen uns brachte. Gerade so viel, um Jamie problemlos in die Augen sehen zu können, meine Hände lagen dabei allerdings noch immer auf ihren Schultern. "Du hast also noch nicht mit ihm geredet? Was willst du jetzt machen?"
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
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