RE: CENTRAL STATION
Ganz langsam ließ ich meine Hand wieder sinken, als Apple kopfschüttelnd das Handy ablehnte und während sie mir aufzählte, was uns dieses kleine Stück Technik ermöglichen könnte, starrte ich abwesend auf den zersprungenen Bildschirm. Das alles hatte doch jetzt keinen Wert mehr. Niemand würde aus Lahjas Kopf diese schrecklichen Erinnerungen an Chris löschen können, niemand würde Haily ihre strahlendes Lächeln zurückgeben, das nicht mehr dasselbe wäre, wenn sie davon erfuhr, und Lucy würde auch nicht von den Toten auferstehen. Meine Freundin war nicht vor Gericht gegangen, um Recht zu behalten oder Schmerzensgeld einzufordern oder um Chris zu bestrafen, sondern nur aus dem einzigen Grund, dass sie verhindern wollte, dass so etwas noch einmal geschah. Und das würde es jetzt nicht mehr. Der Vater von Apple würde nie wieder jemandem etwas antun können, aber obwohl sich das Handy mit all den schrecklichen Bildern so schwer in meinen Fingern anfühlte und ich es eigentlich nur loswerden wollte, legte ich es ganz langsam neben mir auf dem Sitz ab und nutzte die dadurch frei gewordene Hand, um mir fest über die Brust zu reiben, dann über den Hals, an meinem Ohr entlang bis zur Schläfe und über die Stirn. Hilflos und überfordert fühlte ich mich, machtlos gegenüber dieser Grausamkeit, die Chris verkörperte, und davor, dass ich Apple diesen Schmerz nicht nehmen konnte - die Enttäuschung, dass der Mann, den sie so geliebt hatte, ein Monster war - aber ich konnte ihr etwas anderes nehmen. Ich konnte ihr das Gefühl nehmen, dass derselbe Hass auch in ihr existierte. "Du bist nicht- wie dein Vater, Apple." Rau klang meine Stimme zu Beginn, aber mit jedem Wort wurde sie fester und sicherer. "Du bist nicht Schuld daran, dass es passiert ist, und du wirst- nie so sein. Ich kenne dich. Du bist so nicht." Ich hing mit den Augen an ihrem verzweifelten, verweinten Gesicht fest und schüttelte langsam, aber bestimmt, den Kopf. "Deshalb bin ich auch hier. Weil ich dich verletzt hab, mit meinen Worten, und weil du es nicht verdienst so verletzt zu werden. Ich bin- so dankbar für den Tag, an dem ich dich kennen gelernt hab, Apple, warum siehst du das nicht?" Noch einmal rieb ich mir mit den flachen Händen über mein Gesicht, zog sich durch die Haare bis in meinen Nacken, aber stand dann kopfschüttelnd auf und setzte mich stattdessen neben sie. So dicht, dass unsere Körper sich seitlich berührten, aber auch meine äußere Hand streckte ich zu ihr, legte sie um ihren Oberarm und streichelte mit dem Daumen behutsam über den dicken Stoff des Pullovers, den sie trug. "Es tut mir Leid, dass dein Vater nicht der sein konnte, für den du ihn gehalten hast. Ich weiß wie wichtig er dir war und was du alles für ihn getan und auf dich genommen hättest und- und ich wünschte er hätte dich nicht so enttäuscht. Du hast ein gutes Herz, ehrlich, und du hast nicht verdient, dass das mit dir passiert."
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