RE: FIGHT CLUB
Schweigend hörte ich Lahja zu, während sie mir von ihrem Leben und ihren Erfahrungen mit den Drogen berichtete, ging neben ihr her die Straße hinab, mit unseren Papiertüten in der Hand. Erst nachdem wir in einen kleinen Park abgebogen und uns dort einen schönen Platz unter ein paar Bäumen gesucht hatten, wo wir uns in die Wiese setzten und unseren Salat auspackten, sah ich sie wieder an - starrte vermutlich ein wenig zu lange in ihr Gesicht, um mir begreifbar zu machen, dass dieses junge Mädchen wirklich schon so viel Scheiße erlebt hatte - aber lächelte ihr dann doch schwach zu, um die lockere Stimmung zwischen uns zu wahren. "Das klingt, als hättest du dein eigenes, persönliches Hollywood-Drama erlebt. Oder direkt mehrere davon, in ein kurzes Leben zusammen gepackt. Wie alt bist du nochmal?" Kopfschüttelnd senkte ich den Blick wieder, öffnete den Salat und holte auch die Plastikgabel aus der Tüte, die man uns dazu gelegt hatte. "Das Problem ist - es bringt dir absolut nichts, wenn ich dir jetzt sage, wie schwierig es ist seinen Körper und sein Bewusstsein zu kontrollieren, wenn man Drogen nimmt. Insbesondere die Upper. Nicht nur während des Rausches, sondern auch noch Tage oder Wochen danach, ein Rest der Substanz bleibt ja noch lange im Körper. Aber man muss damit aus eigener Motivation aufhören und nicht, weil ich dir sage 'Entweder die Drogen oder das Training, du musst dich entscheiden'. Das bringt dir nichts. Wenn wir uns allerdings wirklich so ähnlich sind wie ich bisher das Gefühl hab, dann wirst du irgendwann an deine körperlichen Grenzen kommen - wegen den Drogen oder der Ernährung oder auch den Zigaretten - und dann wirst du dich selber für das Richtige entscheiden. Sonst bleibst du immer die Person, die wortwörtlich einstecken muss, weil sie ein bisschen zu langsam, ein bisschen zu schwach und ein bisschen zu unachtsam ist. Und nicht in der besten Form, in der dein Körper und dein Geist sein könnte." Weil ich mir innerlich vorstellte, wie ich in Lahjas Alter und in ihrer Situation auf jemanden reagiert hätte, der mir mit so einem esoterischen Quatsch kam, lachte ich schon wieder leise auf. Und der amüsierte Ausdruck blieb auch auf meinem Gesicht, zumindest so lange, bis sie mich nach meiner Beziehung fragte und ich nachdenklich meinen Kopf ein wenig zur Seite lehnte. "Doch, ich frag mich dauernd, wie viel Wert die Beziehung noch hat und um ehrlich zu sein hab ich keine Ahnung. Aber ihr ist ja nicht immer alles gleichgültig. Das ist das Problem. Manisch-Depressive gehen ja durch verschiedene Episoden. In ihren manischen Episoden ist sie völlig aufgedreht, unverhältnismäßig euphorisch, redet die ganze Zeit, will ständig was unternehmen. Es gibt nichts, was sie währenddessen runterziehen kann. Das zieht sich dann über ein paar Wochen oder Monate und dann kommt die depressive Episode, die Symptome kennst du ja sicher. Die dauert meistens noch länger, als die Manie. Wenn das überstanden ist, dann wird sie aber wieder normal. Gesund. Wie man es nennen willst. So lange, bis dann die nächste manische Episode kommt. Das macht es aber auch so schwierig die Krankheit zu behandeln. In ihren manischen Phasen braucht sie etwas, das sie runter bringt, aber gerade dann ist es auch unfassbar schwer sie überhaupt davon zu überzeugen, dass sie krank ist. In den Phasen geht es ihr ja gut. Meistens will sie die Tabletten nicht nehmen, das macht es nur noch schwieriger. Wenn sie dann depressiv wird, braucht sie aber natürlich ganz andere Medikamente. Weil sie die aber nicht durchgehend nimmt kann sich ihr Körper nicht daran gewöhnen und die ganzen Nebenwirkungen kommen jedes Mal wieder. Sie ist wie ruhig gestellt, ein ganz anderer Mensch. Das merkt sie auch selber, deswegen setzt sie die Tabletten eigenständig immer wieder ab, obwohl ihr Doktor ihr sagt, dass sie das auf keinen Fall tun soll und obwohl ich ihr das auch immer wieder sage. Aber was soll ich machen? Ich kann sie nicht jeden Morgen und jeden Abend festhalten und ihr gewaltsam ihre Medikamente in den Mund schieben, das geht nicht. Obwohl ich das schon oft genug versucht hab. Natürlich wäre es- leichter das alles zu beenden. Vor allem, weil ich nicht einmal ansatzweise irgendetwas für die Person empfinde, die sie meistens ist. Weder für die manische, aufgedrehte Version, die mich meistens so nervt, dass ich es nicht einmal ein paar Stunden in ihrer Nähe aushalte. Und auch nicht für die depressive Version, die mich nicht ansieht und nicht mit mir redet. Beide Versionen zeigen auch absolut kein Interesse an mir, das macht es nochmal schwieriger. Aber so einfach ist das nicht, ich kann sie nicht einfach verlassen. Einerseits, weil sie früher mit mir alles durchgestanden hat, egal wie schwierig es wurde. Andererseits, weil ich auch- eine gewisse Schuld daran habe, dass sie überhaupt krank ist. So eine manische Depression ist zwar genetisch bedingt, aber meistens hat es mit dem Umfeld zutun, ob und wann die Krankheit ausbricht. Stress begünstigt das, Schwierigkeiten in einer Beziehung, in der Familie oder auch der Konsum von Drogen. Als wir uns kennen gelernt haben, hab ich sie regelrecht dazu gedrängt auch mal was zu nehmen. Sie wollte nie, aber die 16-jährige Version von mir hat sie ausgelacht und ihr vorgeworfen, wie langweilig sie wäre. Einmal - da waren wir noch nicht richtig zusammen - hab ich sie einfach auf einer Party sitzen lassen und bin mit einem anderen Mädchen mitgegangen, weil die Pillen dabei hatte. Das war wie- ein Zwang für sie damals. Sie war verliebt in mich und sie dachte, dass sie keine Chance hat, wenn sie das alles weiterhin ablehnt. Hätte sie wahrscheinlich auch nicht gehabt. Aber die ganzen Drogen und der Stress, der nunmal dazu gehört, wenn man mit jemandem zusammen ist, der sich regelmäßig halb tot prügelt, haben letztendlich ihre erste manische Phase begünstigt. Da ging das alles los. Und es fühlt sich- falsch an mich jetzt aus der Verantwortung zu ziehen." Damit hatte ich nun zwar eindeutig meinen Grundsatz überschritten, dass es sinnvoller wäre mich nicht zu sehr vor Lahja zu öffnen, um ihr Verhältnis mir gegenüber nicht zu gefährden, aber auf eine gewisse Art tat es auch unfassbar gut mit ihr darüber zu reden. Mit jemandem, der uns und unsere Geschichte nicht kannte. Der wusste, wie es war, mit einer depressiven Person zu leben. Und der auch eine Ahnung davon hatte, wie es sich anfühlte in der Schuld von jemandem zu stehen, weil wir mit unseren Aggressionen nunmal verdammt anstrengend sein konnten. So wie sie mit ihrem Ex-Freund. "Wir trainieren so oft wie möglich. Ich erstell dir heute Abend einen Plan, stell dich schonmal auf viel Sport ein. Sechs Mal die Woche." Nach all den komplizierten Worten über meine Beziehung, sah ich Lahja jetzt wieder mit einem Grinsen auf den Lippen an. "Wo wohnst du? Wenn du nicht zu weit von mir entfernt wohnst, dann gehen wir zusammen joggen, sonst musst du das alleine machen. Mindestens ein Mal die Woche 10 Kilometer, am Kardio Tag, gerne aber auch öfter. Dann machen wir einen Tag Agility, einen Tag Ausdauertraining, einen Tag Box- und Krafttraining. Dann Zirkeltraining und auch einen Tag nur für die Statik und fürs Dehnen. Ich geb dir morgen einen Plan, wo alles detailliert drauf steht, und da wird sich dran gehalten. Falls du das nicht tust, gibts Strafaufgaben. Und die bleiben auch fürs Zu-Spät-Kommen bestehen, ja. Ich hab Besseres zutun, als auf dich warten zu müssen." Obwohl ich mit einem strengen Ausdruck in Lahjas Gesicht sah, konnte ich mir ein schwaches Lächeln doch nicht verkneifen. Innerlich musste sie mich gerade verfluchen. "Essenspläne gibt es nicht, erstmal. Aber es würde dir gut tun ein wenig drauf zu achten, aus welchen Lebensmitteln du deine Energie ziehst. Glaub mir, du wirst einen Unterschied merken." Prostend hielt ich meine Plastikschale mit dem Salat hoch, von dem ich mir den Rest in den Mund schaufelte, während sie über die boshaften Menschen sprach, mit denen sie bereits Bekanntschaft gemacht hatte. Und obwohl ich ihr eingestehen musste, dass sie tatsächlich ein schwieriges Umfeld pflegte, hob ich am Ende meine Schultern ein wenig an. "Ich sag nicht, dass Menschen nichts Böses tun, das schon. Vor allem, wenn sie in Gruppen unterwegs sind und sich dadurch mächtiger fühlen, als sie eigentlich sind. Ich glaube auch, dass es sehr- kranke Menschen gibt. Psychisch krank. Die sind aber nicht böse, sondern wissen es einfach nicht besser. Ich bin nur fest der Meinung, wie du auch, dass man nicht so geboren werden kann. Jeder ist im Herzen gut und ich glaube auch, dass man in jedem etwas Gutes findet, wenn man seine Geschichte kennt. Wenn man dich nicht kennt, was würde man über dich denken? Dass du gewalttätig bist, aggressiv, du warst sogar sechs Monate im Knast. Für die meisten Menschen hieße das 'Oh Vorsicht, von der halten wir uns fern', aber wenn man deine Geschichte kennt, dann versteht man eventuell auch, was dich dazu gebracht hat. Und dass du tief in dir drin eigentlich nicht so sein willst. Möglicherweise ist das bei vielen Leuten aus deiner Gang genauso."
ZACHARY WILLIAM COLES # 28 YEARS OLD # STRAIGHT EDGE
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