RE: UNDERGROUND POKER
Na bitte. Obwohl es mir gehörig gegen den Strich ging wie dieser fremde Mann seine rauen Finger über meine Schenkel zog, hatte ich damit wohl endlich etwas gefunden, womit ich Lenn triezen konnte und lächelte daher innerlich schon siegessicher. Dieses unerlaubte Anfassen von anderen Männern, das mochte für die Durchschnittsfrau vielleicht traumatisch sein, vielleicht würde sie sich auch missbraucht oder degradiert fühlen, aber in meinem Job gehörte das dazu. Man musste für sich selber eine Grenze setzen, was man noch eigenhändig charmant vereiteln konnte, ohne den Missmut der Kunden auf sich zu ziehen, und was dann letztendlich so weit ging, dass man sich energisch zur Wehr setzte oder die Security zur Hilfe holte. Und so weit war dieser Herr hier noch nicht gegangen. Ich versuchte einfach seine Hände vor mir zu schieben und mich mit solch ironischen Floskeln wie Nur gucken, nicht anfassen aus der Affäre zu ziehen, während ich mich hinter der Fassade bereits darüber freute, dass der Gesichtsausdruck von Lenn immer finsterer wurde, als dann alles auf einmal aus dem Ruder lief. Scheiße. Es war nie mein Plan gewesen, dass er sich auf einmal so wütend erhob, dass er sich verbal einmischte und damit einen Konflikt provozierte, der nicht nur darin endete, dass der fremde Mann nach einem gezielten Fausthieb taumelnd auf seinen Stuhl zurück fiel, sondern auch, dass auf einmal rotes Blut auf Lenns Brust durch sein Oberteil sickerte. Scheiße! Ganz benommen starrte ich auf die Stelle, bevor er mir mit seiner Hand den Blick darauf nahm, das war dann auch derselbe Moment, in dem am Tisch die große Aufregung begann. Lenn tat vermutlich das Richtige, indem er sich einfach umdrehte und verschwand, ich selber war anfangs aber noch viel zu perplex, um irgendwie darauf zu reagieren. Das kam erst, als man mich zur Seite schob, um dem geschädigten Herren zu helfen, und ich mir gleichzeitig vorstellte, wie Lenn sich jetzt blutend in sein Auto setzte und einfach nach Hause fuhr. Oh nein! So nicht! Eilig stieg ich aus meinen High Heels, ließ sie unachtsam im Raum liegen, flüchtete für einen Moment in den Hinterraum, um mir schnell mein Kleid wieder über zu werfen und mir Jacke sowie Tasche unter den Arm zu klemmen, ehe ich wieder nach draußen lief und dort so schnell wie möglich die schmale Gasse hinab rannte. Nur ein Stück davon entfernt, am Rande der Straße, stand das Auto von Lenn, auf das ich entschlossen zuging, die Beifahrertür aufriss und mich neben ihn fallen ließ. "Bist du vollkommen durchgedreht?", herrschte ich ihn direkt erbost an, ließ meine Tasche in den Fußraum sinken und beugte mich zu ihm hinüber, um seine Hand von der Brust zu ziehen und auf den großen Blutfleck in seinem T-Shirt zu starren. Verdammte Drecksscheiße! "Du blutest!" Ach ne?! "Was ist denn falsch mit dir, man? Warum machst du das? Scheiße, warum begibst du dich immer wieder in solche Situationen? Bist du lebensmüde? Wenn irgendeiner von denen jetzt auf dich losgegangen wäre, denkst du, du hättest dann eine Chance gehabt? Warum kannst du dir nicht einfach mal ein paar Tage Ruhe gönnen? Die Verletzung abheilen lassen? Warum- bist du nur so unfassbar destruktiv zu dir selber?" Ich redete mich immer mehr in Rage, während ich nach meiner Jacke griff, sie zusammen knüllte, und gegen seine blutende Wunde drückte. Anfangs klang meine Stimme noch völlig hysterisch, wütend und verärgert, mit der Zeit konnte man aber immer mehr die Verzweiflung und Enttäuschung heraushören. Genauso wie meine Angst. Um ihn. "Was machen wir jetzt? Du brauchst Hilfe. Wo fahren wir hin?"
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