RE: TATTOO STUDIO
Als die beiden sich Gegenüberstanden, stand sie zwar ruhig da aber in ihr war ein Sturm am toben. Eventuell sah er es in ihren Augen, bestimmt – denn er kannte seine Frau. Matt konnte sehen, wie sich endlich wieder etwas in ihr regte und wie sich endlich wieder Emotionen stellte. Da war nicht dieser Blick aus einer anderen Welt in die Realität und diesmal war da nicht mal Alkohol im Spiel gewesen – ein Bier zählte bei den beiden wohl kaum. Da war mit einem Mal etwas von der Madison, die sie ganz vor der Vergewaltigung von Chris war. Das sie sich an Chas auch noch Rächen wollte, nach allem, was heute passiert war und nachdem sie wusste, was er in ihrem Leben angerichtet hatte, schon damals – verdammt, das hatte so viel von der Madison die damals waghalsig sein Graffiti übermalt hatte und trotz des gebrochenen Armes noch immer ihm die Stirn geboten hatte. „ Okay, wir werden ihn nicht auffliegen lassen, wegen der Drogen aber wir werden ihm nicht diesen Siegeszug gönnen – er hat in dem Studio auch nichts, wegen der anderen Angestellten und er ist zu Misstrauisch.“ Immerhin arbeitete er auch mit einem Junkie wie mir zusammen, Fügte sie in Gedanken hinzu. „ Das Crack, was er mir gegeben hat... das werde ich ihm irgendwie anders zukommen lassen.“ Sie ließ offen, wie, aber nach ihren Worten konnte er sich Sicher sein, Maddi würde sich oder alle anderen nicht in unnötige Gefahr bringen. Sie würde es einfach an ihn Adressiert in den Briefkasten von Brookes alter Kneipe stecken, das schien ihr am Sinnvollsten – niemand würde seine Post öffnen. Er würde dann aber genau Wissen, wer für die Randale verantwortlich war. Das war perfekt.
Im Studio angekommen, packte sie ihre Sachen zusammen und stellte sie vor die Tür. Da war nicht viel und bei ein paar Dingen fragte sie Matt, ob er darauf acht geben konnte, wenn sie nicht da war. Ihre liebsten Zeichnungen oder die Fotos von damals. Er könnte es weg stellen, wo es ihn nicht erinnerte aber es zeugte von großem Vertrauen. Das waren Zeichnungen, die sie ihr Leben nie aus der Hand gegeben hatte und nicht nur, dass er das wusste – er wusste so auch, sie würde diese Dinge abholen kommen. Noch immer ließ sie offen, was sie vorhatte, nachdem das hier überstanden war. Unter der Theke lag ein Baseballschläger, den hatte sie immer dort, wegen ungebetenem Besuch. Matt hatte seine Frau damals ausgelacht und ja, auch jetzt sah er belustigt, wie sie ihn über die Schulter lehnte. Die Straße war Nachts kaum belebt, wegen der Malaktion war sie jedoch ohnehin passend dafür gekleidet. Matt schien das hier eher in ihre Hände zu legen, er kannte Maddis Zerstörungswut und hatte eventuell Angst, etwas abzubekommen oder aber er ahnte, wie wichtig und befreiend sich das in ihr anfühlte. Natürlich verriegelte sie danach die Türen, sie war ja nicht dumm und dann ging der Höllen Lärm auch schon los. Das Glas zersprang, sie huschte hinein. Die Kapuze über den Kopf und den Schal vor dem Mund und man gewann einen Eindruck, wie sie sich damals auf Demos oder Aktionen verhalten hatte. Wie viel Aggression in ihr Stecken konnte. Da war es harmlos, wie sie damals ein paar Stühle umgeschmissen hatte oder Matt vor die Tür verbannt hatte. Die Theke, die Spiegel, die Tische, die Auslage – alles lag in Trümmern. Die teuersten Maschinen waren verschwunden, die besten Stifte. Die Dinge, die sie mit Liebe zum Detail damals für den Laden angeschafft hatte, ohne auf das Geld zu achten. Sie wusste das nicht mal aber das ahnte sie als Person, die noch immer hervorragend in ihrem Job war.
Mit einem vollen Rucksack kam sie zu Matt zurück, fragte ihn, ob sie sich bei ihm Duschen könnte – die Kleider tauschen – damit Chas nicht sie als Verdächtige benennen konnte und man womöglich Glassplitter fand oder ähnliches. Er würde Sicher eher davon ausgehen, nicht bei Matt daheim zu Suchen, nicht nach dem, was er sich hatte ansehen müssen und nachdem sie ihm trotzdem das Studio überließ, um die Stadt zu verlassen. Die Tarnung war perfekt. Ihre Fingerabdrücke? Das wäre ein Scherz, denn sie arbeitete hier immerhin.
Als sie dann mit den nötigsten Dingen zusammen gepackt die Treppe herunter kam, saß Matt wartend in der Küche. Er schien erschöpft und zugleich unfassbar unruhig – was sie ihm nun nehmen würde. Madison ging auf ihn zu, setzte sich neben ihn und griff nach seinem Unterarm. Fuhr behutsam darüber und neigte sogar den Kopf, dass ihr die nassen Haare ins Gesicht rutschten, um ihm einen Kuss auf die freie Hautstelle zu drücken. „ Ich komme wieder – das weißt du. Nicht nur wegen der Sachen, nicht nur wegen der Traumfrau-Geschichte... sondern auch weil Jamie und du, ihr seid mir wichtig. Ich renne auch nicht davon aber ich habe etwas... wichtiges zu erledigen, hm?“ Madison probierte ihn anzulächeln, wenn das nicht so schwer wiegen würde. Wie gerne sie einfach hier geblieben wäre aber das ging nicht. Das ging auch wegen Jamie nicht. Den ersten Schritt, den musste sie alleine gehen aber danach – danach würde sie ihn nicht hier zurück lassen. Sie nahm es sich fest vor und sie war... tatsächlich voller Mut. „ Danke, danke für wirklich alles – ich war so... grauenvoll zu dir, seid dem ich aufgewacht bin, nach dem Unfall und du... hast nicht aufgegeben und auch wenn ich das heute verdient hätte, dass du nur noch Verachtung für mich übrig hast, hast du anders gehandelt und warst für mich da.“ Sie legte den Zeigefinger auf seine Lippen, damit er gar nichts dazu sagen konnte, denn er holte schon Luft. „ Alles... was noch so hier drin ist.. oder hier.“ Nacheinander tippte sie auf Herz und Kopf. „...sage ich dir, wenn ich wieder her komme, hm? Das ist nur fair.“ Sie hoffte so sehr nicht zu Scheitern in diesem Moment. Dann beugte sie sich zu ihm und gab ihm einen Kuss. Nicht einen dieser Flüchtigen sondern einen Sehnsüchtigen – diese Körperstelle hatte Chas nicht berührt und er hatte sich ein Eigentor damit geschossen. Denn das war – so wie damals – nur für die Menschen bestimmt, die ihr am Herzen lagen. Nur für Matt.
Danach machte sie sich zügig aus dem Staub. Erst vor dem Laden rief sie aufgelöst die Polizei. Ihre Sachen in einem Schließfach am Bahnhof, dass keiner mitbekam, dass sie dabei war, abzuhauen. Die Polizisten hatten Mitleid mit ihr – sie war aber auch eine gute Schauspielerin, das war schon mal gut. Weinend lag sie dem einen an der Schulter, verwirrt suchte sie nach Dingen, die fehlten – obwohl sie es genau Wusste. Die Mitarbeiter wurden heim geschickt und dann kam irgendwann der Kerl von Chas geschickt. Der schien genauso nicht zu ahnen, dass sie das alles selber Schuld war und Chas war sich zu fein, selbst seinen Hintern zu bewegen. Gut so. Mit ihrer Unterschrift war dann nämlich alles besiegelt und der Berg an Scherben sein Problem. Madison hatte im Bus die Zeit sich nach Kliniken umzuschauen. Das Diebesgut würde sie verkaufen, wenn sie wieder da war – ihr Plan war es, mit Matt in die Welt zu ziehen und es bei verschiedensten Künstlern aus ihrem Freundeskreis los zu werden. Wenn er denn dazu bereit war. In der Nähe der Kneipe stieg sie aus, warf das Crack in den Briefkasten und dann begann sie erst, das Crack wirklich los zu lassen. Mit Hilfe von Ärzten und Fachpersonal. Was für ein ekliger Begriff. In dem Entzug begann sie aber auch wieder Ideen zu bekommen, Pläne zu schmieden. Sie begann eine Route zu planen, wenn sie hier raus war und ja verdammt, Matt hatte Recht – sie würde jetzt los legen. Bis zu dem Moment, als einer der Mitbewohner das Crack in ihre direkte Reichweite brachte. Bis sie nicht widerstehen konnte und so radikal sie in die eine Richtung dachte, dachte sie auch in die andere. Ein einziger Rückfall ließ sie alle Hoffnungen fallen lassen, ließ sie sich selbst so hart ins Gericht nehmen. Nachdem sie sich gestellt hatte, flog sie mit dem anderen Typ aus der Klinik – der ihr das verdammt Übel nahm. Er durfte nicht noch mehr damit in Kontakt bringen, selber Schuld und sie gab nichts auf seine Verfluchungen. Es gab nun nur noch einen Menschen, dem sie erklären musste, sie sei gescheitert und das war Matt. Danach wartete... das Nichts erneut auf sie, sie sofort wieder zu verschlingen. Das war wohl die längste und härteste Busfahrt. Madison hatte ja auch keinen blassen Schimmer, was sie gleich, in ihrem alten Zuhause, erwartete.
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