RE: TATTOO STUDIO
Es war unfassbar hart für mich diese nahezu perfekte Nacht mit meiner wunderschönen Frau am Strand zu verbringen, ihr nach Monaten endlich wieder so nah zu sein, ihren Körper zu berühren, die Leidenschaft zu spüren, die zweifellos noch zwischen uns existierte, und dann am Morgen zu merken, dass sich doch nichts geändert hatte. Sie würde die Drogen nicht aufgeben. Sie würde keinen Entzug machen. Nicht für mich, nicht für Jamie, nicht für unser gemeinsames Leben, das ich ihr damit zum wiederholten Mal auf dem Silbertablett servierte. Ich erwartete nicht viel von ihr, wirklich nicht, ich war nachsichtiger mit ihr, als jeder andere, aber das war etwas, über das ich nicht hinweg blicken konnte. Wie sollte ich denn auch eine funktionierende Beziehung mit Madison führen, wenn unsere Prioritäten so gegensätzlich waren? Wenn sie sich eher für ihr Crack entschied, anstatt für uns, während mir nichts wichtiger war, als wir? Damit würde ich mich und auch Jamie auf Dauer nur selber verletzen und deshalb ließ ich sie ernüchtert ziehen, als sie in dieser Strandhütte ihre Kleidung zusammen suchte. Ich hielt sie nicht auf, sondern nahm einfach hin wie viel schmerzhafter sich unsere Trennung nach der vergangenen Nacht jetzt auf einmal anfühlte.
Erst als ich mittags nach Hause kam und meine Schwester mit Gus am Küchentisch sitzen sah, Händchen haltend, besserte sich meine Stimmung schlagartig. Die beiden würden es noch einmal miteinander probieren, die Überraschung von Gus war voll geglückt und Jamie strahlte bis übers ganze Gesicht. Das war so schön zu sehen, dass ich die gute Stimmung ausnahmsweise nicht mit meinen Problemen belasten wollte und nur eine Halbwahrheit erzählte, obwohl ich eigentlich nichts mehr hasste als Unehrlichkeit. Ich erzählte den beiden, dass die letzte Nacht schön gewesen war, ich redete von unserem sportlichen Trinkspiel und der Limousinen-Technoparty am Strand, nur den Rest, den ließ ich aus. Ich bedankte mich, dass die beiden uns einen letzten schönen Abend miteinander ermöglicht hatten, aber ich ließ sie auch wissen, dass sich trotzdem nichts ändern würde. Dass die Trennung endgültig war. Und dass sie das jetzt, wie versprochen, einfach akzeptieren mussten.
Das mit der Akzeptanz war allerdings viel leichter gesagt, als getan. Auch für mich. Es war schon vor dem Abschlussball nervenzerrend und unglaublich hart gewesen mit dem Verlust unserer Ehe umzugehen, aber jetzt konnte ich nicht einmal mehr Jamie und Gus nerven oder die beiden dazu zwingen sich mit mir abzulenken. Ich versuchte es zwar immer wieder, platzte anfangs auch mehrmals unangemeldet in ihr Zimmer hinein oder störte ihre gemütlichen Couch-und-Film-Abende, aber ein bisschen Taktgefühl besaß selbst ich und ließ ihnen diesmal etwas mehr Freiraum. Obwohl ich mich nach der Nacht im Strandhaus nur noch grauenhafter fühlte. Mir fehlten Madisons Lippen, ihr Geschmack, ich vermisste es ihre Haut zu berühren, ihren Herzschlag auf meiner Brust zu spüren, ihre weichen Haare, ihre wunderschönen Augen. Mir fehlte ihr Lachen, ihr Wahnsinn, sogar ihre Wut. All die Leidenschaft, die zwischen uns immer existiert hatte. Ich litt noch viel mehr als jemals zuvor, ich wollte sie zurück und natürlich sprang ich deshalb auch sofort auf, als mich auf einmal ihre SMS erreichte. Ich sollte kommen? Ins Studio? So schnell wie möglich? Weil mich ihre Worte verunsicherten, versuchte ich sie anzurufen, aber ohne Erfolg. Sie nahm nicht ab und mir blieb damit nichts anderes übrig, als mich tatsächlich auf dem schnellsten Weg zu ihrem Studio zu begeben. Alle möglichen Szenarien spielten sich unterwegs in meinem Kopf ab, darüber, was ihr geschehen sein konnte. Hatte sie sich doch umentschieden? Wollte sie mit mir zusammen sein? Und mit Jamie? Hatte sie Probleme? Finanzielle Probleme? Zog sie doch einen Entzug in Erwägung? Was konnte geschehen sein, dass sie gerade mich rief?
Atemlos, weil ich auf meinem Skateboard so hierher gehetzt war, drückte ich die Tür auf, sah einmal um mich, aber weil ich im vorderen Bereich des Studios niemanden entdecken konnte, ging ich direkt nach hinten durch und- blieb wie erstarrt in der Tür stehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, meine Kehle wurde ganz trocken und mein gesamter Körper zog sich unangenehm zusammen. Fuck. Da stand Chas, mit geöffneter Hose und drückte seine Finger hart in den nackten Körper meiner Frau. Er hob den Blick, als er mich sah und lächelte dieses kalte, unsympathische, triumphale Lächeln, das ich ihm am liebsten sofort aus dem Gesicht geschlagen hätte, aber dafür war ich mit der Situation viel zu überfordert. Ich konnte mich anfangs gar nicht rühren, weil mit diesem Anblick nicht nur all meine gerade erbauten Hoffnungen zunichte gemacht wurden, sondern weil ich dadurch auch schlagartig merkte, wie schlecht es Madison ging. Nur in den tiefsten Abgründen ihres Lebens hatte sie sich auf so etwas eingelassen wie das, was sich gerade vor meinen Augen abspielte: Erstmalig während ihrer Sucht, nach der Vergewaltigung von Chris, und dann noch einmal, nachdem wir unser Kind verloren hatten. Beides konnte man zweifellos als die schlimmsten Zeiten ihres Lebens betiteln und genau das sollte jetzt also wieder geschehen. Verdammte Scheiße! Ich hatte mich gerade wieder gefangen, als Chas sich aus Madison zurückzog, hatte gerade meine Fäuste geballt, als der Blick meiner Frau für eine Sekunde erschrocken an mir hängen blieb, und wollte mich gerade umdrehen und wortlos wieder gehen, um meine Wut anders herauszulassen, als Kilian es üblicherweise tat, aber Chas gelang es, dass ich doch bewegungslos in der Tür stehen blieb. "Wie ich sehe hast du meine Nachricht bekommen, hm?" Sein Kinn war so erhaben nach oben gereckt, dass ich ihm am liebsten vor die Füße gekotzt hätte. "Wenn deine Frau mich um etwas bittet, dann kann ich ihr das einfach nicht ausschlagen." Bis jetzt war mir nicht recht klar gewesen, was es diesmal für einen absurden Deal zwischen den beiden gab. Ob es um Drogen ging oder ob Madison wieder das Gefühl hatte sich selber für irgendetwas bestrafen zu müssen. Doch als Chas den Raum durchquerte und aus einer Tasche zwei Tütchen mit gelblichen Klumpen herausholte, die er Madison achtlos vor die Füße warf, war die Frage auch beantwortet. "Ich schicke dir morgen jemanden mit den nötigen Papieren vorbei, die du besser unterschreiben solltest, Madison. Wir hatten einen Deal, mit Handschlag, und ich hab mich an meinen Teil der Abmachung gehalten. Du weißt, was auf der Straße mit Leuten passiert, die sich nicht daran halten." Demütigend sah er zu ihr hinab, während sie noch immer dabei war sich wieder anzukleiden, ehe er sich mir zuwandte. "Und Matt, vielleicht solltest du Summer erzählen, was du gesehen hast. Das könnte sie vielleicht interessieren. Wenn sie verhindern will, dass so etwas nochmal passiert, dann soll sie sich bei mir melden. Madison ist schon- verbraucht, da macht es keinen großen Unterschied mehr, ob ich sie nochmal hart rannehme oder nicht, aber- du willst doch bestimmt nicht, dass jemand anderem was passiert, der dir wichtig ist, oder? April? Lahja? Jamie?" Vor allem bei dem Namen meiner Schwester hob er seine Mundwinkel wieder bedrohlich an, aber anstatt ihm das zu geben, was er wollte - meine Wut - blieb ich noch immer regungslos stehen. Wortlos beobachtete ich wie das kalte Lächeln auf seinen Lippen langsam nachließ, weil ich nicht so agierte wie er es beabsichtigte, und rührte mich erst dann wieder, als er aus der Tür hinaus an mir vorbei gegangen war. Mein Blick wechselte zwei Mal zwischen Madisons Gesicht und den Tütchen vor ihr auf dem Boden, ehe ich mich von ihr abwandte und mir mit den Handflächen fest über das Gesicht rieb. Mein Atem stockte erneut, mein Herz schlug noch immer schwer in der Brust und nachdem ich auch hörte wie die Ladentür ins Schloss fiel, musste ich zumindest nicht mehr die unnahbare Fassade wahren, mit der ich Chas die Angriffsfläche nehmen wollte. "Was- was war der Deal? Neben den Drogen? Was noch?" Rau und kratzig klang meine Stimme, als ich noch einmal kurz in Richtung meiner Frau sah.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
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