Thema geschlossen 
ZIRKUS
Verfasser Nachricht
Aiden Rutherford
PLEASE DON'T GO


Beiträge: 193
Registriert seit: Jun 2015
Beitrag #1
ZIRKUS
Tief in mir wusste ich natürlich, dass ich kein Recht hatte Haily Vorwürfe zu machen. Ich wusste auch wie sie war, wie sie ihr Leben lebte und dass sie keinen Fehler begangen hatte. Ich war nicht wütend auf sie, ich war einfach- verletzt. Ich war eifersüchtig und verzweifelt und ich wünschte mir an Noahs Stelle sein zu können und gleichzeitig hasste ich es, dass gerade er da mit ihr im Bett liegen musste. Ihn zu sehen erinnerte mich an Lucy und ich wollte ihn nicht in meinem Leben, ich wollte nichts mit ihm zutun haben. Und ich wollte vor allem nicht, dass er mit der Frau schlief, die ich wirklich gern hatte. Egal wie platonisch diese Zuneigung zwischen den beiden sein mochte, das änderte nichts daran wie sehr das verdammt nochmal wehtat und wie ich erneut spüren musste, weshalb ich mich all die Jahre an niemanden binden wollte. Anstatt mich wieder in Drogen zu flüchten, ging ich jedoch auch in dieser Nacht einfach nach Hause und drehte meine Musikanlage auf vollste Lautstärke, so laut, dass ich meine eigenen Gedanken darüber nicht mehr hören konnte. Das penetrante Klopfen der Nachbarn ignorierte ich einfach, bis zwei Stunden später die Polizei vor meiner Tür stand und um Ruhe bat. Zehn Minuten lang schaltete ich verständnisvoll die Anlage aus, aber als ich mir sicher sein konnte, dass die Bullen sich nicht mehr in der Nähe des Gebäudes befanden, schallte die Musik nur noch lauter durch meine Wände. Erst, nachdem ich so viel gekifft hatte, dass ich darüber einschlief, drehte ich im Halbschlaf dann doch den Ton mit der Fernbedienung herunter.
Als es am nächsten Morgen viel zu früh klingelte ging ich deshalb auch erst davon aus, dass meine Nachbarn sich bei mir rächen wollten, zog daher auch das Kissen über meinen Kopf und drehte mich einfach im Bett um, aber derjenige, der dahinter stand, ließ einfach keine Ruhe. Mehrere Minuten drückte er in regelmäßigen Abständen auf die Klingel, bis ich endlich genervt stöhnend aufstand, wütend durch den Flur zur Tür stapfte und sie aufriss, um mich lauthals zu beschweren, aber schon im Keim erstickt wurde, weil dahinter nicht etwa ein übermüdeter Nachbar stand, sondern Noah. Ebenso übermüdet, aber definitiv kein Nachbar. Ich wollte mir eigentlich gar nicht anhören, was er zu sagen hatte, und war schon drauf und dran die Tür vor seiner Nase wieder zu schließen, aber ungebeten drängte er sich an mir vorbei in die Wohnung, ließ mich gar nicht zu Wort kommen, sondern begann mit einem ewig langen Vortrag darüber, dass ich - seiner Meinung nach - kein guter Mensch war und dass ich mich jetzt endlich mal zusammen reißen musste. Er erzählte mir wie sehr Haily unter meinem Verhalten litt, nicht nur letzte Nacht, sondern schon die letzten zwei Wochen. Dass ich sie verletzt hatte, weil sie mich aus irgendeinem ihm unerklärlichen Grund wirklich mochte, dass sie sich seit meinem Verschwinden schon mit Bauchkrämpfen herum schlug und dass sie vor wenigen Stunden sogar abgehauen wäre, aus ihrem geliebten Haus, wegen mir und dem Stress, den ich ihr gerade zumutete. Das war der Moment, in dem ich damit aufhörte immer wieder spöttisch zu lachen und den Kopf zu schütteln, sondern die Arme vor meiner Brust verschränkte, schwer schluckte und nur noch fast regungslos auf den Boden starrte. Sie war gegangen? Sie wollte die Stadt verlassen? Dieses Haus verlassen? All das, was sie in den letzten zwei Wochen darin aufgebaut hatte? Noah schien zu merken, dass sich etwas in mir änderte, denn auch seine Stimme wurde ein wenig ruhiger und anstatt mir Vorwürfe zu machen, ging er jetzt dahin über mir Haily und ihre abstrusen Gedanken noch näher zu bringen. Ihr Hippie-Leben unterschied sich grundlegend von meinem, oft konnte ich ihre Entscheidungen nicht nachvollziehen und vielleicht würde ich auch niemals verstehen können, was wirklich in ihr vorging, aber sie war ein guter Mensch. Sie war wohlmöglich der beste, liebenswerteste, freundlichste und offenste Mensch, den ich je kennen lernen würde, und obwohl Noah Angst davor hatte, dass ich sie mit meiner negativen Art herunter ziehen oder sogar ganz zerstören würde, bat er mich eindringlich mit ihr zu reden. Er bat mich sie zu finden und zurück zu holen, meine Fehler wieder gerade zu biegen. Und vor allem bat er mich darum ihr zu zeigen, dass ich sie nicht hasste und dass ich nicht wütend auf sie war. Wenn ich mit ihrem Leben nicht zurecht kam, dann war das in Ordnung, dann sollte ich ihr das sagen, aber so einen Abschied hatte sie nicht verdient. Vor allem nicht Haily. Diesmal sollte ich es richtig machen und ohne es auszusprechen, wusste ich sofort, was er meinte. Lucy. Das hier war schließlich nicht das erste Mal, dass ich auf meinen Stolz beharrte und damit andere Personen mutwillig verletzte. Ich sollte diesen Fehler nicht noch einmal begehen. Lucy hatte mir vielleicht mehrmals verziehen, aber Haily war so nicht. Sie nahm diese Dinge noch persönlicher als meine verstorbene Freundin, sie konnte meine Wut weder nachvollziehen noch verstehen und sie litt darunter, körperlich und seelisch. Genauso wie Lucy damals unter meinem Verhalten leiden musste. Es war kein Geheimnis, dass ich mir bis heute Vorwürfe dafür machte wie ich unter den Drogen mit ihr umgegangen war, gleichgültig und verletzend. Bis heute war ich mir sicher, dass sie jetzt noch leben würde, wenn ich mich nie so in diese Sucht gestürzt hätte. Dann hätte sie sich niemals wieder auf Chris eingelassen, er hätte sie niemals wieder so tyrannisieren können und vor allem hätte er sie niemals umgebracht. Die Chancen waren sehr gering, dass sich diese Geschichte mit Haily wiederholte, aber die Erinnerung zeigte mir wie viel ich bereits zerstört hatte und genau deshalb nickte ich irgendwann auch zögerlich. Ich hatte doch nichts zu verlieren, außer meinen Stolz, im Gegensatz zu Haily, die gerade alles verlor, was sie sich hier aus ihren Träumen errichtet hatte.
Noah und ich sprachen ab, dass wir getrennt voneinander nach ihr suchen würden, er würde die Stellen abklappern, an denen Tramper gerne standen, um mitgenommen zu werden, während ich zu dem Hotel von Chas ging und danach am Bahnhof gucken sollte, doch schon auf dem Weg zu Hailys Bruder blieb ich vor ein paar Plakaten stehen, die einen Zirkus in der Stadt ankündigten. Gestern war der letzte Auftritt, heute würden sie also zusammen räumen und weiter reisen. Was, wenn Haily das Plakat auch gesehen hatte? Würde sie nicht sofort darauf anspringen? Wäre das nicht eine günstige und vor allem aufregende Option, um die Stadt zu verlassen? Unsicher sah ich einmal die Straße hinab, aber auf die Gefahr hin, dass sie gerade tatsächlich bei Chas saß, drehte ich mich auf der Stelle um und fuhr mit dem Bus zu dem öffentlichen Platz, an dem gestern noch ein großes Zelt gestanden hatte. Unheimlich viele Leute waren gerade dabei die Überreste zu entfernen und alles wieder sicher zu verpacken, so viele, dass ich völlig überfordert am Rande der Wiese hin und her lief, irgendwo zwischen den alten Wagen nach Haily suchte und wollte schon gerade wieder aufgeben, als ich doch auf einmal wie erstarrt stehen blieb, weil dort mitten auf der Wiese ein Rollwagen stand. Der war vielleicht nichts Besonderes, aber das, was darauf lag, das schon: Eine Matratze. Nicht irgendeine Matratze, sondern die, die ich gestern durch die halbe Stadt bis in ihr Zimmer geschleppt hatte. War das ihr Ernst? Sie nahm die scheiß Matratze mit? Auf ihre Reise? Fassungslos schüttelte ich einmal den Kopf und gerade in dem Moment bewegte sich ein blondes Mädchen - eindeutig Haily - darauf zu und versuchte mit aller Kraft den Wagen durch die unebene Wiese zu einem Auto zu ziehen. Sie sah so ungeschickt dabei aus, dass ich schon wieder kurz davor war in Gelächter auszubrechen, in das Lachen, das nur sie aus mir heraus kitzeln konnte, aber dafür war die Situation doch noch zu angespannt. Und anstatt ihr noch länger dabei zuzusehen, ging ich auch lieber über die Wiese direkt auf sie zu und legte von hinten meine Hand über ihre Finger, nicht um ihr zu helfen, sondern viel eher, um sie aufzuhalten. "Die Matratze, Haily? Wirklich? Du nimmst die Matratze mit, wenn du gehst?"


AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE

[Bild: aiden04.png]
21.02.2016 15:43
Thema geschlossen 


Nachrichten in diesem Thema
ZIRKUS - Aiden Rutherford - 21.02.2016 15:43
RE: ZIRKUS - Haily Stone - 21.02.2016, 22:29
RE: ZIRKUS - Aiden Rutherford - 22.02.2016, 01:11
RE: ZIRKUS - Haily Stone - 22.02.2016, 07:13
RE: ZIRKUS - Aiden Rutherford - 22.02.2016, 11:07
RE: ZIRKUS - Haily Stone - 22.02.2016, 18:52
RE: ZIRKUS - Aiden Rutherford - 23.02.2016, 11:11