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SAN FRANCISCO SQUAT HOUSE
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Noah Scott
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Beitrag #71
RE: SQUAT HOUSE
Was sich in meinem betrunkenen Körper und meinem benebelten Kopf noch so gut angefühlt hatte, wurde am nächsten Morgen ganz automatisch von der wiederkehrenden Vernunft zunichte gemacht: Apple war nicht nur zu jung, sie schleppte dank ihres bisherigen Lebens auch eine riesige Last auf ihren Schultern herum, der ich mich nicht gewachsen fühlte. Jahrelange Prositution in so jungem Alter, das musste seine Spuren hinterlassen und dieses Mädchen hatte noch nicht einmal angefangen ebendiese Erfahrungen aufzuarbeiten. Das sollte jetzt Priorität haben. Nicht ich und nicht wir. Nicht so etwas wie eine sexuelle oder romantische Beziehung zwischen uns. Ich glaubte, dass diese Nähe zwischen uns nur kontraproduktiv für sie sein konnte und dass sich in ihrem attraktiven Körper eine sehr unsichere und vor allem sehr verletzliche Person befand, die erst einmal lernen musste sich selber zu lieben, bevor sie jemand anderem ehrliche Zuneigung schenken konnte und deshalb schob ich auch all das, was betrunken so verlockend geschienen hatte, doch wieder weit von mir. Als ich Apple am Morgen mit schmerzhaften Kater-Kopfschmerzen beobachtete und auch sie nicht weniger litt als ich, zweifelte ich sowieso daran, dass sie sich noch an die Nacht erinnerte. Und weil auch sie nicht das Gespräch zu mir suchte oder irgendwelche Anspielungen darauf machte, worüber wir noch vor wenigen Stunden auf dem Sofa im Wohnzimmer gesprochen hatten, tat ich einfach so als wäre das nie geschehen. Dass sie ein wenig Abstand zu mir nahm, brachte ich sicher nicht damit in Verbindung, genauso wenig wie ihre vermehrte Kontaktaufnahme mit anderen Bewohnern.
So etwas wie Eifersucht hatte ich sowieso gänzlich aus meinem Leben verbannt. Ich mochte Apple zwar - das konnte ich auch nicht vor mir selber leugnen -, aber es beeinflusste mich nicht, dass sie im Moment nicht mehr jede Nacht neben mir auf der Matratze schlief, sondern sich auch mal in anderen Betten aufhielt. Es freute mich viel eher, dass sie immer offener wurde und dass sie sich, wie jeder andere Jugendliche auch, ein wenig auslebte, denn nur weil ich mich dem nicht gewachsen fühlte, was da zwischen uns vorging, hieß das nicht, dass das für jeden Mann galt. Jemand anderes könnte ihr vielleicht sogar dabei helfen, auf dem Weg dahin sich selber zu lieben. Jemand, der nicht so emotional und sensibel war wie ich und der nicht direkt sein ganzes Herz in so enge Freundschaften oder Beziehungen legte. Jemand, der ihr einfach zeigte, wie Sex wirklich funktionierte und dass es sich auch für sie gut anfühlen sollte, was da zwischen zwei Menschen geschah. Manchmal sorgte ich mich zwar darum, dass dieser jemand sie eventuell nur ausnutzte, aber ich hatte doch sowieso nicht das Recht mich einzumischen. Das war ihre freie Entscheidung. Und mit Sicherheit würde sie auf ihrem Weg einige Fehler begehen und viele Dinge bereuen, aber auch das gehörte in das Leben eines 17-jährigen Mädchens. Das waren ihre Fehler und niemand durfte ihr die nehmen, auch ich nicht.
Diesen guten Vorsatz einzuhalten wurde jedoch verdammt schwer, als ich eines Abends mit ein paar anderen Bewohnern in der Küche saß, kiffte, und dann plötzlich einer von ihnen begann über Apple zu sprechen. Insbesondere darüber, welche Qualitäten sie beim Sex mitbrachte. Anfangs versuchte ich die eindeutig sexistischen Kommentare einfach zu überhören, jeder von uns hatte schon ein bisschen Alkohol getrunken und bei manchen Männern provozierte das nunmal so ein prolliges Machogehabe, aber je mehr die Runde begeistert lachte oder anerkennende Reaktionen von sich gab, desto mehr verspannte ich mich. Noch immer nicht aus Eifersucht, sondern weil ich es einfach nicht ausstehen konnte, dass hier über sie geredet wurde als wäre sie ein Objekt. Weil sie gerade das doch eigentlich hinter sich lassen sollte. Es sollte aber noch schlimmer kommen, denn auf einmal wurde sie tatsächlich - wenn auch nur ironisch - als Prostituierte bezeichnet und während ich noch angespannt versuchte zu verstehen, weshalb Apple sich überhaupt schon wieder in der Nähe des Straßenstriches aufhielt, räusperte sich auf einmal ein anderer Mitbewohner, der Tisch verstummte und alle starrten in Richtung der Tür, wo für ein paar kurze Sekunden genau das Mädchen im schwachen Licht erschien, über das gerade noch so hetzerisch gesprochen wurde. Scheiße. Die anderen Jungs schienen das wohl unheimlich lustig zu finden und fingen auch nach ein paar vielsagenden Blicken untereinander lauthals an zu lachen, aber in mir drehte sich gerade alles um. Ich war niemand, der laut wurde oder der jetzt jedem eine Abreibung erteilte, aber wenigstens knallte ich hörbar laut meine Bierflasche auf den Tisch, stand auf und schüttelte verurteilend meinen Kopf, ehe ich ohne ein Kommentar aus dem Raum verschwand. Scheiß Kerle, scheiß sexistische Kackwelt. Warum fiel es in der heutigen Zeit nur so schwer einander mit Respekt zu behandeln? Unabhängig vom Geschlecht? Doch auch das rutschte eher in den Hintergrund, während ich nach oben lief, denn allem voran fragte ich mich noch immer, weshalb Apple sich an Orten aufhielt, die sie von nun an eigentlich meiden wollte. Und genau damit wollte ich sie eigentlich auch konfrontieren, aber so sehr mich das auch beschäftigte, als ich mit meinen Knöcheln zwei Mal gegen den Türrahmen klopfte, um mich anzukündigen, lehnte ich doch als Erstes mitfühlend meinen Kopf ein wenig zur Seite. "Bist du okay?" Warum suchte sie da denn gerade in ihren Klamotten herum? Wollte sie weg? Mit meinen Augen verfolgte ich ihre Bewegungen ganz genau, während ich einfach weiter sprach. "Wie lange standest du da schon? Das war- scheiße. Der hätte die Dinge nicht sagen sollen. Und- ich hätte mich einmischen müssen. Entschuldige. Ich fand es schrecklich wie die über dich geredet haben." Ein kurzer, ehrlicher Blick in ihre Augen, ehe ich doch wieder auf ihre Hände sah. "Was machst du da?"
31.05.2016 00:50
Apple Jean White
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Beitrag #72
RE: SQUAT HOUSE
Als es dann tatsächlich an der Tür leise Klopfgeräusche machte, schloss Apple die Augenlider schwer und schüttelte den Kopf – egal, wer da hinter ihr an der Tür klopfte, sie wollte weder Noah noch den Jungen ansehen, mit dem sie sich auf die Affäre eingelassen hatte. Beides war unangenehm, wobei sie zweiterem eventuell die Augen ausgekratzt hätte. Nein, Apple war noch immer nicht die Person, die sich danach wohlgesonnen in eine Ecke setzte und genau, wie sie bis zuletzt Lahja wegen ihrem Vater Rache geschworen hatte, diesem Kerl auch. Heute wie damals war sie nur klug genug, sich das in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Was Noah aber anging, da wusste sie gar nicht, wie sie reagieren sollte – weil sie mit den Emotionen in ihrem Herzen nicht klar kam. Außerdem, was war das hier für eine Welt? War das eine, in die es sich lohnte, hinein zu geraten? Mit Verletzungen durch andere Menschen, wenn diese auch nicht der selben Natur waren, wie damals durch die Heimkinder? Von den Menschen abgewiesen, zu denen man sich verbunden fühlte – wie Noah und ihren Vater oder von denen verspottet, denen man sich ein wenig annäherte, wenn auch nur körperlich? Nein, da lohnte sich eine Welt mit festen Regeln doch eher. Geld gegen Dienstleistung. Gefühle für sich selbst und sonst Emphatisch für nichts und niemanden. Energisch schob sie deshalb mehr ihrer Habseligkeiten in die Tasche, bis sie Noah´s Stimme dann doch wahrnahm. „ Ich stand schon... eine ganze Weile dort und wenn es so schrecklich für dich war, hast du eine ganze Weile zugehört. Aber so sind Männer und das sind... Männer. Es ist okay. Ich bin okay.“ Und erstmals begann sie wieder, ihn damit einzuschließen, was sie für ein Bild von diesem anderen Geschlecht hatte. Apple war zwischen der Wut und der Demütigung irgendwo gefangen und wusste nicht ob sie deshalb Traurig oder Aggressiv war, es war wohl eine Mischung aus beidem. Es verrieten die Unsicheren Augen, die immer wieder seinen auswichen, in Kombination mit der härte, mit der sie ihre Sachen tief in die Tasche schob. „ Ich möchte hier gerade einfach nicht sein, ich Glaube das ist nicht mal so schwer zu verstehen, oder?“ Das Apple ihre Sachen gerade zu einem Zeitpunkt packte, der ihrem Vater besser nicht hätte zuspielen können, das konnte sie ja nicht im Geringsten ahnen und das er auch im Rechten Augenblick kommen würde, in dem sie sich freute, ihn zu sehen, weil sie alle ihre Hoffnung an ihn klammern konnte, dass auch nicht.
31.05.2016 21:38
Chris John Millington
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Beitrag #73
RE: SQUAT HOUSE
Nachdem ich meine Tochter vor die Tür gesetzt hatte, aufgrund ihres Ungehorsams mir gegenüber und weil sie meine Regeln und Erwartungen einfach mit Füßen trat, vergingen tatsächlich mehrere Tage, bevor ich meine Entscheidung anzweifelte. Es war bei mir nicht so wie bei Apple, die sich schon im Treppenhaus wünschte, dass ich ihr hinterher lief und sie einfach aufhielt, aber mein Leben war schließlich auch nicht so von ihr abhängig wie ihr Leben von meinem abhängig war. Ich hatte eine Wohnung, einen Job, ich war zufrieden und ich brauchte meine Tochter nicht, während sie wiederum erneut vor dem Nichts stand. Das sollte eigentlich hart für mich sein und ja, das war es anfangs auch, deshalb hatte ich nach ihrer kryptischen SMS, dass sie für ein paar Tage die Stadt verlassen würde, auch sofort nach ihr suchen lassen, aber ich konnte nicht gut damit umgehen, wenn man mich nicht respektierte. Wenn man mich nicht so behandelte wie ich es verdiente. Und als die Polizisten sie vor meiner Tür ablieferten und meine Tochter auf einmal zickig reagierte, anstatt sich hörig für ihr Fehlverhalten zu entschuldigen, da brannten bei mir deshalb die Sicherungen durch. Ich hatte so viel für sie getan. Ich hatte ihr Geld gegeben, hatte sie bei mir wohnen lassen, neue Möbel gekauft, Kleidung, ich ermöglichte ihr eine Ausbildung und ein geregeltes Leben und das hier sollte der Dank dafür sein? Drogen, Alkohol, fremde Männer? Und dann lief sie auch noch davon? Widersetzte mich meiner Anordnung? Das war nicht meine Vorstellung einer perfekten, harmonischen Familie und ich wollte keine Tochter, die mich behandelte wie Dreck. Egal, ob sie mein Fleisch und Blut war oder nicht. So etwas passte nicht in mein Leben und darum musste sie auch wieder verschwinden. Damit stattdessen erneut Ruhe einkehren konnte. Damit ich mich darauf besinnen konnte eine Frau zu finden, mit der ich dann eben eine neue Familie gründete. Eine, die genau so war wie ich es mir schon seit Jahren vorstellte. Ein perfektes kleines Haus, perfekte Kinder, eine attraktive Frau am Herd und einen Hund. Das war mein Wunsch, nicht so ein rebellisches pubertierendes Mädchen wie Apple, die vielleicht einfach schon zu alt war, um sie richtig zu erziehen.
Ganz so leicht war das allerdings doch nicht und auch ich musste nach ein paar Tagen ihrer Abwesenheit feststellen, dass es wohl tatsächlich so etwas wie echte Gefühle in mir gab. Sie mochte sich vielleicht gegen meine Regeln stellen und mich unangemessen behandeln, aber Apple war nunmal meine Tochter. Ich hatte sie gezeugt, da war ein Teil von mir in ihr und sie fehlte. Verdammt. Verdeckt vor Chas und meinen Arbeitskollegen begann ich erste Schritte einzuleiten um sie finden, fragte mit einem Bild von ihr unauffällig ein paar Mädchen vom Strich, ob sie diese junge Frau schon einmal gesehen hatten, aber Fehlanzeige. Auf den Straßen hielt ich nach ihr Ausschau und kontaktierte sogar einen mir bekannten Polizisten, aber genau in der Zeit geschah natürlich das große Inferno in Los Angeles. Chas legte sich mit der Mafia an, Lenn wurde angeschossen, einer von Chas wichtigsten Partnern stellte sich wegen Summer gegen ihn. Eine riesige Aufruhr begann und obwohl die Frage nach Apples Befinden immer drängender wurde, konnte ich dem nicht so viel Zeit widmen wie ich eigentlich wollte. Weil man sonst erfuhr, dass ich eine Tochter hatte.
Letztendlich kam das aber doch ganz ohne mein Zutun heraus. Ich verstand zwar nicht wie man so dumm sein konnte, aber in der Hoffnung mich auszuschalten und dafür meine gehobene Position einzunehmen, erwähnte mein Kollege vor Chas mein familiäres Verhältnis zum Kinderstrich und rühmte sich hinterher sogar noch damit, dass er das rebellische Ding missbrauchen wollte, aber Apple unberechenbar war. Gewalttätig und ein großer Problemfaktor, der nur Stress einbringen würde. Er hatte dank ihr sein Handy verloren und musste sich einen neuen Schlüssel für seinen Wagen anfertigen lassen, klagte er, und Chas schenkte dem auch noch Gehör? Wegen der Mafia sollte er sich eigentlich um Wichtigeres kümmern, aber nein, auch er schien der Meinung zu sein, dass ich mit meiner Verschwiegenheit einen großen Fehler begangen hatte und dass ich schnellstmöglich meine Tochter finden sollte, bevor jemand sie gegen mich nutzen konnte. Und das tat ich auch, aber erst nachdem ich mein sogenannter Kollege aus Versehen in einen Überfall verwickelt wurde und dadurch sein Leben lassen musste. Schade. Aber niemand krümmte meiner Tochter auch nur ein Haar.
Mit Chas Wissen hatte ich nun aber zum Glück die passende Hilfe und nach ein paar Untergrund-Recherchen fand ich heraus, dass der Junge, von dem Apple mir mal erzählt hatte, tatsächlich der Noah war, den ich auch kannte. Sie hatte sich wirklich mit dem kleinen Schwächling angefreundet, der zu Lahja gehörte, und weil ich fest davon ausging, dass er sie nur ausnutzte, um an mich heran zu kommen - obwohl es eigentlich ganz anders war -, verschaffte ich mir schnellstmöglich seine Adresse in San Francisco und fuhr sofort hinüber. Spät am Abend kam ich dort an, trat einfach in das große, illegal besetzte Haus ein und verlangte mit eindringlicher Stimme bei einem der Bewohner nach dem Weg zu Noahs Zimmer, der mir auch bereitwillig die Auskunft erteilte, die ich brauchte. Wie leichtgläubig und dumm. Lernte man hier nicht, dass Vorsicht besser war, als Nachsicht? Vermutlich lebte man hier allumfassendes Vertrauen und grenzenlose Liebe. Dumme Hippies. Noah würde seine Lebenseinstellung bestimmt noch verfluchen, zumindest glaubte ich das in seinem Gesicht zu lesen, als ich die Treppenstufen nach oben ging, zu besagter Tür lief, er sich umdrehte und bei dem Anblick von mir augenblicklich erstarrte. Warum guckte der denn so? Er musste doch wohl wissen, dass ich Apples Vater war, wenn er sie ausnutzte, um mir etwas heimzuzahlen, oder? Doch in seinem Gesicht spiegelte sich nur Angst, Wut, Fassungslosigkeit und vor allem die erfolglose Suche nach einer angemessenen Reaktion, während ich einfach an ihm vorbei sah und wütend in das Gesicht meiner Tochter starrte. "Das hier ziehst du mir vor? Hier lebst du lieber, als bei mir, Apple? Für den Scheißkerl hier lügst du mich an und missachtest meine Regeln? Ist das dein Ernst?" Mit jedem Wort wurde meine Stimme lauter. "Der interessiert sich einen Dreck für dich, Apple. Der benutzt dich, um an mich heran zu kommen! Und du lässt das auch noch zu!"
01.06.2016 14:50
Apple Jean White
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Beitrag #74
RE: SQUAT HOUSE
Apple war gerade dabei, die Bänder und Schnüren an ihrem Rucksack zuzuziehen, als sich die Stimmung im Raum absolut änderte. Noah blieb anscheinend die Luft weg, etwas auf ihre Worte zu erwidern, als er Chris in der Tür stehen sah. Ihr ging es da ganz anders, ihr schossen tausende Fragen in den Kopf – was wollte er hier? Wollte er sich Rächen? Suchte er sie etwa? Da schwangen tausend Emotionen durch sie hindurch aber eine davon überwog und gerade die Enttäuschung dort unten – auch von Noah – die drängten ihr auf, sich daran zu klammern, dass ihr Dad hier war. Er hatte sie gesucht. Er wollte sie bei sich haben. Er hatte nur etwas Zeit gebraucht, dass zu verstehen. Das komische Band zwischen Familien, das musste man nicht verstehen und das man so einfach sagte Blut sei dicker als Wasser, das hatte doch gerade in ihrem Leben eine riesige Bedeutung. Chris war es nicht gewesen, der sie ihr Leben lang angelogen hatte und er war es auch nicht gewesen, der gewollt hatte, dass sie in ein Heim kam. Er hatte nur das beste für sie gewollt, keinen Alkohol, keine Drogen – und keine Männer und er hatte doch bestimmt mit allem Recht. Das hatte sie doch gerade eben wieder nur Live miterleben können. Wenn Chris ihren haltlosen Widerstand nicht begriffen hatte, würde er das hier wohl auch nicht verstehen – Noah womöglich noch weniger aber sie ließ alles stehen und liegen um sich an ihrem bisherigen Mitbewohner vorbei zu schieben und Chris in die Arme zu schließen. So feste sie konnte. „ Es tut mir Leid, wirklich... es tut mir alles... alles Leid.“ Das wäre dann aber wohl auch die bedingungslose Liebe, die Apple bereit war, dem Vater zu geben, den sie nie hatte kennen gelernt und gegen den Lahja so ungerechtfertigte Vorwürfe erhob. Mit siebzehn war man nicht immer hörig und dankbar aber das war in Notsituationen auch schnell wieder vergessen, denn dann klammerte man sich in dem Alter an die Eltern, besonders wenn man so wenig im Leben besaß, wie Apple das tat. Noah würde sich vor den Kopf gestoßen fühlen, mit dem größten Recht, aus seiner Sicht und auch wenn das von ihr mehr als Undankbar schien – was sollte sie denn nur tun? Noah war vielleicht nicht wie alle anderen aber er hatte sich doch unten alles angehört, er hatte sie abgewiesen und deswegen kam ihr auch die Schuld nicht in den Sinn, die sie hätte nun noch stärker fühlen sollen, als vor ein paar Wochen. Nur war der Verrat in der Sekunde nicht so enorm, also schüttelte sie den Kopf. „ Er... er weiß nicht, dass ich deine Tochter bin.“ Sie hielt sich noch immer an den Armen von Chris fest, um ihn von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Damit musste Noah aber auch ihr Vorsatz klar werden, also drehte sie doch den Kopf zu ihm... „ Ich dachte, dass er anders ist... nachdem ich ihn kennen gelernt habe und... und ich wollte Wissen, was es mit der Anzeige auf sich hatte...“ Das musste wie ein Schlag in seine Magengrube sein, danach wand sie zumindest den Kopf wieder Chris zu. „ Du wolltest mich nicht bei dir haben und ich wusste doch nicht wohin.“ Noch mehr bedingungsloses Vertrauen, denn wenn er nicht hier war, sie abzuholen, hatte Apple gerade jegliche Rettungsseile gekappt, die ihr in den letzten Monaten zugeworfen worden waren.
01.06.2016 21:47
Noah Scott
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Beitrag #75
RE: SQUAT HOUSE
Nicht zum ersten Mal ärgerte ich mich innerlich stillschweigend darüber, dass ich so ein harmoniebedürftiger, ruhiger Mensch war und dass es mir nicht gelingen wollte in solchen Situationen - wie eben am Küchentisch - laut zu werden oder meine Mitbewohner in ihre Schranken zu weisen. Manchmal wäre ich dann gerne mehr so wie Lahja, die kein Problem damit hatte ihre Wut auch nach außen zu tragen, aber so war ich nunmal nicht. Niemals würde ich mich an so einer infantilen Lästerei erfreuen, ich würde nicht darüber lachen oder dazu beitragen, aber ich konnte nunmal auch einfach nicht meinen Mund öffnen und den Leuten, die ich eigentlich gut leiden konnte, gegen den Kopf knallen wie dumm ihr Verhalten war. Als Apple mir das unterschwellig und zurecht zum Vorwurf machte, senkte ich deshalb auch beschämt meinen Blick, ließ die Schultern hängen und wollte mich eigentlich gerade reumütig noch einmal dafür entschuldigen, als aber plötzlich etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Oder eher: Jemand anderes. Denn auf einmal hörte ich Schritte hinter mir, drehte mich herum und starrte niemand geringerem als Chris ins Gesicht. Man sah ganz deutlich wie sich mein Körper zusammen zog, wie ich sogar automatisch einen Schritt zurück wich, meine Schultern straffte und ihn wortlos, erschrocken fixierte. Innerhalb kürzester Zeit zogen sich Emotionen wie Wut, Angst und Hass durch mich hindurch, aber noch bevor ich für mich entscheiden konnte welche Reaktion angemessen war, ohne hier jemanden in Gefahr zu bringen, setzte Apple mich gänzlich außer Gefecht, indem sie regelrecht auf das Arschloch zu stürmte und ihn sehnsüchtig in ihre Arme schloss. Sie entschuldigte sich? Wofür entschuldigte sich? Warum kannte sie Chris überhaupt? Ich wollte mich am liebsten zwischen die beiden werfen und sie davor warnen wozu der Mann hier fähig war, aber- Tochter? Sie war seine Tochter? Chris war Apples Vater? Aus einem Schutzmechanismus heraus wich mein Körper noch zwei Schritte zurück, bevor mein Blick den von Apple traf und mein Herz einen Schlag aussetzte. Die Anzeige? Redete sie da über Lahjas Anzeige? Sie wusste davon? Hatte sie- sie hatte mich doch nicht absichtlich angesprochen, oder? Hatte sie die ganze Zeit gewusst, was da gerichtlich gerade zwischen ihrem Vater und meiner Freundin vor sich ging? War sie deswegen hier? Hatte sie deshalb gelogen? Noch mehr Lügen? Schon wieder? Wie sehr ich Apple innerhalb kürzester Zeit in mein Herz geschlossen hatte konnte niemand ahnen, nicht einmal ich selber, deshalb fühlte es sich jetzt auch so an als würde man mir den Boden unter den Füßen weg reißen. Es fühlte sich an wie ein Schlag mitten ins Gesicht, schlimmer noch als das, als ich langsam verstand, was hier gerade geschah. Und Chris, ihrem Vater, schien es genauso zu gehen, der Unterschied war nur, dass er sich richtig daran ergötzte wie ich gerade litt. Der wütende Ausdruck in seinem Gesicht wandelte sich in ein schwaches, triumphales Lächeln und als er seine Tochter ebenfalls in die Arme schloss, bedachte er mich ganz bewusst mit einem spöttischen Blick. Und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln, denn ja verdammt, wie konnte ich nur so dumm sein? Warum hatte ich das nicht gesehen? Warum hatte ich nicht verstanden, wie viele Lügen sich wirklich in ihr verbargen? Waren da noch mehr? Wie viele unserer langen Gespräche waren frei erfunden? Mit einem Mal war jegliches Vertrauen wie weggefegt, nur ganz benommen lauschte ich den Worten, die Chris an seine Tochter richtete, während sich seine Hand ganz langsam über ihren Rücken bewegte. "Du darfst mich nicht so respektlos behandeln, Apple. Du bist meine Tochter und ich will, dass du bei mir bist, aber es gibt Regeln in meinem Haus. Und ich bin derjenige, der diese Regeln aufstellt. Wenn du die missachtest, dann kann ich für nichts garantieren. Mein Chef weiß von dir und er ist nicht glücklich darüber, ich hab ihm versprochen, dass ich auf dich Acht gebe, aber wenn du noch einmal wegläufst - ich hab keine Ahnung, was dann mit dir passiert." Drohte er seiner Tochter da etwa? "Bei mir bist du sicher, verstehst du das denn nicht? Wenn du einfach bei mir geblieben wärst, Apple, dann- Mein Kollege hätte dich niemals bedrängt. Er hat dafür bezahlt, aber es wäre einfach nicht geschehen, verstehst du? Und das hier-" Demonstrativ sah er noch einmal zu mir. "Das ist kein Umgang für dich. Du gehörst zu mir, nicht zu- diesen Menschen. Woher weißt du überhaupt von der Anzeige?" Obwohl das auch mich brennend interessierte, konnte ich in diesem Moment nicht anders, als meinen steifen Körper in Bewegung zu setzen, mit zitternden Knien ein paar Schritte durch den Raum zu laufen, nach Apples Rucksack zu greifen und ihn wütend in Richtung der Tür zu werfen, gefolgt von ihrer Jacke und noch einer weiteren Tasche, die sie bei sich trug. "Raus." Ich wünschte meine Stimme würde härter klingen, aber die Enttäuschung und Verletzung war ganz deutlich zu hören. "Ich meins ernst: Raus. Hau ab."
04.06.2016 10:18
Apple Jean White
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Beitrag #76
RE: SQUAT HOUSE
Verdammt, niemand konnte und würde verstehen, wie viel Apple die erwiderte Umarmung ihres Vaters wert war. Niemand, der nicht durchlebt hatte, was sie bisher in ihrem Leben mitgemacht hatte und der von jedem, angeblichen, Familienmitglied so getäuscht worden war. Chris war hier und er streichelte ihren Rücken so, wie sie es sich siebzehn Jahre lang gewünscht hatte. Er hielt sie fest und auch wenn er streng war, die Drohung drang gar nicht als solche zu ihr durch. Sie sah nur dieses Bild von Chris, in dieser Tür stehend und sie suchend. Deswegen nickte sie nur eifrig und versuchte dabei energisch, die überwältigenden Gefühle zu kaschieren, indem Sie die anbahnenden Tränen mit dem Handballen verrieb. " Ich... ich will mich bessern und dankbar sein und... mich dir nicht wieder widersetzen." Sie nickte und Apple hatte das auch wirklich vor. Sie wollte doch, dass er stolz auf sie sein konnte und das diese Welt hier nichts für sie war, das hatte sie doch auch begriffen - zum Glück gerade heute. Sonst hätte das zusammen treffen eventuell etwas anders ausgesehen und sie hätte auch Noah in Schutz genommen. Er war doch nicht wie seine verlogene Freundin. Als Apple ihre Hände hatte sinken gelassen, dachte sie, das Lächeln würde ihr gelten und sie interpretierte die Wärme hinein, die sie so dringend suchte. Bis ihr bewusst wurde, dass die beiden nicht alleine waren - bis Ihre Taschen dumpf auf dem Boden aufschlugen. Das junge Mädchen würde nicht früh genug begreifen, dass Noah ihr fürchterlich fehlen würde und wie tief sie ihn ins Herz geschlossen hatte - seid dem sie ihn wegen eines vorwands angesprochen hatte. Aber hier wollten die Erwartungen ihres Vaters erfüllt werden und der wollte sicher nicht, dass sie ihn entschuldigend und schuldbewusst ansah oder aber ihm sagte, was er in ihrem Leben bewirkt hatte. Wenigstens eins sollte Noah aber wissen, was nun offen stand. " Ich sage dir nachher alles, was du wissen willst - aber ich hab nie ein Wort von dem geglaubt, was ich da gelesen habe und ich hatte nur angst, dass man uns trennt." Wenn ihr Papa ins Gefängnis gehen würde, dann wäre doch ihre Welt in tausend Teile zersprungen. Auch Noah sollte wissen, dass keine Faser ihres Körpers, die Anschuldigungen seiner Ex glaubte. Damit raffte sie aber auch die Sachen zusammen, sie War alleine abgehauen, dann konnte sie die Sachen auch allein zurück bringen. Leider blieb der Blick doch noch an Noah hängen, vielleicht wollte sie sein Gesicht noch ein letztes mal ansehen, um sich besser an ihn erinnern zu können. Leider fand sie darin diesmal wirklich keinen funken seiner unermüdlichen, positiven Aura - wieso juckt es sie denn das? " Schön, dass du jetzt den Mund aufbekommmst -" definitiv eine Anspielung auf gerade eben. "...den Lohn für das singen kannst du behalten, für die Unannehmlichkeiten." Eigentlich wollte ihr Chef den beim nächsten mal auszahlen und damit wandte sie ihm den Rücken zu. Sie gehörte hier nicht hin, auch nicht zu diesen Menschen sondern einzig und allein zu ihrem Papa.
04.06.2016 15:37
Chris John Millington
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Beitrag #77
RE: SQUAT HOUSE
Natürlich war ich hierher gekommen, um Apple wieder mit mir zu nehmen. Selbstverständlich. Sie gehörte zu mir und da sollte sie auch bleiben, aber eigentlich hatte ich mir auch fest vorgenommen ihr vorher ordentlich die Leviten zu lesen. Ich wollte ihr unmissverständlich klarmachen, dass ich so ein Verhalten ihrerseits nicht noch einmal duldete und dass sie mit noch strengeren Konsequenzen zu rechnen hatte, falls sie sich erneut gegen meine Regeln auflehnte, aber das ging grad nicht. Nicht, weil meine Tochter sich so sehr freute mich zu sehen, weil sie weinte und augenblicklich versprach von jetzt an auf mich zu hören, sondern weil Noah da stand. Weil ich in seinem Blick sah wie sehr es ihn ärgerte wie Apple und ich miteinander umgingen, so vertraut und liebevoll. Meine Tochter schien den Anspielungen von Lahja zwar kein Gehör zu schenken, aber der junge Mann dort wusste ganz genau, was seiner kleinen Freundin passiert und wozu ich fähig war. Er wusste es und er musste trotzdem mitansehen wie ich den Rucksack von Apple aufhob, um ganz harmonisch mit ihr den Raum zu verlassen. Und er konnte nichts dagegen tun. Ich wusste nicht, was zwischen den beiden geschehen war. Ob sie nur Freunde waren oder ob die beiden sich auch sexuell angenähert hatten - wenn ja, dann würde Noah das noch bitter bereuen - aber völlig egal wie angespannt die beiden hier gerade auseinander gingen, Noah würde sich noch mit der Frage quälen, ob Apple in meiner Nähe in Sicherheit war. Er würde sich schrecklich um sie sorgen, dessen war ich mir sicher, und weil ich mich schon immer am Leid anderer ergötzen konnte, lächelte ich noch einmal selbstgefällig, während ich hinter meiner Tochter die Treppen wieder nach unten lief.
Erst als wir in meinem Auto saßen, auf dem Highway, und nachdem Apple mir alles erzählt hatte, was ich wissen wollte, bekam sie dann auch endlich meine Wut zu spüren. Nicht so explosiv wie ich es eigentlich geplant hatte, aber ich konnte auch nicht dulden, dass meine Tochter noch einmal in Briefen schnüffelte, die eigentlich an mich gerichtet waren. Sie musste meine Privatsphäre respektieren, sonst würden wir immer wieder aneinander geraten und während es zwar auch irgendwie mein Herz erwärmte, dass sie so einen Aufwand auf sich genommen hatte, um mir zu helfen, konnte ich ihr das auch nicht ungestraft durchgehen lassen. Der Hausarrest, den ich ihr eigentlich aufgebrummt hatte, wurde wiederbelebt und ich bestand sogar darauf, dass ich sie währenddessen jeden Morgen zur Schule bringen und jeden Nachmittag wieder abholen würde. Wenn ich mal keine Zeit hatte, würde ich jemand anderen damit beauftragen, aber ich wollte jeden ihrer Schritte überwachen. Apples Handy sackte ich ein, ebenso wie ich meinen Laptop für sie sperrte und den Fernseher mit einem Passwort versah. Für drei Wochen sollte sie sich von nun an nur auf ihre Ausbildung konzentrieren, den verpassten Stoff in der Schule nachholen und vor allem keine Möglichkeit haben, um doch noch mit Noah in Kontakt zu treten. Ich konnte schließlich nicht riskieren, dass er diese ansehnlichen Videos wieder heraus kramte, die es von Lahjas Folter und Vergewaltigung gab, und sie Apple zukommen ließ. Damit sie ihm glaubte. Nein, diese Freundschaft war vorbei und ich würde auch nicht zulassen, dass die beiden sich je wieder sahen.
05.06.2016 20:40
Noah Scott
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Beitrag #78
RE: SQUAT HOUSE
Chris hatte zweifellos recht mit dem, was er vermutete. Als Apple mich ansah und mir unterschwellig noch einmal vorwarf, dass ich eben in der Küche nichts getan hatte, um sie in Schutz zu nehmen, wollte ich nur noch, dass sie endlich ihre Sachen nahm, aus meinem Zimmer verschwand und nie wieder zurückkehrte, aber diese Wut auf sie hielt nicht besonders lange. So war ich nicht. Noch in der Nacht, als ich schlaflos in meinem Bett lag, fassungslos von dem, was ich eben hören und sehen musste, begann mein Kopf schon wieder in die entgegengesetzte Richtung zu arbeiten. Glaubte sie wirklich nicht, dass die Anzeige von Lahja rechtens war? Glaubte sie, dass meine Ex-Freundin log? Dass ihr Vater sich nichts zuzuschreiben hatte? Wusste sie überhaupt bei was für einem Menschen sie da lebte? Sie hatte mir von den illegalen Geschäften ihres Vaters erzählt, aber sie hatte doch keine Ahnung, wozu er fähig war. Sollte ich sie warnen? Wollte sie überhaupt von mir gewarnt werden? Oder war das alles hier nur ein Theaterstück? Hatte sie mich nie wirklich gemocht, sondern immer nur eine falsche Version von sich gespielt, um irgendetwas aus mir herauszuquetschen, das Chris gegen Lahja verwenden konnte? Was entsprach denn jetzt überhaupt der Wahrheit, verdammt? Drei Tage lang quälte ich mich mit den schlimmsten Kopfschmerzen, immer wieder hatte ich dabei auch schwache Momente, in denen ich doch mein Handy in die Hand nahm und versuchte Apple anzurufen, aber jedes Mal meldete sich nur ihre Mailbox. Und dann schloss ich irgendwann einfach damit ab. Ich versuchte es zumindest. Von Anfang an hatte sie mich nur belogen, mit ihrem Namen, ihrem Alter, ihrer Vergangenheit, und jedes Mal hatte ich das akzeptiert und versucht sie zu verstehen. Aber das hier? Dass sie mich absichtlich angesprochen hatte, um Lahja zu beschatten? Um mir Informationen zu entlocken, die sie zu Chris Gunsten nutzen konnte? Das ließ sich nicht einfach vergessen. Es sollte nicht mehr meine Sorge sein, ob es ihr gut ging oder nicht und ob ihr Vater sie gut behandelte oder degradierte, wie jeden anderen Menschen in seinem Leben. Das war nicht mein Problem und ich durfte es diesmal auch nicht erneut zu meinem Problem werden lassen.
Stattdessen versuchte ich mich also von den Sorgen und der noch immer währenden Enttäuschung abzulenken, indem ich viel mit meinen Freunden unternahm, oft in den Straßen Musik spielte und auch wieder öfter Hardcore-Konzerte besuchte. Ich beschäftigte mich rund um die Uhr und ließ nur in ganz seltenen Fällen zu, dass meine Gedanken mal wieder abdrifteten. Zu Apple oder auch zu Lahja. Auf einmal fühlte es sich nämlich so an als hätte ich meine Beziehung umsonst aufs Spiel gesetzt. Als hätte ich mich damals auf dem Dach für die falsche Person entschieden. Ich hatte Apple nur helfen wollen und ich war nunmal wie ich war, aber wie viel Wahrheit hatte damals in ihrer Not gesteckt? Hatte sie mich manipuliert, damit Lahja sich von mir trennte? Oder hatte sie damals wirklich einfach nur die Stadt verlassen wollen, weil ihr alles zu viel wurde? Ich hasste es, dass ich jetzt keinem von Apples Worten mehr Glauben schenken konnte und dass ich automatisch alles anzweifelte, was jemals zwischen uns gewesen war. Und ich hasste es auch, dass ich mich im Moment mehr denn je nach Lahja sehnte und danach mit ihr zu reden, weil ich nicht mehr einfach bei ihr aufkreuzen konnte. Gerade jetzt nicht. Sie würde mich auslachen, wenn sie erfuhr, dass ich bei ihr war, weil Apple auf einmal nicht mehr in meinem Leben existierte. Glaubte ich zumindest. Ich konnte ja auch nicht ahnen, dass es ihr gerade so ähnlich ging wie mir.
Ein paar Wochen waren nach Apples Verschwinden schon vergangen, noch immer machte ich mir aber viel zu viele Gedanken um sie und Chris und versuchte daher auch noch mich ständig abzulenken. Heute hatte ich bereits den ganzen Nachmittag und Abend mit meinen Mitbewohnern in der Küche verbracht, zum kiffen, reden und zwischendurch sogar zum backen, ehe ich urplötzlich den Kopf hob, weil ich ein mir bekannte Stimme vernahm, die eigentlich nicht hierher gehörte. Lahja?! Im ersten Moment erkannte ich sie mit ihren hellen Haaren kaum, starrte sie deshalb auch völlig überfordert an, aber dieser angespannte Ausdruck auf ihrem fahlen Gesicht, die riesigen Pupillen und die Unruhe in jeder ihrer Bewegungen, an das alles erinnerte ich mich noch zu gut. Und während meine Mitbewohner sich noch verwirrt gegenseitig in die Augen blickten, stand ich bereits ohne zu zögern auf und hörte auf mein schwer schlagendes Herz, das sich sowieso schon viel zu lange nach ihr sehnte, denn eigentlich wollte ich sie schon besuchen fahren, seitdem sie sich am Telefon von mir getrennt hatte. Wir konnten uns nie richtig ausreden, nie diese langjährige Beziehung angemessen beenden oder eine Lösung ausarbeiten, wie wir es eventuell doch nochmal versuchen konnten. Da stand so viel unausgesprochen zwischen uns und obwohl ich mir gewünscht hätte, dass unser Wiedersehen anders aussah - dass es Lahja besser gehen würde - konnte ich gar nicht anders, als direkt auf sie zuzugehen, meine Arme zu öffnen und ihren schmalen, zittrigen Körper fest gegen meine Brust zu drücken. Verdammt, sie hatte mir so gefehlt. "Du glaubst gar nicht wie schön es ist dich zu sehen." Sehnsüchtig versenkte ich mein Kinn an ihrer Halsbeuge, während ihr vertrauter Geruch sich angenehm durch meinen Körper zog. "Was ist passiert? Was machst du hier? Wo kommst du her?" Seit wann ziehst du wieder Pep? Die letzte Frage ließ ich unausgesprochen, aber als ich Lahja in die Augen sah, konnte sie in meinem Blick bestimmt erkennen wie sehr mich das besorgte. "Willst du- mit hoch kommen? In mein Zimmer? Da haben wir Ruhe."
05.06.2016 20:40
Lahja Emilia O'Neill
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Beitrag #79
RE: SQUAT HOUSE
Wie schaffte es dieser Mensch denn bitte, sich ihrer immer wieder anzunehmen? Wieso war er nicht garstig oder abweisend? Wieso verurteilte Noah sie nicht, wenn sie schon wieder in einem desolaten Zustand bei ihm angekrochen kam obwohl sie ihn vorher Wochenlang im Ungewissen hatte stehen lassen? Ihn Ignorierte? Wie schaffte er es, sie in den Arm zu nehmen – obwohl es nur richtig wäre, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sie erst einmal auf Knien sehen zu wollen, ihn anbettelnd, dass er ihr Gehör schenkte? Stattdessen sagte er ihr auch noch, es wäre schön sie zu sehen. Die beiden hatten schon viel miteinander erlebt und durchgemacht. Noah kannte sie manchmal besser, als sie es selbst getan hatte und auch noch immer tat aber er wurde es nicht Müde, sich mit ihr abzugeben. Er schloss nie mit ihr ab und blieb dann bei der Entscheidung. Das war so unverständlich, wie es auch schön für Lahja war. Sie hatte geglaubt, den Vertrauensbruch damals mit Lucy nie überwinden zu können aber ihr Kopf blendete das aus, nach all den Jahren, in denen Noah ihr bewiesen hatte, wie viel Reicher ihr Leben sein konnte, mit ihm an ihrer Seite. Das war er nämlich immer gewesen und da war es gleich, ob fast immer zahlreiche Kilometer zwischen den beiden gestanden hatten oder nicht. So lange sie ihn nicht ausschloss, hatte er immer wieder dafür gesorgt, dass sie sich auf der Welt nicht alleine fühlen musste – nach allem, was sie in ihrem jungen Leben durchlebt hatte.
Das war aber nun einmal auch der Knackpunkt, was Lahja dazu getrieben hatte, ihn von sich weg zu schieben. Die Angst, dass er andere Prioritäten hatte und das einsehen, dass sie nicht der Mittelpunkt seiner Welt war. Das es da noch andere gab. Vor allem aber Menschen, die das um einiges mehr Wertschätzten, als sie es immer getan hatte und eigentlich hatte sie doch das unvermeidliche nur vorzeitig herbeigeführt – wenn er Begriff, wie er verdient hatte, wie man sich ihm gegenüber verhielt und wenn er diese Friedliebenden Menschen um sich hatte, die ihm viel eher auch noch zeigten, wie Liebenswert Noah war und wie viel Wert er hatte, dann hätte er mit ihrer Wut und mit ihrem Misstrauen, mit dem vielen Hass und der Zerstörungswut, schon bald nichts mehr anzufangen gewusst. Denn Lahja würde Lügen müssen, wenn sie sich in diesem Haus, was so viel Vertrauen ausstrahlte und deren offene Türen an das gute im Menschen appellierten, nicht komisch fühlen würde. Nein, der Mensch an sich und die Welt, die waren nicht gut und sie? Sie war auch keine von den Guten. Über all das hatte sie eine gefestigte Meinung aber ihr Kopf war es in der Panik nicht gewesen, der sie her hatte laufen lassen, sondern ihr Herz. Wenn es jemanden gab, bei dem sie Schwäche zeigen durfte, war es Noah und wenn jemand wusste, wie viel Unsicherheit hinter ihrer Wut gesteckt hatte, dann war es auch er. Niemals würde er das gleich tun und er würde sie auch nie darin bestärken aber er war, wie jetzt auch, da, um sich mit ihr um die Trümmer zu kümmern, die diese verletzliche, junge Frau nun vor sich sah.
Ganz anders die Mitbewohner, die da noch mit ihm in der Küche verweilten. Im Affekt hatte sie unüberlegt die Arme um ihn geschlossen, um sich an ihm festzuhalten, um sich zu vergewissern, er war wirklich hier und durch die Klamotten seinen, allzu bekannten, Herzschlag zu spüren aber dabei zeigte sich auch, dass hier gerade ein Mensch in dem Haus war, der mit seinen Fäusten Gewalt ausgeübt hatte. Verunsichert schauten sie auf die Knöchel ihrer Finger, die für Noah schon kein ungewohntes Bild mehr abgaben. Lahja bekam nur wieder mehr einen Eindruck von dem, was Menschen in sie hinein projizierten und wich etwas zurück – in dem Moment stellte auch Noah seine Fragen an sie. Mit großen, ruhelosen Augen sah sie ihn an, holte Luft, um anzusetzen aber nicht um etwas auf seine Fragen zu erwidern. „ Ich... ich tue hier keinem was, ich verspreche es.“ Auch Noah sagte sie das, eher sie den Blick in sein Gesicht, zu den anderen Gesichtern wandern ließ und hob auch symbolisch – mal wieder – die Hände ein Stück nach oben, um ihre Handinnenflächen als Friedenssymbol sprechen zu lassen. Bei dem letzten Treffen der beiden hatte sie immerhin Haily die Nase gebrochen und eigentlich wäre es absolut Verständlich, wenn er sich von ihr erst das Versprechen geben ließ. Das Lahja sich in einem absoluten Ausnahmezustand befand, in dem es verdammt leicht war, ihren Hass zu schüren, dass sah er ihr doch an. Sonst würde er gar nicht so Sorgenvoll reagieren.
Gegen ihre Ängste jedoch, handelte er ganz anders und bot ihr sogar den Rückzug an, den sie so dringend brauchte. Er hatte keine Angst vor ihr, er vergewisserte sich nicht, dass sie ihm nichts tun würde, indem er mit ihr hier in der Küche stehen blieb sondern er ließ sie sogar Einblick in seine Privatsphäre halten. Lahja nickte, verunsichert und vorsichtig, eher sie den Kopf senkte. Natürlich schämte sie sich, wie sie sich hatte wieder von allem einnehmen lassen, was ihr im Leben mehr geschadet hatte als gut getan. Auf der Tour wusste das ja sonst niemand aber wenn Noah sah, wie sie sich den Drogen erneut widmete, wie ihre Fäuste aussahen und auch wie viel sie an Gewicht erneut verloren hatte, dann wusste er auch, dass Lahja mit voller Absicht gegen jeden guten, langen und beschwerlichen Weg steuerte, auf dem sie sich befunden hatte. Noah setzte sich in Bewegung, denn sie kannte doch nicht mal den Weg, weil sie ein scheiß Egoist war und sich nie in seinem neuen Leben hatte sehen lassen. Mehr noch, sie hatte sich dagegen gewehrt, auch in Los Angeles, dass ein Teil ihres Lebens werden zu lassen und das wurde ihr deutlich, als sie ihm auf der Treppe folgte,
Noah kannte sie gut genug, dass er von ihr keine Antwort zu erwarten hatte, eher die beiden sich nicht in Sicherheit befanden. Das sie ihm ihr Herz und ihre Gedanken offenlegte, dass war schon ein weiter Weg gewesen und manchmal auch nur Tagesabhängig aber sie würde unter ihren Gefühlen niemals in der Öffentlichkeit zusammenbrechen. Das ging nicht. Genauso stoppte sie auch noch vor der Tür, sie wusste doch nicht nur gar nicht, was sich hinter der Tür verbarg, sondern auch wer. Was, wenn Apple noch hier war oder Haily zu Besuch? „ Bist... also hast du... Besuch?“ Wollte sie Wissen, eher er die Tür öffnen konnte. Der Blick in seine Augen verriet ihm, dass sie an einem Punkt in ihrem Leben war, schon wieder, an dem sie auch Angst vor sich selber und ihren Reaktionen hatte. Das sie selber die Kontrolle verlieren würde, wenn sie nun unvorbereitet diesen Raum betrat und da jemand saß. Sein Kopfschütteln ließ sie daran denken, dass Noah ihr sowas auch nie mit Absicht zumuten würde aber Vorsicht war Besser als Nachsicht, gerade nach dem, was vor der Lokation passiert war. Wie ein geprügelter Hund folgte sie ihm in sein Zimmer, schob die Hände wieder tiefer in die Tasche. Es war hier weniger bunt als sie Gedacht hatte und ihr Ex-Freund sich treuer geblieben, als sie vermutet hätte. Keine bunten Klamotten, Pumphosen oder Räucherstäbchen in jeder Geschmacksrichtung. In seinem Zimmer fühlte sie sich mit einem Mal weniger Fremd und das führte auch viel zu schnell dazu, dass sie los ließ. Das ihre verspannten Schultern sich lösten, sie die Luft nicht immer wieder in ihren Lungen gepresst zurückhielt und das sie ihre Hände auch mit den Verletzungen dazu nutzte, sich über den Nacken zu reiben. Danach ergab sich langsam ein anderes Bild, als sie die Ärmel des Pullis über die Hände zog, begann, sich zu oft über die Nase oder die Wangen zu wischen, um ihr Gesicht zu verbergen und ihre Augen. „ Ich... arbeite hier oder eher... eher gesagt auf einer Tour von Bekannten. Matt brauchte das Geld... das Erbe von Jeany und ich... ich muss nun langsam einen Job finden, weißt du.“ Erneut fand ein kurzer Blickwechsel statt, denn es war komisch – Noah hatte immer gewusst, was in ihrem Leben vor sich ging aber diesmal war er Ahnungslos. „ Chas hat eine Familienfeier... gestürmt, weil Summer sich von ihm fern gehalten hat. Madison hat jemanden erschossen und war im Gefängnis. Das ist alles... wirr und zu viel. Der Mann war Verantwortlich für den Autounfall von Matt und Madison, der Stiefvater von Jamie... der Unfall war Absicht.“ Außerdem lenkte sie damit doch nur ab. Er würde denken, dass wäre der Grund, warum sie hier sei aber das war nicht so. Eigentlich hatte dieser Matt-Neugeburtsag ihr nur mal wieder gezeigt, wie viel versteckter Wert hinter ihrer Familie stand. Das sie niemals ertragen würde, Kilian oder Matt zu verlieren und ja, auch Madison nicht. Es erinnerte sie auch, dass Zac es war, der diesmal auf der Polizeiwache ausgeharrt hatte, der bei einer Familienangelegenheit neben ihr gesessen hatte und mit einem Mal konnte sie sich wieder nicht zwischen Wut und Trauer entscheiden. Noch eher sich ihr Körper aber wieder verspannte, zwang sie sich dazu, ruhig zu bleiben – wenn sie auch wie ein Tier, verstört im Kreis herum streunerte. Immer wieder im selben Radius zwischen seiner Matratze, der Tür und auch in Abstand zu Noah zog sie ihre Kreise. „ Ich musste aber auch aus der Stadt – das ging alles schnell. Ich wusste nicht ob ich das machen soll, ob ich mir das Zutraue aber Zac hat mit Nele geschlafen und er hat... mich angelogen und es mir nicht gesagt. Also habe ich meine Sachen gepackt und bin los gefahren. Es hat auch geklappt – es klappt....“ Sie versuche zumindest sich das selber noch einzureden, denn dann könnte sie auch weiter machen wie bisher... falls Noah sie nach der Offenbarung nun raus warf. „...aber heute war das irgendwie zu viel. Ich wusste schon wo du wohnst, ich wollte zumindest morgen das Haus einmal ansehen kommen aber... ich war wieder so wütend und so durcheinander und... dann wollte jemand die Cops holen und dann bin ich gelaufen.“ Und da geschah es. In dem Gerede, was Noah Zusammenhanglos die Ereignisse näher brachte, brach auch langsam ihr Panzer und die Stimme wurde Sekündlich dünner, bis sie das erste Mal Schluchzen musste. „ Es... es ist auch okay, wenn du sagst... das ist nicht mehr dein Problem und jetzt erst Recht willst... dass ich wieder gehe aber... aber das in der Küche meinte ich Ernst. Das... du hast das nicht verdient,... wie ich zu dir war... okay? Du hast bessere Menschen um dich herum und die hast du auch verdient - so wie Haily. So wie sie gesagt hat. O...okay?“ Mit den Fragen versuchte sie sich selber zu Beruhigen. Sie hatte das schon eingesehen, jetzt musste nur noch er es Wissen. Nur wenige Sekunden wagte sie es, mit den Tränenden Augen zu ihm zu schauen und viel zu schnell visierte sie danach aber auch die Tür an. Sie wollte hier nicht weg, sie wollte bei ihm sein und sie wollte, dass seine Nähe die Welt ein bisschen weniger scheiße aussehen ließ aber echt? Nach dem, was sie ihn hatte nun Wissen lassen, käme er sich nicht vor, wie der Fußabtreter?


|| DESTRUCTIVE » 23 YEARS OLD » DRUG ADDICTED ||
I need to feel something before I'm just nothin'.

[Bild: 49329769512_439e4ff691_o.jpg]

06.06.2016 00:21
Noah Scott
Unregistered


 
Beitrag #80
RE: SQUAT HOUSE
Ich hatte nie Angst vor Lahja gehabt, auch nicht, nachdem ihre Faust mich einmal getroffen hatte. Ihre Zerstörungswut hatte nie meinen Umgang mit ihr beeinflusst und selbst wenn sie so zitternd, gereizt und mit verspannten Muskeln vor mir stand, hatte ich keine Sorge um meine Sicherheit, aus dem ganz simplen Grund, dass ich ihr vertraute. In jeder Hinsicht. Ich kannte Lahja, vielleicht sogar besser als sie sich selber, ich glaubte ihre Reaktionen angemessen einschätzen zu können und obwohl mich ihr Wutausbruch in Hailys Haus doch eigentlich eines Besseren belehren sollte, hatte ich auch nicht zugelassen, dass das etwas an meinem Vertrauen in sie änderte. Abwehrend schüttelte ich deshalb auch den Kopf, als sie resignierend ihre Handflächen in die Höhe hob und im Gegensatz zu meinen Mitbewohnern ließ ich mich auch nicht von ihren blutigen, geröteten Knöcheln beeinflussen. Viel zu oft hatte ich das schon an ihr gesehen und während ich mich gerade zwar genauso um sie sorgte wie jedes Mal zuvor auch schon, änderte das nichts an meinem Umgang mit Lahja. Ich nickte ihr trotzdem einmal sanft zu und ging dann alleine mit ihr die Treppen nach oben, zu meinem Zimmer, das sich doch erheblich von den Räumen der anderen Bewohner unterschied. Ich war zwar nicht mit viel Gepäck von Los Angeles hierher gekommen, aber während des letzten Jahres in San Francisco hatte ich schon eine ordentliche neue Plattensammlung aufgebaut, die größtenteils in einem Regal untergebracht war. Nur meine Lieblingsplatten bekamen einen Ehrenplatz an der Wand. Neben meiner Musiksammlungen standen fein säuberlich meine Gitarren und all das technische Equipment, das dazu gehörte. Gegenüber davon, direkt unter dem Fenster, hatte ich meine Matratze auf ein paar alte Lattenroste gelegt, damit sie nicht von unten zu schimmeln begann, mit vielen Kissen darauf, weil ich nunmal noch immer die meiste Zeit im Bett verbrachte. Wenn ich zuhause war. Ein altes, schlichtes Sofa hatte ich auch irgendwann bei einer Wohnungsauflösung günstig erstanden, das jetzt in meinem Zimmer stand, genauso wie ein Schreibtisch, der aber hauptsächlich nur als Ablagefläche fungierte. Ich hatte ein paar Poster an meinen Wänden hängen und schöne Erinnerungen wie Konzertkarten, Festivalbändchen, anderer bedeutungsvoller Kram und ein paar Fotos. Ja, da hingen an meiner Wand auch tatsächlich noch Fotos von Lahja und mir, die ich trotz unserer Trennung nie abgenommen hatte, ebenso wie Fotos von Haily und all meinen anderen Mitbewohnern. Nur eins von Apple konnte man nirgends finden, nicht weil ich sie konsequent aus meinem Leben streichen wollte, sondern weil wir in der kurzen Zeit nie eins miteinander gemacht hatten.
Lahja schien allerdings so unruhig, dass ihr all diese kleinen Details bestimmt gar nicht auffallen würden, und als ich die Tür hinter ihr wieder schloss und danach beobachtete wie sie haltlos durch den Raum lief, rückten sowieso all die Dinge in den Hintergrund, die ich ihr eigentlich schon seit mehreren Wochen sagen wollte. Stattdessen betrachtete ich sie einen Moment unsicher und ging dann langsam hinüber zu meiner Matratze, wo ich mich im Schneidersitz drauf sinken ließ, um sie wortlos von unten her anzusehen. Schon oft hatte ich Lahja auf die Art beruhigen können, indem ich mich eben nicht wie all ihre unechten Freunde von früher an der Aufregung beteiligte oder sie noch mehr anstachelte. Wenn sie so aufgelöst war, dann saß ich einfach nur still vor ihr und ließ sie so lange reden, bis sie sich von der Last auf ihrem Herzen befreit hatte, genauso wie jetzt. Wie erwartet wirkten ihre Worte zusammenhanglos und durcheinander, unzählige Fragen schossen mir in den Kopf, vor allem zu dem, was anscheinend auf dieser Familienfeier geschehen war. Madison hatte jemanden erschossen? Ihr Unfall war absichtlich passiert? Ich nahm mir vor all diese Dinge noch einmal zu erfragen, wenn Lahjas Gedanken nicht mehr so rasten, aber als sie weitersprach - als sie von Zac und seiner Ex-Freundin erzählte und von dem Grund, weshalb sie hier war - da schien das alles mit einem Mal vergessen. Unwillkürlich wandte ich den Blick von Lahja ab, starrte ziellos in eine Ecke und konnte kaum verhindern, dass meine Schultern sich dann doch zusammen zogen. War sie nur hier, weil es Zac jetzt nicht mehr gab? Weil sie gerade jemanden brauchte, der für sie da war, aber sich an niemand anderen mehr wenden konnte? War es das? Für einen Moment wirkte ich ganz abwesend, fixierte ziellos eine unbedeutende Ecke in meinem Zimmer, ehe ich meine Hand anhob und mir fest über das Gesicht rieb. Mir ging es mit Apple ja ähnlich, seit ihrem Verschwinden fehlte Lahja mir noch mehr als zuvor, aber da war trotzdem ein Unterschied. Ich hatte sie nie so respektlos und ignorant behandelt wie sie das mit mir getan hatte. Sie hatte auf meine Nachrichten nicht reagiert, nicht auf meine Anrufe und dann bei einem Telefonat unsere Beziehung beendet. Sie hatte mir nicht einmal die Chance gegeben mit ihr darüber zu reden, obwohl ich es immer wieder versuchen wollte, aber jetzt - wo sie jemanden brauchte - da war das in Ordnung. Das war schwer zu akzeptieren und ich würde mir auch noch mehrmals den Kopf darüber zerbrechen, ob ich damit meinen Frieden schließen konnte oder ob ich ihr das doch zum Vorwurf machen wollte, aber als ich ihr leises Schluchzen vernahm, da war das für den Moment völlig hinfällig. Trotz all unserer Konflikte würde ich Lahja nämlich immer lieben und unsere gemeinsame Zeit immer schätzen, deshalb zerriss es mir auch jetzt das Herz sie so zu sehen und deshalb stand ich auch jetzt ohne zu zögern von der Matratze wieder auf, ging langsam auf sie zu und legte erneut meine Arme um ihren schmalen Körper. Sanft drückte ich sie gegen mich, vergrub meine Finger in ihren Schultern und hielt sie so lange dicht an mir, schweigend, bis ihre Tränen nach und nach versiegten. "Ich schick dich nicht weg, Lahja. Atme einfach erstmal tief durch und dann- erzähl mir alles nochmal in Ruhe, ja?" Vorsichtig lehnte ich mich ein Stück zurück, streichelte noch einmal über ihren Oberarm, aber diese sichtbare Euphorie, mit der ich sie zuvor in der Küche an mich gedrückt hatte, und mein schwerer Herzschlag waren mittlerweile verschwunden. Weil ich noch nicht ganz einordnen konnte, weshalb sie hier war und welche Rolle ich denn jetzt tatsächlich in ihrem Leben spielte. "Zac hat- dich betrogen? Ihr seid nicht mehr zusammen?", hakte ich daher ein wenig unsicher nochmal nach. "Und dann- hast du diese Tour begleitet? Zum arbeiten? Hat das dabei wieder angefangen, mit den Drogen? Oder war das vorher schon? Und- was ist mit deiner Hand? Was ist da passiert?"
06.06.2016 02:42
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