RE: MIAMI
Ich hatte gerade gemerkt, wie mir die Stimme in der Kehle versagte, wie außer eines würgenden, keuchenden Geräusches nichts mehr aus meinem Mund herauskam, als sich nach einem dumpfen Aufprall urplötzlich der Griff um meinen Hals lockerte. Von dem, was um uns herum geschah, bekam ich zu dem Zeitpunkt schon gar nichts mehr mit. Weder, dass Jamie die Treppen herunterkam, noch dass sie diejenige war, die mit ihrer Gitarre ausholte, um den kriminellen Liebhaber ihrer Mutter bewusstlos zu schlagen. Das alles verstand ich erst langsam, als ich an der Wand auf den Boden sackte, hustend immer wieder nach Luft schnappte und meine eigenen Hände an meinen Hals legte, um irgendwie das brennend schmerzende Gefühl zu lindern, das davon ausging. Schon seit vielen Jahren überlebte ich problemlos auf der Straße, war immer für einen Überfall gewappnet, und dann unterlief mir dieser beschissene Fehler? Hätte ich hier im Flur tatsächlich beinah mein Leben gelassen? Scheiße! Jedes Wort aus meinem Mund schmerzte in der Kehle, aber als ich die Hände von Jamie an meinen Schultern spürte und als neben mir ihre zerstörte Gitarre auf den Boden fiel, hob ich unweigerlich den Blick in ihre Augen. "Wir müssen gehen", stieß ich aus, auffordernd und fast schon flehend, doch im selben Moment drang auch noch eine andere Stimme zu mir durch, die von Jamies Mutter. Fluchend ging sie neben ihrem Freund in die Knie, vorwurfsvoll schrie sie ihre Tochter an und weil ich für einen Moment lang tatsächlich glaubte Jamie würde ihren Fokus verlieren, griff ich fest nach ihren Händen. "Ich hab alles, was wir brauchen. Wir müssen los." Noch einmal ließ ich sie los, um über meinen schmerzenden Hals zu reiben, doch als ich daraufhin keuchend aufstand, beachtete ich eine Sache nicht: Diese Frau dort, die ihre Tochter wütend anschrie, das war immer noch ihre Mutter. Ich hatte dieses familiäre Verhältnis nie gehabt, ich konnte nicht wissen, dass trotz dieser vielen Differenzen immer eine unvergleichbare Liebe die beiden verbinden würde. Eine Liebe, die nur Eltern zu ihren Kindern kannten und Kinder zu ihren Eltern. In meinen Augen war diese Frau nur eine Person, die Jamie Unrecht getan hatte und sie nicht so behandelte wie sie es verdiente. Deshalb drehte ich mich auch nicht zwei Mal zu ihr um, als ich so schnell wie möglich die Treppen wieder nach oben lief und all meine wenigen Habseligkeiten in meinen Rucksack schmiss. Danach half ich Jamie. Alles, was ich finden konnte und das irgendwie wichtig für sie aussah, schmiss ich in ihre Tasche. Ich würde zu diesem Ort nicht zweimal zurückblicken, ich war froh das hinter mir lassen zu können und mit ihr gemeinsam zurück nach Los Angeles zu gehen. Meiner Meinung nach hatte ich ihr sogar einen riesigen Gefallen getan, nicht einmal ansatzweise ging ich davon aus, dass irgendetwas hiervon gegen ihren Willen ging und das sah man auch ganz deutlich in meinem Blick, als ich ihr Handy aus meiner Hosentasche zog und es ihr in die Finger drückte. "Das ist dein Ausweg, Jamie", sagte ich atemlos, fast schon stolz, während ich mir meinen Rucksack über die Schultern warf. "Sieh dir das letzte Foto an. Wenn er oder deine Mutter dir irgendetwas antun wollen, dann sagst du ihnen, dass du das hast. Und dass Matt oder ich eine Kopie haben. Und Matt erklärst du erst alles, was passiert ist, wenn die beiden in Italien sind, damit er nichts Falsches tun kann. Das ist ein todsicherer Plan, damit hast du alles, was du wolltest."
AUGUSTUS EVANS # 25 YEARS OLD # HOMELESS
![[Bild: gus04.png]](https://i.postimg.cc/rw0CVHWj/gus04.png)
|