RE: MIAMI
Ziellos starrte ich in den dunklen Garten herunter, mit fest aufeinander gepressten Lippen, weil es so schien als könnte nicht einmal Jamies Mutter ihr eine Hilfestellung sein. Sie wusste von den Waffen und von den illegalen Geschäften und hatte kein Problem ihre eigene Tochter dort mit hinein zu ziehen? Was war denn das für ein Mensch? Jamies Erklärung war zwar logisch und es passte auch zu diesem ominösen Selbstfindungstrip, zu dem ihre Ma ganz alleine aufgebrochen war, aber wenn sie sich durch diese kriminellen Aktivitäten und einen jugendlichen Liebhaber wieder lebendig fühlen konnte, warum musst dann ihre Tochter darunter leiden? Warum hatte sie Jamie nicht einfach bei Matt lassen können? Warum konnte nicht einfach mal alles gut sein? Verzweifelt fuhr ich mir mit gespreizten Fingern durch die Haare, bis in meinen Nacken und von dort wieder zurück, während ich mit der anderen Hand noch immer die von Jamie hielt. Bis sie mich daran erinnerte, weshalb ich eigentlich überhaupt zurück nach Los Angeles gekommen war: Eine viel zu lang hinausgezögerte Entschuldigung, für die ich meinen Blick wieder in ihre Augen richtete. "Ich weiß. Und ich bin zwei Mal zurück gekommen." Mehrmals hatte ich mir innerhalb der letzten Wochen zurecht gelegt, was ich Jamie wohl sagen würde, wenn ich vor ihrer Tür stand. Wie würde ich ihr das alles erklären? Welche Worte würde ich wählen, um ihr verständlich zu machen, was in mir vorging? Von all diesen Plänen war jedoch nichts mehr übrig, ich erinnerte mich an keine sorgfältig durchdachten Phrasen, sondern schüttelte bloß den Kopf. "Es tut mir Leid, Jamie. Was da passiert ist- in deinem Bett- das- hat mir Angst gemacht. Ich hatte das Gefühl du machst etwas mit mir - oder diese Beziehung macht etwas mit mir -, das ich nicht will. Und deshalb bin ich gegangen, schon wieder, ich weiß, aber- dann ist etwas passiert. Und jetzt ist- irgendwie alles anders." Allein schon bei dem Gedanken an die Dinge, die ich vor gut zwei Monaten über mich selber erfahren hatte, raste mein Herz so unangenehm, dass ich meine freie Hand schützend auf meine Brust legte. Ich wollte so gerne mit Jamie darüber reden, wollte ihr sagen, was ich wusste, doch etwa im selben Moment wie sie sah ich ebenfalls in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Eine dreiviertel Stunde hatte sie gesagt, viel Zeit blieb uns also nicht mehr, wenn niemand Verdacht schöpfen sollte, aber deshalb nickte ich auch entschlossen, als unsere Blicke sich wieder trafen. "Wenn deine Mutter und der Freund deiner Mutter wissen, wer ich bin, dann nimmst du mich jetzt mit. Du sagst ihnen, dass ich gekommen bin, wegen dir, und dass wir über einige Dinge reden müssen. Wenn sie wollen, dass du mit ihnen wie in einer Familie lebst, dann muss es doch auch in Ordnung sein, wenn du Besuch kriegst, oder? Wir reden nicht von Matt oder von dem Unfall oder von allem, was du mir gerade erzählt hast. Ich bin einfach nur hier, um dich zu sehen und mich bei dir zu entschuldigen. Und dann erzähle ich dir heute Nacht auch alles, was bei mir in den letzten zwei Monaten passiert ist. Okay?" Dass ich keine Widerrede zuließ müsste Jamie schon an meinem eindringlichen Blick erkennen.
AUGUSTUS EVANS # 25 YEARS OLD # HOMELESS
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