RE: MIAMI
Fassungslos sah ich Jamie weiterhin von der Seite an. Durch die Dunkelheit konnte ich zwar nicht erkennen, wie eine Träne an ihrer Wange hinab lief, aber ich brauchte kein Licht, um zu spüren, wie traurig sie war. Und wie sehr sie gerade verzweifelte. Ich kannte Jamie und ich verstand auch, weshalb sie so reagierte wie sie es tat. Warum sie jetzt hier in Miami war und warum sie sogar bis nach Italien gehen würde, um Matt und Madison zu schützen. Um nicht noch mehr Stress im Leben ihres Bruder zu verursachen. Aber schon seit jeher hatte sie einfach keinen Blick für diese eine elementar wichtige Sache: Matt liebte sie wirklich bedingungslos. Ich hatte ganz offensichtlich nicht viele Erfahrungen mit Geschwistern oder Familien, aber dieses unsichtbare Band, wovon man oft sprach - scheiße, das hatte ich bei Haily auch gespürt. Es existierte. Und bei Jamie und Matt tat es das auch. Jamie würde für ihren Bruder durch die Hölle gehen, um ehrlich zu sein passierte das gerade sogar, aber bei Matt war es genauso, das hatte ich gestern Abend noch gemerkt. Für ihn gab es kaum etwas Wichtigeres, als dass es seiner kleinen Schwester gut ging und genau deshalb rutschte ich jetzt auch von der Seite etwas näher an Jamie heran, so weit, bis unsere Körper sich berührten. Und ich ging sogar noch einen Schritt weiter, indem ich eine ihrer Hände mit meiner umgriff und ihre kalten Finger in meine schloss. "Und was glaubst du, was dann passiert, Jamie? Wenn du Matt aus Italien anrufst und ihm alles erzählst, damit er endlich weiß, wer an dem Unfall Schuld ist? Glaubst du das ändert dann irgendetwas? Dann findet er seinen Frieden damit und es ist für ihn dann auch gar kein Problem, dass du mit diesem Mann zusammen in einem Haus lebst?" Die Vorstellung war so abwegig, dass ich schwer mit dem Kopf schüttelte. "Ganz ehrlich, Jamie, du hast gerade selbst gesagt, dass es für ihn nichts Wichtigeres gibt, als Madison und seine Familie. Aber zu dieser Familie gehörst du doch auch dazu. Niemand kann jetzt noch ändern, dass der Unfall passiert ist, und niemand kann Madison ihr Gedächtnis zurückgeben, aber weißt du, was du tun kannst? Du kannst dafür sorgen, dass derjenige dafür zur Rechenschaft gezogen wird, der es verdient hat. Er muss doch bestimmt irgendwelche Unterlagen haben, über den Unfallwagen. Weißt du, was damit passiert ist? Ich wette, dass da irgendwo in eurem Haus Beweise sind, die ihn damit in Verbindung bringen. Und wenn du jetzt die Polizei rufst und ihn festnehmen lässt, dann werden die das auch finden." Ich war kein Freund von der Polizei, das wussten wir beide, aber in Situationen wie diesen wusste selbst ich, dass es die sinnvollste Option war. Und während ich Jamies Hand noch einmal mit meiner drückte konnte ich nur hoffen, dass sie das ebenfalls so sah. "Oder- was ist mit diesen Waffen? Wenn er wirklich Waffen in dem Haus lagert, dann hast du doch alles, was du brauchst. Ruf die Polizei, er wird festgenommen und dann sag Matt, was passiert ist. Dann musst du auch keine Angst mehr davor haben, dass er sich selber in Schwierigkeiten bringt oder dass noch etwas viel Schlimmeres passiert." Ich wandte den Blick von ihrem Körper ab, rieb mir mit meiner freien Hand noch einmal fest über die geschlossenen Augen und atmete dann ein weiteres Mal tief durch. "Du kannst auf jeden Fall nicht von mir erwarten, dass ich mich jetzt einfach umdrehe und wieder gehe. Nicht, solange du nicht was gegen ihn unternimmst. Vergiss es, Jamie. Ich war vielleicht- in der Vergangenheit gut darin vor dir wegzulaufen, aber nicht so. Nicht jetzt. Also wenn du jetzt wirklich meinst, dass du zurück in dieses Haus gehen musst und dass sich nichts ändern soll, dann stell ich mich vor die Tür und drückte von mir aus die ganze Nacht lang auf die Klingel." Damit hielt ich wenigstens mein Versprechen, dass ich nicht mit Matt reden würde und auch nichts tun würde, um irgendetwas an der Situation zu ändern. Mehr oder weniger.
AUGUSTUS EVANS # 25 YEARS OLD # HOMELESS
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