RE: MIAMI
Objektiv gesehen hatten Jamie und ich vielleicht noch nicht so viel Zeit miteinander verbracht wie andere Paare, allein schon deshalb, weil ich die meiste Zeit damit beschäftigt war vor ihr davon zu laufen. Es gab so viele Dinge, die wir voneinander noch nicht wussten. Aber einer Sache konnte ich mir bei ihr immer sicher sein, von Anfang an: Dass sie ehrlich zu mir war. Ich hatte noch nie zuvor einen Menschen kennen gelernt, in den ich sofort so viel Vertrauen gelegt hatte wie in sie. Sie sagte mir immer die Wahrheit, genauso wie ich das auch bei ihr tat, aber aus ebendiesem Grund merkte ich jetzt auch sofort, dass das im Moment nicht so war. Ich merkte es an ihrem Blick, an dem leichten Zittern in ihrer Stimme, an ihrer Körperhaltung. Jede Faser ihres Körpers verriet mir, dass in diesem Haus hinter ihr nicht alles in Ordnung war, dass sie sich nicht wohl dort fühlte und dass sie sich auch nicht auf ein Leben in Italien freute. Nur weshalb das so war, das konnte ich noch nicht erahnen. "Bitte, Jamie. Lüg mich nicht an. Bitte nicht." Meine Stimme klang fast flehend, mein Kopf wandte sich langsam von der einen in die andere Richtung. "So sind wir nicht, also bitte- rede einfach mit mir. Sag mir einfach was los ist." Genau in dem Moment öffnete sich die Tür und während drei dunkel gekleidete Männer durch den Vorgarten zu ihren Autos liefen, schlug mein Herz so schwer, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen hörte. Was war das hier? War das ein schlechter Film? Oder warum verspannte sich der Körper von Jamie so, als sie ebenfalls diese Männer bemerkte? Was hatte es mit denen auf sich? "Sind die der Grund, weshalb der Freund deiner Mutter keinen Besuch mag?", fragte ich expliziter, versuchte bewusst Jamie dadurch in eine Ecke zu drängen. "Wenn du nicht möchtest, dass ich irgendjemandem sage, was hier los ist, dann rede ich mit niemandem darüber. Auch nicht mit Matt. Ich verspreche es dir, okay? Sag mir einfach nur was los ist und dann- schauen wir gemeinsam, was wir dagegen tun können. Ja?"
Ganz bewusst gab ich ihr überhaupt nicht die Chance mehr Distanz zwischen unsere Körper zu bringen und sich dadurch diesem Gespräch zu entziehen. Als sie zwei Schritte vor mir zurückwich folgte ich ihr direkt und ging sogar noch weiter, indem ich vorsichtig meine Hände an ihre Unterarme legte und darauf hoffte, dass ich sie wenigstens durch diese Berührung in meiner Nähe halten konnte. Ich würde sie nicht gegen ihren Willen festhalten, so war ich nicht, aber ich wusste doch wie anfällig Jamie für mich war. Ich wusste, dass sie Gefühle für mich hatte. Und deshalb wusste ich auch, dass diese Wut in ihr und diese Ablehnung ebenfalls nicht dem entsprachen, was wirklich in ihr vorging. "Weil Matt weiß, dass du nicht so bist, Jamie. Und ich weiß das auch. Mir ist klar, dass ich dich schon wieder allein gelassen hab und das- tut mir unfassbar Leid, aber du bist mir nicht egal und du warst mir nie egal. Es ist nur- da ist so viel passiert in den letzten Wochen. Auch bei mir. Und ich will so gerne mit dir über das alles reden, weil du- die Einzige bist, mit der ich darüber reden kann, also- bitte. Gib mir einfach ein bisschen Zeit. Wenn du nicht willst, dass ich mit dir rein komme, dann komm wenigstens mit mir mit. Nur eine Stunde. Die Straße hier runter ist ein kleiner Pub, oder? Da können wir uns hinsetzen und ungestört reden. Okay? Bitte?" Was war denn bitte in diesem Haus los, dass Jamie sogar so weit ging mich anzulügen? Dass sie mir auf einmal das Gefühl gab sie hätte überhaupt kein Interesse an mir und als wollte sie viel lieber, dass ich mich auf der Stelle umdrehte und wieder ging? Jedem anderen Menschen hätte ich das bestimmt geglaubt, aber Jamie doch nicht. Dafür war ihr Herz viel zu gut.
AUGUSTUS EVANS # 25 YEARS OLD # HOMELESS
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