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SAN FRANCISCO MOLOTOV'S BAR
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Aiden Rutherford
PLEASE DON'T GO


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Beitrag #8
RE: MOLOTOV'S
Auch jetzt noch, gut drei Monate nach Lucys Tod, erwachte ich nachts noch manchmal aus Albträumen, völlig verschwitzt, schwer atmend, immer mit demselben Wortlaut im Kopf, der sich laut durch den Raum gezogen hatte, an jenem Tag. She's alive... alive! Dazu das Video auf dem Bildschirm, das ich noch nie vorher gesehen hatte, weil ich das Internet und die sozialen Netzwerke viel lieber mied. Insbesondere wegen so etwas. Weil ich nie wollte, dass mein privates Leben so in die Öffentlichkeit gelangte. Im ersten Moment hatte ich damals überhaupt nicht verstanden, was dort passierte und weshalb Lucy sich dieses Video angesehen hatte, in Dauerschleife. Warum sie diesen ganz anderen Ton dazu abspielen ließ. Wo war sie überhaupt? Sie hatte mir gestern nicht auf meine Nachricht geantwortet, heute auch noch nicht. Doch dann traf es mich auf einmal wie ein Schlag, mein Körper begann zu beben, mein Herz raste und ich konnte nichts anderes tun, als auf den Bildschirm zu starren. Sie lebte. Natürlich lebte sie, aber es gab einen Menschen, der nicht davon ausging. Chris. Und dann dieses Video dazu. Er hatte es gesehen. Nein nein nein nein nein nein nein. Bitte nicht. Mein Verstand hatte damals völlig ausgesetzt, ich hatte geweint und geschrien, war bei der Polizei, war nach Los Angeles gefahren, hatte versucht Chris ausfindig zu machen, dafür sogar meinen alten Freund aus dem Jugendknast aufgesucht, zwei Tage war ich völlig daran verzweifelt, dann kam der Anruf. Man hatte Lucys leblosen Körper gefunden, in San Francisco. Sturz von einem alten Fabrikgebäude. Selbstmord. Alles deutete daraufhin, es gab keine Anzeichen für Fremdverschulden. Bis auf die Tatsache, dass ich es besser wusste.
Die Polizei hatte mir damals trotzdem nicht zuhören wollen, ich hatte von dem Video erzählt, dem Ton in unserer Wohnung, einem der Polizisten erzählte ich die ganze Geschichte um Lucy und Chris, aber man erklärte mich viel eher für verrückt. Wenn das alles stimmte, warum hatten wir diesen Mann dann nicht eher angezeigt? Warum waren keine Einbruchspuren in unserer Wohnung? Warum fand man nichts, das gegen ihn sprach? Dieses verdammte Arschloch sagte mir, dass er nichts tun konnte, dass es keine Beweise gegen Chris gab und dass vor allem nach dem ersten Suizidversuch meiner Freundin alles daraufhin deutete, dass sie es noch einmal versuchen könnte. Ich sollte mir einfach professionelle Hilfe suchen, den Verlust verarbeiten und damit abschließen. Es tat ihm sehr Leid, sagte er, aber ich solle nach vorne sehen. Aber das war das Letzte, was ich zu dem Zeitpunkt tun konnte. Für mich gab es nur zwei Optionen: Entweder ich suchte weiterhin verbissen nach Chris und versuchte mich an ihm zu rächen, für den Schmerz, den er mir angetan hatte. Oder ich gab mich diesem Schmerz einfach hin. Und letztendlich- war ich zu schwach für Ersteres. Ich wünschte es wäre anders, aber ich hatte schon immer den leichtesten Ausweg gewählt und das waren auch diesmal die Drogen.
Erneut fiel ich völlig ins Delirium, konsumierte alles, was ich kriegen konnte, trank wieder täglich, rauchte zu viel, nahm Valium zum Einschlafen. Ich sah so aus, als wäre ich innerhalb von ein paar Wochen um mehrere Jahre gealtert, meine Band sorgte sich um mich, ebenso wie mein Management. Freunde gab es nicht mehr. Ich erschien nicht zu Terminen und weil alle fürchteten, dass wir die große Tour Ende des Jahres absagen mussten, schoben sie spontan vorher eine kleine Tour ein. Eine Woche lang im Nightliner an der Westküste, nur kleine Locations. Die Probe aufs Exempel sozusagen. Kaum einer rechnete damit, dass ich es wirklich durchziehen würde, ich selber vermutlich am wenigsten, aber die Musik war für mich noch immer wie ein Ausweg, den ich gerade jetzt mehr brauchte denn je. Also kam ich zum vereinbarten Treffpunkt nach Los Angeles und hatte es sogar bereits geschafft mich mit allerlei Drogen vier Tage über Wasser zu halten. Die Shows von uns waren gut, voller Energie, während dieser knappen Stunde auf der Bühne gab ich jeden Abend alles, aber ich war fertig. Mein Körper war fertig. Das sah jeder. Wenn ich gegen Nachmittag im Bus aufwachte, griff ich als Erstes nach einer Flasche Bier oder Whiskey, zog mir zum Frühstück eine Line in die Nase, nur ab und zu konnte ich mich dazu durchringen lustlos an einem Brötchen zu kauen, lieber folgte ein paar Stunden später noch eine Line. Dann eine Große kurz bevor wir auf die Bühne gehen sollten. Zwischendurch immer wieder Alkohol. Nach der Show schlief ich wahllos mit fremden Frauen, so wie früher, und wenn sich am frühen Morgen der Nightliner wieder in Bewegung setzte, dann schluckte ich ein, manchmal sogar zwei Valium, um wenigstens ein paar Stunden schlafen zu können. Das war mein zerstörerisches Leben, aber wen sollte es jetzt noch kümmern, wenn Lucy nicht mehr bei mir war? Das machte keinen Sinn, nichts machte mehr Sinn.
Heute waren wir in San Francisco, doch um ehrlich zu sein war mir auch das völlig gleich geworden. Ich hatte keinen Überblick mehr über die Städte, in denen wir uns befanden, oder darüber, wie viel Zeit schon vergangen war. Kurz vor dem Auftritt würde es mir schon irgendjemand sagen, damit ich nicht aus Versehen die falsche Stadt begrüßte. Normalerweise lebte ich diese Hardcore-Musik so sehr, dass ich mir selten eine Vorband entgehen ließ, aber auch das hatte momentan keinen Stellenwert, lieber hing ich einfach im Backstage rum und machte Gebrauch von dem kostenlosen Alkohol, den man uns hier zur Verfügung stellte. Gerade kam ich von der Toilette, rieb mir die frisch gepuderte Nase und sah so gerade noch, wie eine durchaus attraktive junge Frau ein paar Plastikbecher auf dem Tisch verteilte. Das war mir egal, so wie mir das Meiste gleichgültig geworden war, und anstatt mich darüber aufzuregen, betrachtete ich viel lieber ausgiebig ihr wohl geformtes Hinterteil, bis sie sich in meine Richtung drehte. Eigentlich, um an mir vorbei zu gehen und den Raum wieder zu verlassen, doch bevor sie dazu kam ging ich provokativ einen Schritt zur Seite und versperrte ihr mit meinem Körper den Weg. Meine Augen wirkten ganz weit weg, dunkle Ränder zeichneten mein Gesicht, aber meine Mundwinkel hoben sich trotzdem zu einem schiefen Lächeln. "Wohin so schnell?", fragte ich, in dieser vielsagenden, verlockenden Tonlage. Ich versuchte sie anzusehen, schaffte es aber nicht recht auf ihre Augen zu fokussieren. "Hi. Ich bin Aiden", stellte ich mich deshalb vor, während ich ihr gleichzeitig meine Hand ausgestreckt entgegen hielt. "Und du bist schön. Woher kommst du?"


AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE

[Bild: aiden04.png]
22.09.2015 15:10
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SAN FRANCISCO MOLOTOV'S BAR - Admiss - 08.09.2015, 12:00
RE: MOLOTOV'S - Noah Scott - 08.09.2015, 12:00
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RE: MOLOTOV'S - Haily Stone - 23.09.2015, 06:25
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RE: MOLOTOV'S - Haily Stone - 24.09.2015, 06:56
RE: MOLOTOV'S - Lahja Emilia O'Neill - 24.05.2016, 22:26