 |
KRANKENHAUS
|
Verfasser |
Nachricht |
Matthew Dawson
WHERE IS MY MIND?
Beiträge: 229
Registriert seit: Jun 2015
|
RE: KRANKENHAUS
Sofort schüttelte ich den Kopf, als Madison ihre Hand hob und ihre Finger langsam über ihr Gesicht zog. Natürlich hatte sie nach ihrem Sturz durch die Scheibe ein paar Schnittverletzungen abbekommen, aber die waren nach vier Wochen alle verheilt, nichts von dem Unfall war noch zu erkennen. "Nein, ich meine- wie du mich ansiehst. Das ist- anders. Als hättest du mich noch nie vorher gesehen. Wie traurig, ich war früher mal schöner, als jetzt." Über diese ironischen Worte musste ich selber einmal auflachen, so wie immer, aber diesmal blieb es mir im Hals stecken, weil ich merkte, dass die Frau vor mir auch das nicht kannte. Meinen Sarkasmus. Und dass die Situation für sie genauso schlimm sein musste wie für mich, wenn nicht noch schlimmer. Sie hatte keine Ahnung, wer sie war, das war doch keine Grundlage für dumme Scherze. Zumindest, wenn man nicht wusste, dass ich selbst in den schlimmsten Momenten zu solchen Aussagen in der Lage war. "Entschuldige. Warte." Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, öffnete die Frontkamera und hielt es meiner Frau entgegen. "Da kannst du dich ansehen. Wenn du möchtest. Bei den Bildern sind auch einige Fotos von uns. Ich weiß nicht, ob dich das überfordert, aber- wenn du das sehen möchtest, dann- kannst du dich gerne da durchklicken." Noch einmal legte ich eine Hand in meinen Nacken und rieb nervös darüber, schaffte es aber noch immer nicht den Blick von Madison abzuwenden. Sie wusste nicht einmal wie sie aussah. Wie beängstigend das sein musste konnte ich nur erahnen. "Vier Wochen warst du im Koma, ja. Und es waren einige Leute hier, du hast viele Freunde. Du- bist Tätowiererin." Meine Mundwinkel hoben sich zu einem sanften Lächeln, als ich auf ihre tätowierten Unterarme deutete, die sie auch ohne Spiegel sehen konnte. "Einige Kunden von dir haben sogar Briefe oder Genesungskarten geschrieben, ich hab sie alle gesammelt und mit nach Hause genommen." Ich gab mir alle Mühe die Fragen von meiner Frau so gut es ging zu beantworten, aber es ließ sich auch nicht verbergen, dass ich immer wieder ins Stocken geriet. Weil ich mich in dieser Situation noch nicht zurecht fand. "Wir haben zwei Mal geheiratet. Einmal in New York, ganz- überstürzt. Das ist schon einige Monate her. Und dann noch einmal vor etwa sechs Wochen, kurz vor dem Unfall. Hier in Los Angeles am Strand, mit all unseren Freunden, einem Lagerfeuer, viel Alkohol." Wieder hoben sich meine Mundwinkel, als ich mich an diese Nacht erinnerte. Insbesondere an das kleine Holzhaus am Strand. An die Dinge, die ebenfalls in Madisons Kopf nicht mehr existierten. "Wir sind vor ein paar Wochen umgezogen, in ein Haus. Vorher haben wir so mehr oder weniger gemeinsam in deinem 1-Zimmer-Appartement gewohnt. Ich hatte auch noch ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, aber- eigentlich waren wir selten getrennt voneinander." Noch weniger angenehm wurde es, als ich mich an den Unfall erinnern musste und als mir in dem Moment auch auffiel, dass nicht nur die positiven Erinnerungen gelöscht waren, sondern auch die Negativen. Sie wusste nichts von Chris, von der Vergewaltigung, von Chas, von der Fehlgeburt, auch das alles existierte im Moment nicht mehr und während das einerseits erleichternd war, fühlte es sich auch ebenso beängstigend an. Musste ich derjenige sein, der ihr Gedächtnis auch dahingehend auffrischte? "Wir haben einen Ausflug zusammen gemacht, in die Wüste. Irgendwann mitten in der Nacht sind wir zurück gefahren und- wurden von einem anderen Auto gerammt. Du warst nicht angeschnallt, durch den Aufprall bist du- durch die Frontscheibe gefallen. Dein Kopf ist darauf aufgeschlagen." Das mit der Fahrerflucht, das ließ ich weg. Ebenso die Tatsache, dass wir uns eigentlich sicher waren, dass es kein Unfall sein konnte, sondern dass jemand uns absichtlich gerammt hatte. Die Straße war frei gewesen, das Licht am Auto hatte funktioniert. Niemand fuhr geradeaus und mit so hoher Geschwindigkeit auf ein anderes Auto auf, zumindest nicht ohne Grund. "Deine Eltern waren noch nicht hier, nein. Sie wohnen in New York, aber ich stand eigentlich ständig mit deinem Vater und deinem Bruder in Kontakt, darüber wie es dir geht. Und ja, du hast einen Bruder. Ian. Ihr seid Zwillinge." Darüber, dass Ian im Rollstuhl saß und über seine Krankheit, verlor ich auch noch kein Wort. Zu viele Informationen auf einmal. "Du bist 32 Jahre alt und- nein, ich hab dich kennen gelernt, als du etwa 19 warst. Glaube ich. Ich erinner mich nicht mehr genau. Das klingt jetzt komisch, aber du warst damals mit meinem besten Freund zusammen. Kilian. Nachdem ihr euch getrennt habt, haben wir uns einige Jahre lang nicht mehr gesehen, bis wir uns eher durch Zufall in einer Kneipe getroffen haben. In New York. Damit- hat alles angefangen und eigentlich auch nie aufgehört." Ich senkte meinen Blick auf ihre Hand und betrachtete ihre dünnen Finger, die ich so gerne berühren wollte. Aber auch das unterließ ich, weil dieser argwöhnische Blick meiner Frau mich immer wieder daran erinnerte, dass sie mich nicht kannte. "Ich- will dich nicht überfordern, also wenn ich irgendetwas falsch mache, dann- sags mir, okay? Soll ich dir vielleicht einen Rollstuhl besorgen? Möchtest du mit mir einen Kaffee trinken gehen oder einfach etwas durch die Gegend fahren? Hast du noch mehr Fragen, die ich dir beantworten kann?" Wie dumm, natürlich hatte sie noch mehr Fragen. Endlos viele wahrscheinlich.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
|
|
21.09.2015 20:44 |
|
Nachrichten in diesem Thema |
|
|  |