RE: MOLOTOV'S
Lachend fing ich Haily auf, nachdem sie in euphorischer Glückseligkeit das Gleichgewicht verlor und gegen meinen Körper stolperte. Zugegeben, es hätte mich wirklich sehr gewundert, wenn diese absolut herzensgute Person bei ihrem ersten Besuch im Pit direkt eine ganz neue Seite in sich entdeckt hätte. Sie kleidete sich heute dem Anlass zwar angemessen, aber innerlich unterschied sie sich doch so sehr von den meisten Gästen hier. Gerade in der Hardcore Szene hatte ich oft das Gefühl, dass die Leute sich dort trafen, um das auszuleben, was ihnen in der Gesellschaft untersagt war. Hier konnte man frei sein von Vorurteilen, den Frust heraus schreien oder die Wut körperlich zum Ausdruck bringen, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Haily brauchte das aber nicht, sie war von Natur aus schon so ein offener Mensch, der sich von keinerlei Regeln eingeschränkt fühlte und demnach auch gar keine negativen Gefühle an sich heran ließ. Manchmal fragte ich mich wie sie das machte, unter anderem auch gerade jetzt. Wie schaffte sie es diese neckenden Kommentare meiner Freunde einfach hinzunehmen, ohne sich auch nur einmal darüber zu ärgern? Ohne einmal schnippisch darauf zu antworten? Immer wieder sah ich sie fasziniert an, konnte aber nicht einmal in ihrem Blick einen Ansatz von Verärgerung entdecken. Wie konnte man nur so positiv sein? "Ganz so gut kann ich das nicht, nein. Ich mag aber auch die Aufmerksamkeit nicht so, sondern halt mich lieber an der Gitarre etwas im Hintergrund. Der da ist bei uns in der Band der Shouter." Mit einem Nicken deutete ich auf einen Freund von mir, der neben uns stand, und das auch grinsend bestätigte. "Aber es ist echt schön, dass du so viel Spaß daran hast." Noch immer erschöpft legte ich einen meiner Arme auf Hailys Schulter ab und lächelte sie dabei sanft an, ehe das in ein Kopfschütteln überging. "Nein, wir gehen auf jeden Fall auf die Psy-Party. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube das könnte gleich genau das Richtige sein. Nur vielleicht sollten wir vorher nochmal Zuhause vorbei gehen und die Klamotten wechseln." Demonstrativ zupfte ich an meinem verschwitzten T-Shirt, aber weil in dem Moment schon der Soundcheck der nächsten Band losging und ich mir vorher auf jeden Fall noch ein Bier gönnen wollte, zögerte ich die Antwort auf ihre übrigen Fragen noch ein wenig hinaus. Unter anderem auch deshalb, weil die restlichen Anwesenden mich vermutlich auslachen würden, wenn ich jetzt begann den Pit mit Meditation zu vergleichen.
Die zweite Band war noch ein bisschen besser als die Erste und weil immer dann ein neuer, verdammt guter Break kam, wenn ich eigentlich gerade am Rand Luft schnappen wollte, verausgabte ich mich dabei nur noch mehr. In der nächsten Umbaupause konnte man deshalb kaum etwas mit mir anfangen, lieber saß ich erschöpft am Bordstein und rauchte eine Zigarette, während Haily entweder mit dem Barkeeper oder mit ein paar Freunden von mir sprach. Erst nach der dritten Band, für die ich mich leider nicht ganz so sehr begeistern konnte, schenkte ich ihr wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir standen zwar noch ein paar Minuten draußen, rauchten, redeten mit einigen neuen und alten Bekannten, aber weil wir ja noch Pläne hatten, verabschiedeten wir uns relativ schnell von allen und gingen auf demselben Weg zurück zum Haus, auf dem wir auch gekommen waren, damit ich mich noch schnell umziehen konnte. Und die Zeit nutzte ich dann auch, um endlich die Gedanken mit Haily zu teilen, die sie anscheinend so brennend interessierten. "Ich weiß nicht genau, ob man das mit Meditation vergleichen kann, aber- ja, vielleicht ein bisschen. Das klingt jetzt total komisch, nachdem du den Krieg da gerade gesehen hast, aber für mich ist der Pit schon sowas wie- ein Ort des Friedens. Ich fühl mich nirgends so Zuhause wie dort. Oder so- frei. Auch das klingt absurd, aber wenn ich im Pit bin, dann bin ich am Ehesten so wie du, glaube ich. Ich kann sein, wer ich will, und ich kann tun, was ich will. Ich lass mich da nicht von irgendwelchen Regeln oder Gesetzen oder von der Gesellschaft beeinflussen, im Gegenteil. Das ist so- auf einmal stellt sich mein Kopf einfach ab und man lebt nur noch für diesen einen Moment. Man denkt irgendwie an gar nichts dabei, man fühlt das nur. Die Musik, die Energie, die ganzen Emotionen, das ist einfach- alles." Es fühlte sich so an, als könnte man einfach nicht in Worte fassen, was da mit einem geschah, deshalb zog ich auch ratlos meine Schultern hoch und schüttelte erneut mit dem Kopf.
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