RE: MOLOTOV'S
Die Worte von Haily erwärmten mein Herz wirklich von ganz tief innen, insbesondere weil ich glaubte genau das auch unbedingt mal wieder hören zu müssen. Dass man sich gerne in meiner Nähe aufhielt. Gerade im Moment steckte ich in so einer schwierigen Situation, nicht nur Lahja war von dieser Veränderung in mir ein wenig überfordert, auch die ganzen Leute hier, die mich vor allem heute wegen meiner Begleitung so komisch beäugten. Eben die, die kein Teil von diesen alternativen Lebensmodellen waren, und auch kein Interesse daran zeigten sich selber damit auseinander zu setzen. Für mich war es wirklich kompliziert, dass ich von den einen Freunden ständig Zuspruch erhielt, während andere eher kritisch damit umgingen, aber Haily bestärkte mich darin, dass ich meinen Weg schon finden würde. Und dass es dabei auch vor allem um mich ging. Darum, dass ich glücklich und zufrieden sein konnte. Ich musste die Mitte in mir selber entdecken und wenn es tatsächlich Leute gab, die damit nicht zurecht kamen, dann musste man auch das akzeptieren, aber sich nicht davon beeinflussen lassen. Weil ich Haily für das alles so dankbar war, schloss ich ebenfalls fest meine Arme um ihren Körper und hielt sie länger an mir als jemals zuvor. So lange, bis sie sich plötzlich erschrocken an mich klammerte und auch ich darüber in Lachen ausbrach. Diese Frau hatte mir in meinem Leben gefehlt, definitiv. Jemand, der so unglaublich offen und zufrieden war, der so viel Lebensfreude in sich trug. Jemand, der so ganz anders war, als Lahja. Genau dieser Gedankengang war es dann aber auch, der mich auf einmal beängstigte und wieder vor Probleme stellte, die ich überhaupt nicht haben wollte. Ich liebte meine Freundin doch und ich wollte mit ihr zusammen sein, aber gerade heute fühlte es sich mal wieder so an, als wäre das nicht alles. Als suche ich eigentlich nach mehr. Nicht nur nach ihrem Glück, sondern gleichzeitig auch nach meinem.
Erfreulicherweise gab es für mich kein effektiveres Mittel, um den Kopf von den Anstrengungen des Alltags zu befreien, als ohrenbetäubend laute Hardcore Musik, deshalb kribbelte es auch schon während des Soundchecks in meinem ganzen Körper euphorisch. Anfangs war ich noch ein bisschen umsichtig, achtete vor allem darauf, dass Haily nichts allzu Heftiges abbekam und meine Freunde sie nicht zu sehr neckten, aber nachdem sie sich auf der Theke in Sicherheit gebracht hatte, ließ ich wirklich völlig los. Immer, wenn ein Song danach verlangte, stürzte ich mich auf den Sänger und schrie mit den anderen Jungs Passagen der Texte ins Mikrofon. Bei einem Breakdown schlug ich mit meinen Armen brutal nach hinten, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich war vielleicht nicht mehr dafür gemacht wie die jungen Kids einen Handstand zu zeigen oder mitten im Pit ein Rad zu schlagen, aber wenn nicht gerade einer von denen seine Akrobatik-Kunststücke präsentierte, nutzte ich den Raum vorne voll aus. Schon nach der ersten Band war ich so ausgelaugt, dass der Schweiß mir am ganzen Körper hinab lief, dass ich keuchend nach Luft schnappte und es nicht einmal schaffte auf Haily zuzugehen, sondern direkt den Ausgang ansteuerte und ihr nur mit einem Blick und Nicken verdeutlichte, dass ich dringend Sauerstoff benötigte. Erst an der frischen Luft blieb ich atemlos stehen, wischte mir mit dem Stoff meines T-Shirts den Schweiß von der Stirn und wartete darauf, dass meine Begleitung mir folgte, was sie auch tat und dafür direkt mit einem breiten Lächeln begrüßt wurde. "Und?", fragte ich, amüsiert grinsend. "Spürst du den Hass oder kommt das immer noch nicht bei dir an?" Zwei Freunde von mir neckten Haily spaßeshalber mit ihrer Flucht auf die Theke, aber letztendlich wusste ich, dass auch das nicht wirklich ernst gemeint war. Jeder hier war froh über jeden interessierten und zahlenden Besucher. Über jede Art der Unterstützung in dieser kleinen Szene. Vor allem, wenn man selber in einer Band spielte und wusste, wie hart es sein konnte, vor nur einer Hand voll Leuten aufzutreten.
|