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PSYCHIATRIE
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Adam Hudson
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Beitrag #13
RE: PSYCHIATRIE
Es gab nur eine Frage, die ich mehrmals von Patienten zu hören bekam, aber bisher noch nie ehrlich beantwortet hatte, und genau die hatte auch Nele mir bei unserem ersten Gespräch gestellt. Was meine Hintergründe hierfür waren. Weshalb ich mich für den Job interessierte. Am Geld konnte es nicht liegen, damit hatte sie Recht. In einer eigenen Praxis wäre das anders, aber hier war die Bezahlung eher dürftig, das hatte aber auch tatsächlich nie eine Rolle für mich gespielt. In Wirklichkeit war es tatsächlich dieser Todeswunsch, den ich nachvollziehen wollte. Was trieb andere Menschen dazu, dass sie den Tod mit offenen Armen empfinden und dem Leben den Rücken kehren wollten? Das interessierte mich, aus persönlichen Gründen, aber anstatt Nele die Wahrheit zu erzählen und mich damit weiteren Fragen auszusetzen, lächelte ich sie lieber an und wich der Beantwortung tatsächlich ein wenig aus. Ich führte ihr vor Augen, dass diese Gespräche nicht ausweglos bleiben mussten, dass es mich mit Freude erfüllte Hoffnung zu verbreiten und zu helfen. Dass mich darüber hinaus auch die Neurologie interessierte, wie das Gehirn funktionierte, wie körperliche Beschwerden mit mentalen Beschwerden zusammenhingen, das volle Programm der Standardantworten, die man von jedem Therapeuten hören würde. Ich konnte nicht beurteilen, ob sie das zufrieden stellte oder ob sie das nachvollziehen konnte, aber bevor wir zu tief in ein Thema eindringen würden, das ich lieber weit von mir hielt, widmete ich lieber ihrer Frage zu der Medikation. "Wenn du mir erklären kannst, weshalb du der Meinung bist, dass eine andere Medikation besser ist, und ich das aus medizinischer Sicht auch unterstützen kann, dann ja. Nele, das ist dein Körper und du musst nichts deinem Körper zuführen, das du ihm nicht zuführen möchtest. Du bist wirklich die Einzige von uns beiden, die wirklich weiß, wie es ist mit einer bipolaren Störung zu leben, aber ich würde mir trotzdem herausnehmen, dass ich mich mit der Wirkungsweise der Medikamente besser auskenne, als du. Du hast es wahrscheinlich schon hundert Mal gehört, aber dein Körper muss sich an jeden fremden Stoff erst gewöhnen. Das heißt, dass du eine Reihe an Nebenwirkungen durchmachen wirst, aber das alles gilt nur für eine begrenzte Zeit. Es wäre absolut falsch bei den kleinsten Komplikationen bereits das Handtuch zu werfen. Wenn du allerdings wirklich der Meinung bist, dass dir eine bestimmte Tablette nicht gut tut, dann ja. Dann können wir gerne darüber reden und nach Alternativen suchen. Mein Ziel ist es, dass wir zusammen arbeiten, nicht gegeneinander." Ich wusste nicht genau, was es war, aber irgendetwas schien Nele in meiner Art zu überzeugen. Vielleicht hatte es auch einfach nur damit zutun, dass sie hier in einer geschlossenen Einrichtung saß und keine Wahl hatte, als mit mir zu kooperieren, wenn sie diese Räumlichkeiten in naher Zukunft verlassen wollte. Aber da war noch mehr. Mit jedem Gespräch wurde unser Vertrauen ineinander gestärkt, unser Verhältnis zueinander intensiver und Nele konnte sich immer mehr öffnen. Noch immer beantwortete ich bereitwillig jede Frage, die sie an mich stellte, und ebenso galt das auch für sie. Der Weg dahin war zwar langsam und steinig, aber wir machten tatsächlich jedes Mal kontinuierlich Fortschritte in ihrer Entwicklung und innerhalb kürzester Zeit fing ich an dieses Mädchen wirklich zu mögen. In der Ausbildung war es einer der wichtigsten Grundsätze, dass man zu jedem Zeitpunkt Berufliches von Privatem trennen musste und dass keinerlei Gefühle für einen Patienten erwünscht waren, weder romantische, noch freundschaftliche Emotionen. Ich verstand natürlich den Sinn dahinter und ich war mir eigentlich auch sicher, dass ich das sehr gut differenzieren konnte und mich niemals auf eine Beziehung oder eine Freundschaft mit einem Patienten einlassen würde, aber diese strikte Distanz- das war einfach nicht meine Art. Anfangs hatte ich dafür oft Kritik von meinem Chef einstecken müssen, auch dafür, dass mich meine Patienten beim Vornamen ansprachen, weil er der Meinung war das vermittle ein falsches Bild, doch innerhalb der letzten fünf Jahr hatte ich mich bewiesen und durchsetzen können. Meine Methoden wurden anerkannt und sogar gelobt. Für mich gehörte dazu eben auch diese emotionale, eher freundschaftliche Verbindung. Ich fühlte mit meinen Patienten mehr mit, als ich eigentlich sollte, und genau das hatte auch dazu geführt, dass ich Nele als Person wirklich schätzte. Weil sie sich eben in so einer schwierigen Situation befand.
Als Nele mir nach ein paar Wochen ankündigte, dass ihre Mutter erneut zu Besuch kommen würde, motivierte auch ich sie sofort dazu, mit ihr gemeinsam in eine Therapiestunde zu kommen. Vielleicht hätte ich mir das zwei Mal durch den Kopf gehen lassen, wenn ich zuvor gewusst hätte, wie sich das auswirken würde, aber obwohl ihre Mutter schon bei unserem ersten, gemeinsamen Gespräch einen eher strengen Eindruck hinterlassen hatte, rechnete ich einfach nicht mit dem, was mich tatsächlich erwartete. Es schien als wäre diese Frau völlig desillusioniert. Als hätte sie sich nicht einmal bewusst mit der Krankheit ihrer Tochter auseinander gesetzt. Als verurteile sie Nele für all die Dinge, die man schon seit Jahren versuchte aus der Gesellschaft zu verbannen. Dass mentale Krankheiten nicht bedeuteten, dass man verrückt war, zum Beispiel. Dass man mentale Krankheiten nicht heilen oder behandeln konnte. Das war alles so überholt, dass ich sie ein paar Mal tatsächlich nur völlig überfordert und gleichermaßen geschockt anstarrte, bis mir innerlich der Kragen platzte. Äußerlich ließ ich das nicht zu, ich blieb in meiner ruhigen, freundlichen Haltung, aber in mir kochte die Wut. "Mrs. Hensley, wenn ich kurz- wenn ich kurz etwas dazu sagen dürfte-" Ich lehnte mich in meinem Sessel ein wenig nach vorne, blickte kurz auf meine Unterlagen, aber dann wieder entschlossen in das Gesicht der älteren Dame. Im Gegensatz zu ihr sprach ich aber in normaler Lautstärke und tat nicht so, als könnte Nele mich nicht hören, wenn ich nur leise genug flüsterte. "Es gibt Patienten, die dauerhaft in unserer Einrichtung leben, ja. Das ist etwas, das wir tun müssen, wenn Patienten eine Gefahr für sich selber oder für andere Menschen darstellen und es keine Möglichkeit zur Behandlung gibt, aber Ihre Tochter- Nele ist ganz weit davon entfernt. Sie macht unheimliche Fortschritte und ich bin wirklich sehr guter Dinge, dass wir ihr mit der Therapie und mit den Medikamenten ein geregeltes Leben ermöglichen können." Bewusst wandte ich mich wieder meiner Patientin zu, weil ich im Gegensatz zu ihrer Mutter nicht über sie in der dritten Person reden wollte, während sie im Raum saß. "Ich will dich nicht anlügen - eine Ausbildung, ein Studium oder ein geregelter Job kann immer wieder zu Problem führen, aber ja, ich bin mir sicher, dass wir uns auf dem besten Weg dahin befinden, dass du dein Leben selbstständig meistern kannst. Das bedeutet auch, für dich selber zu sorgen. Du weißt, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, aber ich würde gerne in einer der nächsten Sitzungen mal die Optionen mit dir durchgehen. Jetzt ist es noch zu früh, aber sobald du entlassen wirst, könnte man eventuell ein ausgeweitetes Fernstudium in Betracht ziehen. Etwas, das dich nicht zu sehr anstrengt, aber deinen Kopf fordert. Vielleicht auch einen geringfügigen Nebenjob. Du bist definitiv in der Lage dazu." Damit hatte ich zumindest die Frage meiner Patientin beantwortet, die diese Farce überhaupt erst gestartet hatte, aber ich war noch lange nicht fertig mit ihrer Mutter und legte deshalb auch meine Unterlagen auf den Tisch vor mir, während ich gleichzeitig vom Sessel aufstand. "Nele, würdest du mich und deine Mutter für einen Moment entschuldigen? Ich würde gerne mit ihr unter vier Augen sprechen, wenn das für dich in Ordnung ist." Ich wartete so lange, bis ich ihre ausdrückliche Zustimmung erhielt - wir arbeiteten schließlich noch immer im Team, nicht gegeneinander -, erst dann bat ich ihre Mutter mit einer Handbewegung vor die Tür.
26.08.2015 14:16
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PSYCHIATRIE - Admiss - 23.08.2015, 20:14
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