RE: CROSS PUB
So wie Lahja mich ansah, erweckte ich ihr gegenüber vermutlich den Eindruck, als wüsste ich ganz genau, was ich hier tat, aber in Wirklichkeit war ich weit davon entfernt. Das beschäftigte mich genauso wie sie und ich war ebenso unsicher damit. Jetzt im Moment fühlte es sich so an als könnte ich sehr gut damit leben, dass Lahja nicht nur mir so nah stand, sondern auch Zac, aber jetzt im Moment ging es mir auch ausgesprochen gut. Ich fühlte mich wohl in meiner Haut und war glücklich mit meinem Leben, genau dasselbe wollte ich auch für meine Freundin. Aber was, wenn sich etwas ändern würde? Wenn ich mal ein paar Monate in die Zukunft dachte - was, wenn ich doch irgendwann mit Lahja zusammen ziehen wollte? Mit ihr gemeinsam in derselben Stadt wohnte? Mehr noch, in derselben Wohnung? Wäre es für mich dann auch kein Problem sie abends zu einem anderen Mann gehen zu lassen? Würde sie das dann noch immer wollen? Da waren so viele Dinge, denen ich mir nicht sicher sein konnte, und deshalb war dies für mich ebenso ein Experiment wie für alle anderen Beteiligten. Vielleicht hatte ich mich auch einfach nur von meinen Hippie-Freunden in etwas hinein reden lassen, dem ich eigentlich gar nicht gewachsen war. Das nahe Umfeld besaß schließlich einen großen Einfluss, vielleicht nahm ich mir einfach nur ihre weisen Worte an, aber wusste gar nicht, worauf ich mich damit eigentlich einließ. Aber auch das würde die Zeit zeigen. Im Moment war es einfach nur wichtig, dass Lahja und ich einander liebten, dass keiner von uns diese neue Beziehung so schnell wieder aufgeben wollte und dass wir gemeinsam an all den Hürden arbeiten würden, die sich uns in den Weg stellten. Das war die Hauptsache.
"Ich weiß auch nicht wie das werden wird", gab ich dennoch ehrlich zu, einfach um ihr auch zu zeigen, dass ich in all dem ebenso unsicher war, wie sie. Und dass es in Ordnung war Fehler zu machen, weil sowieso keiner von uns die Regeln für dieses etwas andere Beziehungsmodell kannte. Vermutlich, weil es keine gab. Weil man für sich selber herausfinden musste, wo die Grenzen waren, genau das war der Sinn dieser alternativen, gesellschaftsunabhängigen Methoden. "Aber wir finden das einfach gemeinsam heraus?" Mein Körper war noch immer ein wenig angespannt und verkrampft, als Lahja sich selber noch näher an mich heran zog, als sie ihre Arme um meinen Hals schloss und unsere Lippen erneut aufeinander trafen. Doch je länger wir so dicht beieinander standen, desto sicherer wurde ich mir dieser ganzen Sache. Es war absurd, eigentlich hätte ich doch gerade in diesem Moment eifersüchtig sein sollen, weil jemand anderes genau das hier auch mit ihr teilen würde, aber das war so nicht. Ich freute mich viel mehr für sie, dass sie so glücklich war. Dass ich ihr die Ängste und Sorgen hatte nehmen können. Das war ein so schönes Gefühl, dass ich ihren schmalen Körper noch dichter zu mir zog und sanft lächelte, als unsere Lippen sich langsam wieder voneinander trennten. "Du hast mich also angehimmelt", wiederholte ich, in ganz anderer, eher ironischer Tonlage. "Wie wäre es, wenn wir zu mir nach Hause gehen und ich dir da meine WG und meine verrückten Mitbewohner zeige? Auf dem Weg dahin erzähle ich dir, warum ich auf einmal auf so komische Ideen komme? Und wenn wir dann in meinem Zimmer sind, spiele ich dir vielleicht noch ein oder zwei Lieder, damit du mich noch ein bisschen anhimmeln kannst? Das gefällt mir nämlich ganz gut." Mit einem schiefen Lächeln im Gesicht lehnte ich mich noch einmal nach vorne, küsste Lahja kurz auf die Lippen, aber weil ihr mein Plan anscheinend zusagte, verschwand ich kurz im Inneren der Kneipe, packte meine Gitarre in den dafür vorgesehenen Koffer und verabschiedete mich von den Leuten, die ich kannte. Wieder draußen angekommen sah ich mich nach Lahja um, streckte einladend meine Hand in ihre Richtung und wartete darauf, dass sie meine Finger mit ihren umgriff, bevor ich neben ihr her die Straße herunter lief.
Wie versprochen erzählte ich ihr von meinen ersten Wochen in San Francisco und davon, dass ich damals - heute auch noch - oft im Golden Gate Park musiziert hatte, in der Nähe des Hippie Hills. Dort hatte ich dann genau die Personen kennen gelernt, die mein Denken jetzt so beeinflussten. Alternative Lebensmodelle, freie Liebe, Abgrenzung von den gesellschaftlich auferlegten Regeln. Wenn man in San Francisco war und sich darauf einließ, dann versank man schnell in der Hippie Szene und in den grenzenlosen Möglichkeiten, die das mit sich brachte. Ich hatte viele Leute kennen gelernt, die genau so lebten, wie es sich für sie selber richtig anfühlte, ohne sich von irgendetwas beeinflussen zu lassen. Und genau das waren die Menschen, die am Glücklichsten schienen. Sie schienen so zufrieden mit sich selber und mit dem, was ihnen gegeben war. Obwohl sie eigentlich wenig Materielles besaßen. Mich hatte nicht nur ihre Mentalität bezüglich zwischenmenschlicher Beziehungen geprägt, sondern einfach ihre Art zu Denken. Zufrieden zu sein. Positive Gefühle zuzulassen und die Negativen auszuschließen. Das hatte ich zwar nicht vollkommen für mich verinnerlicht, denn ich spielte noch immer lieber in einer Hardcore Band, als glückselige Töne über den Weltfrieden zu singen, aber ich hatte mich dadurch trotzdem sehr verändert und viele Dinge infrage gestellt, die man eigentlich einfach so akzeptierte. Weil einem die Gesellschaft das so vorlebte. Im Zuge dessen erzählte ich Lahja dann auch, dass ich selber nicht genau wusste, ob das alles so funktionieren würde. Dass auch ich Zweifel hatte, aber dass ich zumindest bereit war es zu probieren. Dass es sich auch gut anfühlte diesen Schritt zu gehen. Ehrlichkeit und Offenheit war das Wichtigste, wenn man sich auf etwas einließ, in dem es keine Regeln gab, und das zeigte ich ihr auch, indem ich einfach alles aussprach, das mir durch den Kopf ging. Egal, ob Lahja das nun hören wollte oder nicht. Ich teilte meine Gedanken sozusagen uneingeschränkt mit ihr und erwartete im Gegenzug dasselbe. Auch, wenn ich wusste, dass es für sie deutlich schwerer werden würde, als für mich, aber das war ebenfalls Teil dieses Experiments.
In meiner riesigen Wohngemeinschaft angekommen, konnte sie dann auch persönlich ein paar der Leute kennen lernen, die mich so beeinflusst hatten. Über zwei Etagen hinweg lebte ich hier mit etwa 15 Personen zusammen, so ganz genau wusste man nie, wer eigentlich hier wohnte und wer nicht. Manchmal kamen neue Leuten, die sich dann nur ein paar Tage hier aufhielten, manchmal blieben sie einfach für immer. Oder so lange, bis es sie woanders hinzog. Unsere Tür stand jedem offen und in diese bunten, alternativen Räumlichkeiten war jeder eingeladen. Gemeinsam mit einigen meiner Mitbewohner saßen wir noch in der großen Küche, zum Reden und damit ich Lahja noch ein wenig Einblick in mein tägliches Umfeld geben konnte. Ihr Zuliebe verzichtete ich sogar darauf ebenfalls an dem Joint zu ziehen, den die anderen sich anzündeten und durch die Runde reichten, nur bei dem darauf folgenden Fressflash machte ich gerne mit und backte uns allen mitten in der Nacht gemeinsam mit meiner Freundin noch ein Kuchen. Obwohl die Sonne schon fast wieder aufging, als ich Lahja endlich mein Zimmer zeigte, hielt ich mich an mein Versprechen und sang ihr tatsächlich noch zwei Lieder. Bis ihr anhimmelnder Blick mich von der Gitarre wegholte und ich statt der Saiten lieber ihren Körper mit meinen Fingern berührte. Wenn auch nicht ganz so, wie ich es gerne hätte, denn Zac hatte definitiv seine Spuren darauf hinterlassen. Bläuliche schmerzhafte Flecken zeichneten sich auf ihrer Haut ab, die noch so akut waren, dass Lahja unter jeder überraschenden Berührung auf einmal zusammen zuckte. Ich wusste zwar, dass ihr das irgendwie gefiel. Dass es wie eine Erlösung für sie war so- angefasst und behandelt zu werden. Darüber hatten wir schon gesprochen. Aber ich blieb auch noch immer dabei, was ich ihr schon vor Monaten gesagt hatte: Ich könnte und würde niemals so mit ihr umgehen und ja, es war schwer für mich zu sehen, dass jemand anderes das tat. Deshalb schloss ich in dieser Nacht ihren schmalen Körper auch einfach nur in meinen Arm, streichelte liebevoll über ihre weiche Haut, küsste ihre Schulter, ihren Nacken, ihren Hals und diese empfindliche Stelle unter ihrem Ohr und schlief so eng umschlungen einfach irgendwann mit ihr gemeinsam ein.
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