RE: CROSS PUB
So schwer es zwischendurch auch wurde, ich hielt durchgehend Lahjas Blick stand und setzte mich freiwillig dem Schmerz aus, der sich dabei mehrmals durch meinen Körper zog. Weil sie tatsächlich ehrlich war und gleichzeitig all die Dinge sagte, die ich eigentlich nicht hören wollte. Scheiße. Erst, als meine Fragen beantwortet waren, wagte ich es statt ihrem Gesicht endlich wieder die dunkle, andere Straßenseite mit meinen Augen zu fixieren, die Arme vor der Brust zu verschränken und einfach nur darauf zu warten, dass es etwas weniger wehtat. Dass sich der Druck auf meiner Kehle löste und mein Herz weniger schmerzhaft gegen die Rippen pochte. Wenigstens konnte ich jetzt nachvollziehen, wie es Lahja damals ergangen war, und weshalb sie so lange gebraucht hatte mir diesen Seitensprung mit Lucy zu verzeihen. Das war wirklich verdammt hart. Am Schlimmsten war die Frage an sich selber, warum man einfach nicht genug sein konnte. Warum reichte ich Lahja nicht? Während andere aber an genau dieser Frage wochen- oder gar monatelang verzweifelten, brauchte ich nur ein paar weitere Sekunden, bis ich für mich selber den Kopf schüttelte. Das war es nicht, das wusste ich doch eigentlich. Und mittlerweile war ich auch erwachsen genug, um das zu erkennen. Ich könnte Lahja alles geben, was sie sich wünschte, und trotzdem könnte sich auch zu anderen Männern hingezogen fühlen. Darüber hinaus hatte ich in den letzten Monaten in San Francisco so viele verschiedene Menschen mit so vielen unterschiedlichen Lebensmodellen kennen gelernt, dass ich ihre Liebe zu mir tatsächlich nicht infrage stellte. Und es war auch nicht das erste Mal, dass ich mir über das ganze System einer monogamen Beziehung Gedanken machte, viel eher war das hier doch eine Bestätigung für all die Dinge, die ich hier in dieser Stadt und durch meine Hippie-Bekanntschaften gelernt hatte. In der heutigen Zeit waren wir Menschen vielleicht einfach nicht mehr dafür gemacht mit nur einer Person glücklich zu sein. Vor allem nicht, wenn diese Person nicht für einen da sein konnte, wenn man sie brauchte. Und das konnte ich nunmal nicht, mit 6 Stunden Distanz zwischen uns. Und darüber hinaus - ich wusste doch, wie gut Zac für Lahja war, das hatte ich ihr auch gesagt. Diese jetzige Aufrichtigkeit von ihr, dass sie bei meinem überraschenden Besuch so offen ihre Emotionen zeigen konnte und dass sie es schaffen konnte mir den Seitensprung mit Lucy zu verzeihen - das hatte ich doch auch ihm zu verdanken, oder? Das hier zwischen uns, das gäbe es jetzt nicht, wenn es ihn nicht gäbe. Wenn er Lahja nicht gezeigt hätte, dass es in Ordnung war sich vor anderen zu öffnen und auch mal schwach zu sein. Sie brauchte ihn, also was waren meine Optionen? Ich konnte ihr nicht abverlangen, dass sie sich von ihm fern halten musste, das wollte ich auch gar nicht. Und weil ich wusste wie impulsiv Lahja war, konnte ich von ihr auch nicht verlangen, dass sie ihm nie wieder so nah kam, denn so wie sie es jetzt erzählte, lag das nicht einmal in ihrer Entscheidungsgewalt. Es war einfach passiert, aus der Situation heraus, und genau so könnte es wieder passieren, wenn sie nicht Herrin ihrer Sinne war. Was wirklich oft genug geschah. Und ich wollte Lahja auch nicht einschränken, das hatte ich mir tatsächlich dank der Hippies verinnerlicht. Eine Beziehung sollte meiner Meinung nach nicht an Regeln gebunden sein, die einen einschränkten. Und genau das würde ich doch tun, wenn ich ihr jetzt verbot sich weiterhin mit Zac zu treffen. Eine Beziehung bedeutete für mich, dass man einander liebte, gerne Zeit zusammen verbrachte, schöne Erinnerungen miteinander teilte und sich besser fühlte, wenn die andere Person sich in der Nähe befand. Und das alles zwar zwischen uns doch der Fall und wurde durch Zac auch nicht gemindert. Vielleicht- wäre es einfach einen Versuch wert sich nicht mehr von den gesellschaftlich auferlegten Prinzipien leiten zu lassen, sondern davon Abstand zu nehmen und das zu tun, was sich gut und richtig anfühlte.
Trotzdem hielt ich noch immer ein paar Sekunden inne, als ich Lahja letztendlich wieder ansah, betrachtete ihr schönes Gesicht und versuchte mir vorzustellen, ob ich glücklich sein konnte, wenn noch ein anderer Mann sie auch glücklich machen würde. Aber letztendlich- das konnte ich erst wissen, wenn ich mich darauf einließ, und deshalb atmete ich auch erneut tief durch, ehe ich - mich selber motivierend - noch einmal nickte. "Du verlierst mich nicht, Lahja. Das ist gerade erst wieder- gut zwischen uns. Und ich bin nicht bereit das einfach aufzugeben, weil ich- nicht der Einzige bin, der dich glücklich machen kann." Noch einmal presste ich meine Kiefer aufeinander, wandte meinen Körper dann aber endlich wieder in Lahjas Richtung und löste sogar meine Arme aus der ablehnenden Verschränkung. "Ich will, dass du glücklich bist und dass es dir gut geht. Das sollte meine größte Priorität sein und das ist es auch. Nach allem, was passiert ist, hast du das verdient. Und wenn Zac dich glücklich macht, ganz egal, ob es jetzt anders ist oder genauso wie bei mir, dann- will ich dir nicht im Weg stehen." Weil ich nicht genau wusste, ob Lahja verstand, worauf ich damit hinauswollte, hielt ich noch einmal kurz inne und suchte in meinem Kopf nach der richtigen Erklärung. "Es macht für mich keinen Unterschied, ob es da noch jemanden gibt, den du gut leiden kannst, oder nicht. Solange es nichts zwischen uns ändert und solange die Wochenende, die ich bei dir bin, uns gehören, ist das für mich in Ordnung. Ich glaube es ist- ganz natürlich, dass man nicht nur eine Person liebt oder sich nicht nur zu einer Person hingezogen fühlt, gerade in der heutigen Zeit, und ich würde mehr zwischen uns zerstören, wenn ich dich an irgendwelche längst überholten Regeln der Treue binde. Ich glaube viel eher, dass das hier Treue ist. Dass du direkt gekommen bist, um mit mir darüber zu reden. Dass du mir sagst, wovor du Angst hast und wie du für mich empfindest. Das- zeigt mir zumindest, dass ich dir vertrauen kann und das ist- viel wichtiger." Ich hatte absolut keine Ahnung, wie Lahja darauf reagieren würde, aber eigentlich musste das doch genau das sein, was sie wollte, oder?
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