RE: KILIAN # APRIL
Meine Stirn legte sich in Falten und wie von selbst starrte ich wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Auf den Rucksack, die Flasche Schnaps, die anderen Personen. Dort lebte April jetzt? Im Nichts? Langsam kam zwar die Erinnerung an besagten Abend zurück und in dem Moment, in dem sie aussprach, dass sie diesen freizügigen Job angenommen hatte, um ihre Miete zahlen zu können, merkte ich auch, dass ich das schon einmal gehört hatte. Aber dass es tatsächlich so ernst gewesen war? Dass sie kein Geld mehr hatte und ihr Vermieter sie vor die Tür setzen würde? Dass es auch niemanden gab, bei dem sie langfristig leben konnte? Das traf mich gerade umso härter, denn obwohl ich es immer noch nicht gut heißen konnte, dass sie unbedingt ihre Brüste vor meinen besten Freunden entblößen musste, war mir mittlerweile klar, dass ich mein Verhalten nicht rechtfertigen konnte. Nichts davon. Weder die Beleidigungen, noch meine rauschende Wut, meine Ignoranz oder dass ich ihr mitten ins Gesicht geschlagen hatte. Enttäuschung wäre die richtige Emotion gewesen. Ich hätte ihr auch Vorwürfe machen können, weil ich nichts davon wusste. Aber nicht das, was letztendlich aus mir heraus gekommen war. Das war der Kilian, den ich gerne so lange wie möglich vor April geheim gehalten hätte.
Von diesem Anblick ihres spärlichen Lebens, das sie jetzt nur noch mit ein paar Obdachlosen teilte, veränderte sich aber zumindest etwas in mir. Dieser Schock darüber ließ meinen Stolz und mein Ego in den Hintergrund rücken, denn so wichtig es mir eigentlich auch war vor ihr keine Schwäche zuzugeben - diese Existenz hatte ich nie für April gewollt. Und sie für sich selber sicher auch nicht. Gewissermaßen motivierte mich das dazu, dass ich ihr aufrichtig in die Augen sehen konnte und langsam den Kopf schüttelte. "Nein, keine weiteren Beleidigungen und Drohungen. Und auch die Ohrfeige hast du nicht verdient. Das-- Erinnerst du dich daran, wovon ich dir erzählt hab? Dass da etwas in mir ist, das ist nicht kontrollieren kann? Manchmal? Und dass ich- Dinge getan hab, die ich mir selber niemals verzeihen werde? Das war das, April. Ich hab- die Kontrolle über mich verloren. Und wenn das passiert, dann habe ich keinen Einfluss darauf, was ich sage oder tue. Ich kann mich nicht einmal mehr genau daran erinnern, wie ich dich beleidigt oder bedroht hab, aber- wie ich mich kenne war es nicht richtig. Und nicht einmal das, was ich wirklich denke. Wenn ich so wütend werde, dann meistens weil ich verletzt bin. Wegen irgendetwas. Und genau das versuche ich dann auch der anderen Person anzutun, in diesem Fall dir. Dann versuche ich dir auch irgendwie wehzutun. Und- diese Ohrfeige- das hätte ich nicht tun dürfen, ich weiß das. Ich hab dir- vor ein paar Monaten ganz deutlich gesagt, dass du keine Angst vor mir haben musst und dass ich dir nichts tun würde und jetzt-- April, es tut mir Leid. Wirklich. Ich wollte das nicht. Und ich wollte auch nicht- das hier." Mit meiner Hand deutete ich in Richtung der anderen Personen. "Ich wusste nicht, dass es dir wirklich nicht gut geht und dass du so kurz davor standest deine Wohnung zu verlieren. Es tut mir Leid." Meine Stimme klang regelrecht verzweifelt und obwohl ich ihr zwar aufrichtig in die Augen sah, konnte sie an meiner Körperspannung mit Sicherheit sehen, wie schwer es mir fiel ihrem Blick auch nur eine Sekunde standzuhalten.
KILIAN THOMAS CARTER # 40 YEARS OLD # JOE'S BAR
![[Bild: kilian02.png]](https://i.postimg.cc/nVNqdkNQ/kilian02.png)
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