RE: KILIAN # APRIL
April hatte ihre vier Wände nicht halten können. Sie hatte zwar von ihrer Mutter noch zwei Jobs vermittelt bekommen aber da sie auch irgendwie ihr Essen und die anderen offenen Rechnungen zahlen musste, blieb ihr nichts übrig, als sich mit dem Vermieter auf eine Ratenzahlung zu einigen wegen der offenen Mietrückstände und ihre vier Wände aufzugeben. Die Post war auf ihre Mutter umgemeldet und da hätte sie auch übernachten können aber wer Aprils Leben kannte, der wusste, sie und ihre Mutter waren nie gut miteinander klar gekommen und es fühlte sich falsch an, von Null gleich mit so einem harten Kompromiss zu starten. Es gab auch keinen Mann in ihrem Leben, den sie gerade um Hilfe oder Unterkunft hätte bitten können oder wollen – Kilian und sie redeten nicht und er lebte mit seiner Tochter zusammen. Ihr Exmann und sie hatten wegen seiner Hartnäckigkeit immer mal Kontakt aber er hatte wegen der Spielschulden auch ein Ein-Zimmer-Appartmend und außerdem wäre das nicht richtig. Nicht nachdem sie Kilian so nahe gewesen war und es gelungen schien, das scheitern ihrer Ehe zu überwinden. Nein – sie musste da irgendwie selber wieder ins Leben finden und wo sie hingehörte. Es war nur so unfassbar hart, wie schnell das gehen konnte, dass man nichts mehr hatte – doch sie sollte feststellen, sie war damit auch nicht alleine. Klar war April immer der Typ Mensch gewesen, der Obdachlosen Geld in den Becher warf oder auch mal ein Brötchen ausgegeben hatte aber sie hatte sich nie mit deren Geschichten auseinander gesetzt. Jetzt, wo sie selber in deren Mitte war, tat sie das. Abgesehen von den Hippies mit ihrem Wunsch nach Freiheit und nicht an das System gebunden zu sein, gab es hier auch Personen, die ein Leben wie sie hatten. Was dann zerbrochen war. An einer Trennung oder Scheidung, an zu hohen Arztkosten oder eben auch am Verlust des Arbeitsplatzes. April hatte ein wenig Angst, sie könnte genau wie diese Menschen hier nicht wieder raus finden, einige ertränkten den Kummer in Alkohol und Drogen. Es war klar, sie würden nie wieder ein Dach über dem Kopf haben aber sie musste daran festhalten, bei ihr würde das anders laufen. Auch wenn sie dafür bereit sein musste, sich auszuziehen. Die junge Frau sah das mittlerweile viel eher als Probe an sich selber an. Alles, was sie geliebt hatte, war jetzt nicht mehr da – von Menschen über ihren Job zu den materiellen Dingen. Wenigstens hielten die Jobs sie davon ab in Mülltonnen nach Essen suchen zu müssen und die Dusche ihrer Ma stand auch für sie bereit, wie die Waschmaschine aber sonst schlief sie genauso unter freiem Himmel oder in einem Schlafsack, musste Nachts darauf acht geben, nicht überfallen zu werden. Das was ihr am meisten fehlte war wohl ein geregelter Tagesablauf, sie konnte verstehen warum Rauschmittel so verlockend waren. Man hatte so unfassbar viel Zeit. Wenn sie ihre Schulden abgearbeitet hatte, wollte sie sehen, dass sie wenigstens ein Zimmer irgendwo mieten konnte aber das musste warten. Tagsüber schrieb sie in einem Internetcafé Bewerbungen aber nichts. Heute hatte sie sich in ihrer Verzweiflung auch ein wenig gehen lassen, saß mit den anderen Menschen am Strand und es bot ein ungewöhnliches Bild, dass April einfach so aus einer Flasche Schnaps trank. Die zwei Absagen im Briefkasten am Vormittag bei ihrer Ma und die Aussicht, Morgen auf einem Pokerabend wieder die Hüllen fallen zu lassen, diese Tatsachen ließen sie heute einfach einknicken. Denn wenn man bei Null begann, dann waren da sicherlich nicht nur schöne Tage darunter. Mit einem hatte sie nicht gerechnet, als sie am Strand angekommen war, stellte sie den Rucksack ab, die Flasche daneben in den Sand und wollte sich über ihren Tag auskotzen. Diese Menschen hier hörten gerade ihr noch gerne zu, ihre Geschichte kannten sie noch nicht und sie hatte vor allem noch nicht aufgegeben, das schien motivierend und sie bangten auch alle mit ihr. Eher sie dazu kam, wurde sie aber auf einen Mann Aufmerksam, der gerade von dem Aufbau nicht weit entfernt kam. Eine Hochzeit? Nicht wirklich? Wollte sie da jemand quälen? Sie überlegte im Kopf schon, wo sie sich später verziehen konnte, weil wie zwei Menschen sich das Ja Wort gaben war im Moment wohl das letzte, was sie sehen wollte aber dann erkannte sie endlich, wer da auf sie zukam. Verdammt! Sie war sicher nicht Stolz darauf, wie ihr Leben gerade aussah und das es in einem Rucksack hinter ihr stand und Kilian war der letzte Mensch, vor dem sie das zugeben wollte. Die Beleidigungen, die er ihr an den Kopf geworden hatte saßen fast noch tiefer als die Ohrfeige. Wegen des Lügens war die vielleicht sogar Gerechtfertigt aber was er gesagt hatte, das Wertete sie als wahr. Wie er sie wirklich sah, was für einen Menschen er in ihr sah und das sie Lahja nicht sehen dürfte, wie er sich aufgebaut hatte vor ihr – das alles kam hoch, je näher er kam und sie rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Reden wollte er also? Jetzt wollte er mit ihr Reden? Sie zögerte Tatsächlich aber weil sie einfach nicht so hart sein konnte, hob sie die Schultern „ In Ordnung.“ und erhob sich, lehnte die Flasche an den Rucksack und bat die anderen ein Auge darauf zu haben. Noch war es hell und man konnte seinem Gegenüber noch Vertrauen, im dunklen war das manchmal anders. Sie war schon gewarnt worden, manche zogen sich auch Gegenseitig ab. Und das bei dem bisschen, was jeder nur hatte, furchtbar. Die beiden gingen ein paar Schritte weg, Aprils Blick hob sich immer mal wieder zu Kilian aber der schien lieber den Boden anzuvisieren. Sie strich die Haare zu einer Seite, als die beiden zum stehen kamen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ganz untypisch für sie aber ihre Grenzen waren einfach erreicht. Das war nicht allein ihr Gegenüber Schuld, das war einfach alles und sie begann langsam einfach Abwehrend gegen die ganze Welt zu werden. Kein Wunder nach diesen Schicksalsschlägen. „ Was möchtest du denn sagen? Ich dachte, neulich wäre alles gesagt worden.“ Er hatte so eine Nutte wie sie in seinem Leben nicht gebraucht und war fertig mit ihr, was also sollte das hier? " Wenn... dich meine Nähe bei der Feier stören sollte, keine Panik, ich verschwinde gleich wieder. Ich brauche das auch nicht. Lahja komme ich auch nicht zur Nahe." Es war langsam klar, wessen Hochzeit das hier war und man konnte sich auch daran Erinnern, dass der ein oder andere auf der Feier ihren entblößten Oberkörper gesehen hatte und ja verdammt, ihr war das unangenehm. Es half doch nur nichts. Das sie das mit Lahja hinterher geschoben hatte, klang wohl am bittersten nach, in dem Zusammenhang hatte Kilian ihr sogar gedroht, dass das neulich erst der Anfang gewesen war.
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