RE: MOTEL
Hier in diesem Auto, mit Lahja direkt neben ihm, war für Blaze seine heile Welt wieder hergestellt. Er hatte nie viel gebraucht, um zufrieden zu sein: Ein Dach über dem Kopf und seinen Stoff, das wars. Alles weitere war nur ein netter Zusatz. Er fühlte sich wohl in dieser Großstadt, er liebte es sich mitten im Geschehen herumzutreiben, durch die Kneipen zu ziehen, zu feiern, Leute kennen zu lernen, zu eskalieren und bei seinen Freunden zu versacken, aber er brauchte all das nicht. Blaze würde sein Leben als diffus und durchgedreht, aber als einfach betiteln. Er sorgte sich nicht um die Zukunft oder die Vergangenheit, er musste sich keine Miete erarbeiten, keine familiären Erwartungen erfüllen, er fühlte sich nicht verpflichtet zu irgendetwas und nicht eingeschränkt von etwas anderem. Er lebte in den Tag hinein, immer wieder aufs Neue, und scherte sich um nichts, außer sich selber. Zumindest war das die längste Zeit so gewesen, bis dann Lahja vor anderthalb Jahren in sein Leben getreten war.
Die Beziehung der beiden war zwar abgedreht und extrem, aber auf seine eigene Art liebte Blaze die junge Frau, die ihm selber so ähnlich war. Er begehrte sie und er brauchte sie, genauso wie er einen Rückzugsort brauchte. Genauso wie er die Drogen brauchte. Blaze war zwar irrsinnig und er war leicht reizbar, aber nur in ganz seltenen Fällen würde er so die Kontrolle verlieren wie es vor einigen Tagen bei Lahja geschehen war. Nur, wenn man ihm seinen Bauwagen und damit sein ganzes Hab und Gut streitig machte, oder wenn man ihn um seinen Stoff beschiss. Diese drei Elemente - sein Wagen, die Drogen und seine Freundin - waren wie die Säulen in Blaze Leben, ohne sie fühlte er sich unvollständig und allein, ohne sie wäre er gezwungen sich mit dem auseinanderzusetzen, was dort schon lange in ihm selber vergraben lag.
Dass Lahja sich jetzt also neben ihm in das Auto setzte, ohne sich zu wehren, das gab ihm Sicherheit zurück und nahm ihm seine Ängste. Und es sorgte dafür, dass der Rausch in Blaze langsam umschlug: Seine Wut wurde von Euphorie und Adrenalin abgelöst und das schwer pochende Herz in seiner Brust fühlte sich nicht mehr beklemmend an, sondern anregend. Antreibend. Er fühlte sich grenzenlos und unbesiegbar, und auch das sah Lahja in seinem andersartig fanatischen Blick, als er zu ihr herüber sah und im Licht der vorbeiziehenden Straßenlaternen seine Augen aufblitzten. "Ich weiß, Baby. Wir fangen neu an. Du und ich. Ganz egal wo." Dass es um viel mehr ging, als um diesen Neuanfang, das überhörte Blaze. Er wäre nicht bereit sich von den Drogen zu trennen, weder jetzt, noch jemals. Und dass Lahja auch eine Antwort - viel mehr noch, eine Entschuldigung - bezüglich diesem Kontrollverlust von ihm erwartete, auch das ignorierte er völlig. Große Entschuldigungen lagen ihm nicht, auch darin waren sie und er sich sehr ähnlich. Es fiel ihm unheimlich schwer seine Fehler einzugestehen und wiedergutzumachen, eher wollte er später mit Lahja ein Blech rauchen und darüber einfach vergessen, was zwischen ihnen stand. Neben der Droge wurde sowieso alles andere gleichgültig.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Es sollte ihnen nicht gegönnt sein mal wieder große Visionen eines besseren Lebens an die Wand zu malen. Darüber zu feixen wie sie in Stil von Bonnie und Clyde alles hinter sich ließen und sich zu zweit ein neues Leben errichteten. Blaze kam nicht mehr dazu Lahja zu zeigen, dass er nicht grundsätzlich gewalttätig war. Dass er seine Wut bereute. Sie beide würden nie wieder high im Bett liegen, während David Bowies Space Oddity durch die Lautsprecher im Bauwagen schepperte. Sie würden sich nicht mehr in einem wütenden Handgemenge verlieren, um ihre Differenzen dann doch bei leidenschaftlichem Sex zu lösen. Blaze würde Lahja nicht mehr ansehen und in ihr seine Heimat sehen und Lahja würde ihm nicht mehr in die Augen blicken und sich so verstanden fühlen wie nie zuvor. Aber sie würde niemals vergessen wie Blaze ihr hier in diesem fremden, geklauten Wagen erneut in die Augen blickte, wie er seine Hand hob und die Finger um ihren Unterkiefer legte, wie er ihr Gesicht zu sich zog - bestimmt, aber doch liebevoll - und sie küsste. Intensiv und voller Sehnsucht. Sie würde nie vergessen wie Blaze dabei - viel zu schnell fahrend - für einen Moment das Lenkrad und die Straße außer Acht ließ, wie er aus Versehen das Auto ein wenig nach links lenkte und kurz darauf so hart gegen die Leitplanke stieß, dass sich mit einem ohrenbetäubenden Knall und einem luftabschnürenden Ruck das Gefährt um die eigene Achse drehte und mehrmals überschlug. Blaze, der nicht daran gedacht hatte sich anzuschnallen, stieß dabei mit dem Kopf voran durch die Windschutzscheibe, sein Körper verselbstständigte sich, und als das Metall völlig demoliert zum Stehen kam, war er schon längst tot.
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