RE: New York
Aiden hatte in seinem erwachsenen Leben schon mehrmals versucht die Drogen gänzlich hinter sich zu lassen: Zum ersten Mal, als sein Manager ihn damals zwang einen Entzug hinter sich zu bringen, um weiterhin auf der Bühne stehen zu dürfen. Und dann ein weiteres Mal, als er wegen dem Mord an Chris erneut hinter Gittern sitzen musste. Beide Male war der Drogenentzug jedoch nicht aus seiner eigenen Motivation entstanden. Beide Male hatte man ihn in ein Umfeld gedrückt, das Drogen nicht duldete, und ihm damit die Pistole vor die Brust gesetzt. Gerade nach dem Gefängnis - und trotz seiner Bewährung - hatte es deshalb nicht lange gedauert, bis Aiden sich wieder in Sicherheit wog und demnach erneut Zuflucht bei seinem weißen Pulver suchte; und auch nach seinem ersten klinischen Entzug war es ihm nicht gelungen lange nüchtern zu bleiben. Weil ihm die Einsicht fehlte, dass es bei dieser Therapie nicht darum ging jemand anderem einen Gefallen zu tun oder darum wieder gesellschaftsfähig zu werden, sondern darum die Dinge aufzuarbeiten, die überhaupt erst zu der Sucht führten.
Schon seit jeher hatte Aiden versucht sich gegen seine Vorbelastungen zu wehren. Er wollte nicht darüber nachdenken wie sehr der Verrat und der Verlust seiner Mutter ihn noch immer schmerzte. Er wollte nicht erörtern, dass seine Verlustängste genau daher kamen. Seine unterschwellige Wut und Aggressivität sah er nicht als Problem, sondern als seinen unveränderlichen Charakter. Und die Zukunftsängste waren schon längst zur Normalität in seinem Leben geworden. Für ihn gingen diese Dinge nicht mit seinem Drogenkonsum einher, er sah den Zusammenhang nicht und wollte es auch gar nicht erst versuchen. Das Leben als Musiker ist halt einfach dafür prädestiniert, hatte er sich oft heraus geredet. Jeder nimmt Drogen, der was auf sich hält. Oder ein bisschen Spaß haben will.
Diesmal jedoch, diesmal war es anders. Als Aiden diesmal erneut zur Klinik fuhr, da tat er das nicht für die Musik und auch nicht, weil er dazu gezwungen wurde. Er tat es nicht einmal für Haily. Sondern, weil sein Leben plötzlich an einer Schneide ankam, an der wohlmöglich allerletzten: Entweder er fand einen Weg den Drogen fern zu bleiben, oder er lief geradeaus auf seinen Tod zu. Denn lange hätte sein Körper das nicht mehr mitgemacht, diesen ständigen Schlafentzug, die durchzechten Nächte und auch, dass er dabei ständig vergaß etwas zu essen. Zu oft pumpte zu viel Chemie durch Aidens Körper, zu selten gab er sich die nötige Ruhe. Und dass er nebenher auch noch charakterlich unausstehlich wurde und Lucy, Haily oder auch seine wenigen Freunde bereits zahllos enttäuscht und verletzt hatte, das war daher sogar nur zweitrangig. Es ging hier um sein Leben. Und obwohl ihm gerade die ersten Tage in der Klinik unheimlich schwer fielen und er mehrmals kurz davor stand das Gebäude wieder zu verlassen, besann er sich dann letztendlich doch immer wieder auf diesen Gedanken. Er wollte leben. Es lohnte sich zu leben. Tief im Innern wusste Aiden, dass er noch nicht abgeschlossen hatte mit dieser Welt. Noch nicht alles getan, was er tun wollte. Noch nicht alle Bücher und Gedichte verschlungen, die er noch lesen wollte. Nicht alle Lieder gehört. Nicht alle Orte gesehen. Er hatte noch nicht genug geliebt. Und noch nicht genug verziehen. Noch nicht einmal genug gestritten.
Die Zeit in der Klinik waren dennoch die wohl härtesten, aber auch lehrreichsten Monate, die Aiden je durchstehen musste. Er wurde mit allem konfrontiert, was er bisher so vehement von sich weggeschoben hatte, und ihm war es gegen Ende sogar gelungen seine Mutter zu einem Gespräch einzuladen. Er hatte auf dem Stuhl seiner Therapeutin geweint, geschrien, geschwiegen und irgendwann sogar gelacht. Er hatte sich selber noch einmal neu kennen gelernt, aber im Zuge dessen auch akzeptiert, was sich nicht ändern ließ. Seinen Charakter. Aiden war nunmal ein eher verschlossener Mensch, und er würde auch immer ein Grenzgänger bleiben. Er war öfter pessimistisch als optimistisch eingestellt, und ja, vielleicht gefiel ihm das sogar. Er wollte seinen Spitznamen Grumpy Aiden nicht verlieren. Außerdem war er selbstkritisch, und egozentrisch, und voller Vorurteile. Aber das war okay. Das musste okay sein. Das hatte er in den vergangenen Monaten gelernt. Und noch viel mehr als das.
Mit einem ganz neuen, für Aiden sehr unbekannten Lebenswillen hatte er nun also vor mittlerweile einem Jahr die Klinik wieder verlassen und sich mit Unterstützung seiner Therapeutin erneut diesem Leben außerhalb der Schutzmauern gestellt. Seine Versuche sich einzugliedern verliefen zwar nicht steil bergauf, er hatte oft Rückschläge einstecken müssen und sich auch unzählige Male nach der Erlösung der Drogen gesehnt, aber ein Jahr später befand er sich dann doch in einer relativ stabilen Existenz. Aiden hatte wieder eine eigene kleine Wohnung und einen Job in einem Verlagsunternehmen. Er nahm regelmäßig an einer Selbsthilfegruppe für ehemalige Drogensüchtige teil und hatte sich sogar wieder ein kleines soziales Umfeld aufgebaut. Er machte ab und zu Sport und besuchte Konzerte. Nur selber erneut die Bühne zu betreten, diesen Schritt hatte er bisher noch nicht gewagt. Zu groß war der Respekt davor wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen. Aber auch das war in Ordnung, sein Weg der Besserung war schließlich kein Wettrennen. Er hatte noch immer sein ganzes verdammtes Leben vor sich, und er würde nichts dadurch verlieren, dass er sich nun noch ein bisschen Zeit einräumte.
Aidens Job nahm neuerdings schließlich auch einen großen Platz in seinem Leben ein, denn nachdem man ihn anfangs für drei Monate auf die Probe gestellt und zum büroeigenen Kaffee-Koch degradiert hatte, vertraute man ihm mittlerweile schon wichtigere Jobs an. Und dazu gehörte auch, dass er ab und zu durch das Land reisen und sich mit möglichen neuen Klienten treffen musste, wenn er in einem der vielen Bücher, die täglich auf seinem Schreibtisch landeten, eins fand, das ihn ansprach und das sich verkaufen ließ. Einige Kunden hatte Aiden für seinen Verlag schon unter Vertrag genommen, und auch in dieser Woche musste er einmal quer durch das Land fliegen, um sich mit einem Autor in New York zu treffen. Den ganzen Morgen lang hatte er mit dem Mann über die Konditionen eines Vertrags unterhalten und geschaut, ob die Zukunftsvisionen von dem potentiellen Klienten mit denen seines Verlags übereinstimmten, aber diesmal konnte er leider keinen Erfolg verzeichnen. Man kam trotz aller Bemühungen einfach nicht auf einen gemeinsamen Nenner.
Um die Enttäuschung darüber ein wenig zu dämpfen, hatte Aiden sich gerade einen großen schwarzen Kaffee gekauft und stellte sich nun darauf ein den Nachmittag im Café zu verbringen und ein paar weitere Buch-Rohfassungen zu überfliegen, als seine Aufmerksamkeit jedoch auf einmal nach draußen gelenkt wurde. Auf eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die eilig direkt vor seinem Fenster vorbei lief. Wie ein Zeitlupe fühlte es sich an wie Aiden sie mit seinem Blick verfolgte und im Nachhinein könnte er auch nicht mehr beteuern, ob er die Worte Haily? Das ist doch- ist das nicht Haily? laut ausgesprochen oder nur in seinem Kopf vor sich her gemurmelt hatte. Dass er daraufhin jedoch urplötzlich nach seiner Tasche griff und beim Hinauseilen sogar einen Stuhl umwarf und damit für seinen Geschmack ein wenig zu viel Aufmerksamkeit auf sich zog, das spielte sich ganz sicher nicht nur in seiner Vorstellung ab. Für Entschuldigungen oder Konfrontationen war jedoch auch keine Zeit, denn so schnell er konnte rempelte Aiden sich seinen Weg nach draußen auf die Straße und versuchte der blonden jungen Frau zügig hinterher zu laufen, ohne dabei etwas von seinem Kaffee zu verschütten. Auch das gelang ihm jedoch nur halbwegs erfolgreich, denn während er sie endlich eingeholt und mit einem atemlosen "Haily?!" ihre Schulter berührte, schwappte zum wiederholten Mal etwas von seinem Kaffee über seine Hand und entlockte Aiden erneut ein paar kaum entzifferbare Flüche.
AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE
![[Bild: aiden04.png]](https://i.postimg.cc/15YrZSg4/aiden04.png)
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