RE: Straßenstrich
Auch nach einigen Wochen wusste ich noch nicht recht mit der Krankheit von Sky umzugehen und wie ich diesen Wechsel zwischen zwei Persönlichkeiten einordnen sollte. Da war so ein drückendes Gefühl tief in mir, das mir sagte ich könne mir diese absurde Situation irgendwann Zunutze machen, aber ich verstand noch nicht weshalb oder wie. Gerade die ersten paar Treffen waren nach der Diagnose meines bekannten Arztes komisch gewesen. Manchmal beäugte ich sie kritisch, betrachtete ihr Gesicht und ihren Körper, versuchte mir vorzustellen, wie dort unter der Haut zwei Menschen auf einmal leben konnten, die einander nicht kannten, aber mit der Zeit lernte ich diese Tatsache einfach auszublenden. Meistens, wenn ich zu Sky ging, dann war sie auch genau die Frau, die ich wollte. Und wenn nicht, dann wusste ich mittlerweile, wie ich sie zu dieser Frau machen konnte. Ich musste ihr einfach nur näher kommen, eine bestimmte Hürde überschreiten und ich konnte genau das von ihr verlangen, was die Scarlett in ihr nicht bereit war mir zu geben.
Soweit ich das beurteilen konnte schöpfte Brooke noch immer keinen Verdacht, wir waren auch weiterhin akribisch vorsichtig miteinander, damit sie nicht erneut von unseren heimlichen Treffen erfuhr. Und auf eine bestimmte Art ließ mich das ihr gegenüber mächtig fühlen. Ich spielte mit dem Feuer und jedes Mal, an dem ich unerkannt die Wohnung von Sky verließ oder sie meine, fühlte es sich so an als hätte ich das Spiel gewonnen. Als wäre ich stärker als Brooke, intelligenter und nachsichtiger. Vielleicht hatte ihr Desinteresse aber auch etwas mit Chas zutun, ein alter Bekannter, von ihr und auch von mir. Damals in New York hatte er schon zu meinen Kontakten gehört und jetzt schien er hier zu sein und ebenfalls in das Geschäft von Brooke einzusteigen. Ganz zu ihrer Freude, denn auch wenn sie sich das mit Sicherheit nicht anmerken lassen wollte - mir blieb nicht verborgen, dass sie auf ihn mehr fixiert war, als auf ihre übrigen Handlanger. Ähnlich wie bei mir damals, bevor Lahja, Lucy oder Sky uns in die Quere gekommen waren. Was genau dort passierte war mir jedoch völlig gleich, ich genoss lieber die Ruhe, die das auf mich warf, und ging den Aufgaben hörig nach, die sie von mir verlangte.
Heute bedeutete das, dass wir zur Kontrolle am Straßenstrich stehen sollten, zum Schutz der Mädchen und um regelmäßig das verdiente Geld in unsere Obhut zu nehmen. Damit nicht irgendwann ein geldgieriger Freier daherkam, der sich nicht nur weigerte die Frauen zu bezahlen, sondern ihnen auch direkt das zuvor verdiente Geld abnahm. Bisher war der Abend ruhig gewesen - eigentlich waren wir auch dafür bekannt, dass man sich nicht so leicht mit uns anlegte - also saß ich mit zwei anderen Männern ruhig in dem großen dunklen Auto, mit einer Zigarette in meiner Hand, als gerade Sky auf einmal in unsere Richtung lief und die Tür des Rücksitzes aufriss. In der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass dunkles Blut an ihrer Lippe hinab lief und dass ihr Oberteil an zwei Stellen gerissen war, was sofort dafür sorgte, dass sich jeder einzelne Muskel in meinem Körper anspannte und sich meine Hände zu Fäusten ballten. Durch den Rückspiegel starrte ich in ihr Gesicht, während sie von einem gewalttätigen Freier berichtete, der sich auch noch geweigert hatte sie für seine Leistungen zu bezahlen. Wir hatten den silbernen Wagen von ihm schon beobachtet und zu seinem eigenen Pech war er nur ein paar Meter weiter gefahren, zu einer anderen Hure, die er jetzt von seinen kranken Fantasien überzeugen wollte. Ein großer Fehler. Ohne ein Wort zu Sky zu sagen stießen wir die Türen unseres Autos auf, ich griff nach einem Baseballschläger aus dem Fußraum und zu dritt gingen wir auf den silbernen Mercedes zu. Was dann passierte, geschah innerhalb von Sekunden. Ich holte so weit aus wie möglich, schlug mit einem ohrenbetäubenden Krach seine Rückscheibe ein, ein anderer öffnete die Fahrerseite, zerrte den Fahrer heraus und der Letzte kümmerte sich um das Mädchen, das dankend aus dem Auto gestolpert kam. Einfach nur um meine eigene Wut zu beruhigen und um Sky zu rächen holte ich erneut mit dem Schläger aus, als er ängstlich dort auf dem Asphalt lag, um Gnade winselte, und schlug ihm so heftig gegen die Schienbeine, dass ein lautes, schmerzverzerrtes Schreien aus seiner Kehle kam. Immer wieder traten wir alle drei auf ihn ein, verpassten ihm eine Lektion, die er niemals vergessen würde. Ich wusste nicht einmal, ob er noch bei Bewusstsein war, als ich einen der anderen Männer anwies ihm sein gesamtes Bargeld abzunehmen und ihn hinterher wieder in sein Auto zu schaffen, denn ich spürte in mir, dass ich viel zu sehr auf Sky fixiert war. Ich musste doch sehen, ob es ihr gut ging. Musste ihr mit der blutenden Lippe helfen. Ihre Schmerzen lindern. Also drehte ich mich einfach um, ließ die anderen beiden den Rest erledigen und ging zurück zu unserem Auto, öffnete dort die Tür, durch die Sky eben hinein gegangen war, und- hielt dann plötzlich in der Bewegung inne. Sie zog gerade eine Spritze aus ihrem Arm heraus, drückte ihren Kopf gegen die Lehne hinter sich. Man musste sich nicht gut damit auskennen, um zu wissen, dass sich gerade ein Rausch chemischer Substanzen durch ihren Körper zog. Nichts Ungewöhnliches, die Mädchen von Brooke spritzten am laufenden Band, das war kein Geheimnis, aber - nicht Sky. Nicht sie. Nicht mit ihrer Tochter. Wenn ich vorher schon geglaubt hatte wütend zu sein, das hier übertraf jegliche aggressive Emotion, die ich seit langer Zeit gespürt hatte. Ich starrte Sky an, als wäre sie auf einmal ein ganz anderer Mensch und ich stand ganz kurz davor meine Beherrschung zu verlieren, als ich hinter mir auf einmal die Stimmen der anderen beiden Männer hörte. "Ich fahr sie nach Hause. Sie schafft heut nichts mehr", kam gepresst aus meinem Mund, vielleicht ein wenig zu voreilig oder ein wenig zu bestimmend, aber keiner von ihnen schien Verdacht zu schöpfen. Sie zogen einfach nur ihre Schultern hoch, so als wäre es kein Problem für sie die restliche Nacht zu zweit zu überstehen, und ich trat einen Schritt zur Seite, damit Sky aus dem Wagen steigen konnte. "Los, aussteigen", befahl ich, in einem Ton, welcher der blonden Frau schon bekannt sein musste.
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