RE: EAST LOS ANGELES
Blaze wusste nicht, was es war oder woher es kam, warum es sie beide auf einmal so spürbar traf, aber irgendetwas war da, in den Blicken, die Lahja und er miteinander wechselten, und den Berührungen, die nie genug wurden, das ihn einfach nicht losließ. Triebgesteuert und völlig kopflos konnte er sich sonst kaum länger als ein paar Minuten auf etwas oder jemanden konzentrieren - die Sehnsucht nach etwas anderem, als er gerade hatte, war immer allgegenwärtig - doch dieser jungen Frau wurde er einfach nicht müde. Er mochte ihre kaum enden wollende Energie, ihren Hang zur Destruktion. Er mochte ihre Gleichgültigkeit, ihr ekstatisches Feiern, wie sich ihre Lippen, ihre Finger, ihre Haare auf seiner Haut anfühlten. Wie es ihn erfüllte in ihre Augen zu sehen und dort denselben Wahnsinn und dieselbe Grenzenlosigkeit zu entdecken, die sich auch durch sein Leben zog. Warum es gerade genau sie traf und nicht eine der anderen abgefuckten Seelen, die er in seinem Leben bereits kennen gelernt hatte, konnte er nicht sagen. Vielleicht, so stellte er es sich tief im Rausch zumindest einmal vor, als er sie in dem flackernden, bunten Club-Licht betrachtete, gab es doch noch andere Menschen, die so waren wie er. Vielleicht war sie sein kleines Wunder. Oder vielleicht war er auch einfach nur verdammt drauf, jetzt gerade, und in ein paar Stunden, in ein paar Tagen, wenn dieser Rausch abflachte, dann wäre auch sie nur eine Frau, die er mal gekannt hatte, aber so weit dachte Blaze nicht. Das tat er nie. Morgen war nebensächlich, vor allem wenn das Jetzt so wahnsinnig gut schien, und das tat es. Nicht nur die Hochgefühle, nicht nur wie sie erregt miteinander schliefen, immer wieder, oder sich beim Tanzen eng aneinander pressten. Nicht nur wie sie lachend etwas zerstörten, wie sie Parolen gegen die Welt in die Nacht schrieen, sondern auch die Abgründe, auch die waren auf ihre ganz eigene Art und Weise zu gut, um sie verpassen zu wollen. Es war unvergleichlich belebend wie sie einander zur Weißglut treiben konnten, wie sich auf einmal brennende Hitze zwischen ihnen entwickelte, explosive Wut aus ihnen heraus schoss, aber sich dann doch wieder in Leidenschaft umwandelte. Für Blaze fühlte es sich zum ersten Mal in der Gegenwart einer anderen Person so an als wäre es okay einfach zu sein, genau so wie er war. Wie viele Menschen er mit seinem Wahnsinn schon vertrieben hatte konnte er kaum mehr zählen, normalerweise nahm er das auch einfach in Kauf, aber bei Lahja war kein Ende in Sicht. Er fuckte sie zeitweise genauso hab wie sie ihn abfuckte, daran hatte er keinen Zweifel, aber für sie schien das okay. Genauso wie es auch für ihn okay war. Es war als hielten sie einander einen Spiegel vor, aber anstatt jemand hinter diesem Spiegel stehen zu haben, der auf all ihre Fehler hindeutete, auf all ihre Extreme, stand da auf einmal jemand, der einfach wortlos verstand. Und akzeptierte. Wie gefährlich das noch werden konnte, für sie beide, das wagte aber in diesem Moment noch keiner von ihnen zu visualisieren.
Stattdessen zogen sie diesen Rausch so weit in die Länge wie sie konnten, fanden über drei Tage hinweg keinen Moment Ruhe voneinander, so lange, bis jegliche Kraft aus ihren Körpern gewichen war und selbst dann weigerte sich etwas in Blaze Lahja einfach gehen zu lassen. Er spürte schon die Unruhe in ihrem Körper, sah wie sie sich auf der Matratze aufsetzte, aber noch ehe sie etwas sagen konnte, zog er sein Heroin hervor, griff nach einem Stück Alufolie und bot auch ihr etwas an, von diesem ganz anderen, unvergleichlichen Rausch, welcher seinen Körper schon im Vorfeld euphorisch kribbeln ließ. Über ihre eigenen Erfahrungen konnte er nichts wissen, absurderweise hatten sie beide während der vergangenen drei Tage kaum über ihre Vergangenheit miteinander geredet, aber selbst wenn, dann hätte es ihn nicht aufgehalten. Viel zu zehrend war die Sehnsucht mit ihr gemeinsam abzuheben, in ganz andere Welten, und danach neben ihr wieder wach zu werden, um sich in neue, nie enden wollende Abenteuer zu stürzen. Das war nunmal sein Leben, genau so, und nachdem er ein Stück Alufolie gefaltet, das Heron erhitzt und den Dampf in seine Lungen gezogen hatte, da packte ihn die Droge in eine so weiche, warme Wolke ein, dass alles außerhalb dieses Rausches unwichtig wurde. Negativität, Sorgen, schlechte Erinnerungen hatten in seinem Körper keinen Platz mehr, als Blaze sich zurück legte, auf den Rücken, und ebenfalls an die Decke starrte, aber dennoch lauschte er offen all dem, was Lahja plötzlich vom Herzen fiel. In seinem Blick lag mehr Anteilnahme, als er in nüchternem Zustand je bereit wäre zu fühlen, während er ihr Gesicht von der Seite betrachtete, doch seine Lippen blieben durchgehend verschlossen. Es fühlte sich falsch an etwas zu sagen, sie etwas zu fragen, es war eher so als erzähle ihm dort jemand eine Geschichte, von ganz weit weg, in die er kein Recht hatte sich einzumischen. Eine Geschichte, die in ihren Grundsätzen grausamer kaum sein konnte, aber die ihn in seiner Wolke auch nicht tief genug erreichte, um irgendwelche negativen Emotionen auslösen zu können. Vielleicht lag das auch daran wie Lahja sprach, wie sie selber keinen Schmerz dabei verspürte. Blaze lag einfach nur dort, er drehte sich irgendwann auf die Seite, bettete seine Wange auf der eigenen Hand, und sah sie bloß an. So lange, bis erneut das Lied auf seiner Schallplatte wechselte, und der neue Song - Space Oddity von David Bowie - sich als sanftes Lächeln auf seinen Lippen bemerkbar machte. "Das hab ich früher immer gehört", nuschelte er in die Stille. "Wenn ich einfach raus wollte. Aus mir selber, aus meinem Kopf. Mit dem Lied konnte ich immer abheben und einfach nicht ich selber sein." Vorsichtig streckte er seinen Arm zu ihr herüber, griff sachte nach ihrem Handgelenk und zog so lange schwach daran, bis auch Lahja sich auf die Seite drehte. Einerseits, weil es keine denkbar schlechtere Position gab, als im Heroinrausch auf dem Rücken liegend einzuschlafen, aber andererseits - und das war viel bedeutsamer - damit sie einander in die Augen sehen konnten. Damit Blaze seine Finger mit ihre verschränken und sie fest drücken konnte, während ihn das Lied in Verbindung mit der Droge erneut in das Universium katapultierte, in ganz andere Welten, weit weg von allem und jedem, das ihn in der Realität nach unten zog. Es war als würde er gemeinsam mit Lahja fliegen.
Umso härter traf ihn jedoch viele Stunden später - am frühen Abend - das Erwachen, frei von jeglichen Rauschzuständen. Blaze hasste sich und die Welt niemals mehr, als wenn er nüchtern war, und obwohl Lahja und er noch genauso voreinander lagen wie sie vor vielen Stunden eingeschlafen waren und wie es sich so gut für ihn angefühlt hatte, so richtig, hielt er es jetzt keine Sekunde länger hier aus. Auch diesmal glitt deshalb sein erster, unruhiger, zitternder Griff in seinen Rucksack, wo er das weiße Pulver hervor holte und sich eilig, hibbelig eine Line baute, die er in seine Nase ziehen konnte. Und dann noch eine. Vor nichts hatte dieser Junge mehr Angst, als vor der Realität und vor allen unverfälschten Gefühlen, die damit einher gingen. Er hatte nicht einmal die Ruhe, um auf das Einsetzen der Wirkung zu warten, sondern stand direkt wieder auf, griff nach seiner Jacke und verließ den Wohnwagen, um erst ein wenig ziellos durch die Straßen zu rennen, auf ständiger Suche nach Ablenkung, dann bei Bekannten ein paar Zigaretten zu schnorren und letztendlich in einem Supermarkt etwas Essen in seinen Taschen verschwinden zu lassen. Eine gute Stunde war er unterwegs, der Himmel draußen wurde schon wieder dunkel, als er zurückkehrte und die noch immer schlafende Lahja weckte, indem er nicht nur die Lebensmittel aufs Bett schmiss, sondern auch ihre Kleidung, und dabei immer wieder die Nase hörbar hochzog. "Steh auf, wir schmeißen die Alte raus", sprach er dabei auffordernd aus, und als es ihm nicht schnell genug ging, griff er sogar nach Lahjas Arm und zog sie einfach hoch. "Den Freak bei deinem Dad. Wir schmeißen die raus. Die hat nichts zu suchen in deinem scheiß Zimmer, wir holen zurück, was dir gehört."
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