RE: TIERHEIM
Noah war ein unheimlich einfühlsamer, liebender, gefühlvoller Mensch. Er war aufmerksam, rücksichtsvoll, ehrlich und warmherzig, in einer Freundschaft ebenso wie in einer Beziehung, aber es war genau das hier - dieses Zwischenverhältnis - das ihm Probleme bereitete. Die Unsicherheit, woran er war, und die Angst davor noch einmal enttäuscht zu werden, wie so oft innerhalb des letzten Jahres. Er hatte auf seinem Weg mehrmals Frauen kennen gelernt, die ihn faszinierten, so wie auch Apple, aber war dabei immer wieder, viel zu oft, auf Ablehnung gestoßen. An jemandem, der von Grund auf sehr unsicher mit sich selber war und oft an sich zweifelte, ging das nicht spurlos vorüber und gerade bei Bex hatten seine Gefühle noch eine ganz neue Dimension angenommen. Er war nicht nur fasziniert von ihr, er fand sie nicht nur ganz nett, sondern hatte sich wirklich und wahrhaftig in sie verliebt, mit all ihren Facetten und allem, was dazu gehörte. Ja, sogar mit ihrer strengen, russischen Familie, mit den Werten, die man ihr beigebracht hatte, und möglicherweise spießigen Freunden, die mit Sicherheit gar nicht so spießig waren wie Bex sie jetzt benannte. Diese Welt war Noah nicht so fremd wie sie dachte und die Angst, dass diese zwei Gegensätze nicht miteinander zu verbinden wären, in seinem Kopf daher auch gar nicht vorhanden. So viele von ihren Sorgen und ihren Zweifeln hätte er mit ein paar Worten beruhigen können, wenn sie nur einfach das Gespräch zu ihm gesucht hätte, aber ebenso - und das merkte Noah jetzt deutlicher denn je - galt das auch andersrum. Die Angst vor Zurückweisung hatte während der vergangenen Wochen sein Verhalten ständig bestimmt, was sich nun aber so falsch und destruktiv anfühlte, dass er offen, anbietend seine Hand unter ihrer langsam herum drehte und ihre Finger ganz sachte, vorsichtig mit seinen umschloss. Warm streichelte er mit dem Daumen über ihre Haut, spürte wie es unter seinen Fingerkuppen kribbelte und wagte sich nach ein paar Sekunden der Stille sogar erneut den Blick zu heben und Bex direkt in ihre schönen Augen zu sehen. "Ich- bin immer noch verliebt, ja. In dich." Die Angst vor Zurückweisung war immer noch da, die würde wohlmöglich auch nie ganz verschwinden, aber was Noah schon viel eher hätte sagen sollen, kam jetzt endlich über seine Lippen. Weil er glaubte, dass sie das gerade ebenso benötigte wie er. "Ich- bin verliebt in dein gutes Herz, Bex, ich glaube ich habe noch nie jemanden getroffen, der so einfühlsam, so sanftmütig und gut ist wie du. Zu allem und zu jedem. Egal, ob Kampf-Hippie oder spießige Familie, biestige Katze oder scheuer Hund. Du bist offen und interessiert gegenüber allem, was deinen Weg kreuzt, und es ist wunderschön mitanzusehen wie neugierig du durch die Welt gehst. Und- ich mag wie du mich ansiehst. Wie du mir zuhörst. Ich mag es stundenlang mit dir zu reden. Oder auch einfach mal gar nichts zu sagen. Ich mag es bei dir zu sein und von dir zu lernen und mit dir etwas zu erleben, neue Dinge zu entdecken, und- das mag ich sogar so sehr, dass ich- mich manchmal wieder mehr nach Bodenständigkeit sehne. Mit dir. Nach einer bodenständigen Partnerschaft, nur du und ich. Wenn ich mir eine Beziehung mit dir vorstelle, dann sehe ich nicht wie ich dich in meine Welt reiße, Bex, und wie ich dir all meine Vorstellungen und Werte aufdränge, weil sie ach so viel besser sind, als deine. Das sind sie nicht. Ich sehe eher- wie sich unsere Welten miteinander vermischen. Wie ich mir etwas von dir annehme und du dir etwas von mir. Glaubst du wirklich, dass ich ein Problem mit deiner Familie und mit ihrem Leben haben könnte? Oder mit deinen Freunden? Denkst du denn ich weiß nicht, dass das alles ein Teil von dir ist? Oder- machst du dir eher Sorgen darüber, ob deine Eltern und deine Freunde wohl mich so akzeptieren können wie ich bin?" Das wiederum war etwas, auf das Noah keinen Einfluss nehmen konnte und weil er spürte, dass über diesen Gedankengang auch die Unsicherheit wieder in ihm an die Oberfläche kroch, senkte er kurz den Blick auf ihre Hände und straffte die Schultern ein wenig zusammen. "Um- auf deine Frage zurück zu kommen: Ich denke- ich werde immer irgendwie an mir zweifeln. Das wird nie ganz verschwinden. Und ich brauche bestimmt genauso viel Zuspruch von dir wie du von mir. Ich muss spüren, dass man mich mag." Oh, wie sehr Noah das in der Beziehung mit Lahja oft gefehlt hatte, insbesondere während ihrer Fernbeziehung. Sie beide konnten ihre Emotionen so schwer auf die Zunge legen, dass es oftmals schwierig gewesen war die nötige Bestätigung zu bekommen. Erst die regelmäßigen Besuche von Noah, die hatten dann das Gleichgewicht wieder herstellen können. "Du wirst nicht daran zweifeln, ob ich dich mag, Bex. Du wirst vielleicht daran zweifeln, ob ich mich selber mag, von Zeit zu Zeit-" Er hielt kurz inne, um seine Mundwinkel zu einem schwachen, ironischen Lächeln zu verziehen. "Aber niemals, ob ich dich mag. Für mich ist einfach diese- Basis gerade schwierig. Du warst noch mit Joker zusammen, als ich dir zum ersten Mal gesagt hab, dass ich dich irgendwie- gern hab, und dann ist so vieles passiert und du wurdest so verletzt und- ich weiß einfach nicht, ob du schon bereit bist für etwas Neues, ich weiß nicht wie sehr dein Herz noch bei ihm ist und- ich weiß auch nicht wie sehr dein Herz jemals bei mir sein kann. Ich- ich spüre, dass da was ist-" Demonstrativ senkte er noch einmal den Blick auf ihre Hände, zog den Daumen erneut über ihre Haut. "Aber ich weiß nicht, ob das reicht und ich hab Angst davor wieder enttäuscht zu werden und deswegen- bin ich wahrscheinlich so unsicher in allem, was ich sage oder tue. Weil ich dich nicht überfordern und zu sehr in eine Ecke drängen möchte. Dafür ist mir unsere Freundschaft zu wichtig."
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