RE: TIERHEIM
Bei den Vorstellungen, die Noah sich im Vorfeld über diesen Abend im Kopf ausgemalt hatte, da gab es durchaus auch welche, in denen Bex so reagierte wie sie es jetzt tat, mit Ablehnung und Zurückweisung. Mehrere schlaflose Nächte hatte er deswegen schon durchlebt und genau darum doch auch Lahjas Ratschläge gesucht, aber Noah war generell ein so unsicherer, von Selbstzweifeln geplagter Mensch, das konnte er gar nicht abstellen. Es sei denn er verschaffte sich Hilfe dabei, wie heute, in Form von chemischen Drogen, einem externen Mittel im Körper, das all die Negativität in ihm zum Schweigen brachte. Heute Abend hatte er keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass Bex ihn wohlmöglich nicht leiden könnte und die Option, dass sie ihn nicht so mochte wie er sie mochte, die existierte in ihm gerade auch nicht mehr, aber dieses Selbstbewusstsein, an dem es ihm sonst fehlte, das schien sich nicht gerade zu seinen Gunsten auszuwirken. Im Gegenteil. Völlig perplex starrte er die junge Frau an, als sie sich auf einmal erschrocken von ihm zurück zog, eilig aufstand und ihn mit Worten zurückwies, die er noch gar nicht recht verstehen konnte. Noah hatte doch alles genauso getan wie geplant, verdammt. Er hatte alle Hilfestellungen von Lahja befolgt, er war eindeutig und ganz offensichtlich aus diesem freundschaftlichen Verhalten hinaus gekommen, er hatte ihr gezeigt, dass da mehr in ihm war, als das, und versucht sie zu erobern. Und bis gerade eben, bis gerade war doch auch alles gut gelaufen, oder? Das Konzert war schön gewesen, die beiden hatten viel miteinander geredet, miteinander gelacht, und trotzdem? Trotzdem flüchtete sie jetzt vor ihm, kletterte die Treppe hinab und ließ ihn alleine mit der Flasche Wein hier sitzen? Schon lange hatte Noah sich nicht mehr so gedemütigt gefühlt und obwohl die Droge den Schmerz in dem Moment noch ein wenig auf Abstand halten konnte, traf er ihn etwas später, als er schlaflos im Bett lag, umso grausamer. Mit dem Nachlassen des Rausches kamen auch alle Unsicherheiten wieder in ihn zurück, die Minderwertigkeitsgefühle waren wieder da, noch penetranter als zuvor, und auch die Trauer darüber, dass er es sich mit Bex jetzt endgültig verdorben hatte. Hätte er die Drogen vielleicht nicht nehmen sollen? Wäre das Date dann besser verlaufen? An welchem Punkt war denn die Stimmung gekippt und warum hatte er es nicht eher bemerkt? Er war doch sonst so sensibel dafür. Und was genau war überhaupt vorgefallen? Bex hatte das doch so gewollt, oder? Sie hatte sich doch mehr Engagement von ihm erhofft, richtig?
Selbstverständlich suchte Noah die Schuld wieder nur in sich, verschwendete Stunden mit Selbstzweifeln, aber er brachte es auch nicht übers Herz sich noch einmal bei ihr zu melden, das Gespräch zu ihr zu suchen und zu erfragen, was er falsch gemacht hatte. Und was sie mit ihren Worten meinte. Er sollte noch mehr Zeit mit Lahja verbringen? Zu zweit? Warum das denn? Und was genau konnte sie denn nicht? Wer war sie nicht? Ein Mädchen, das auch Gefühle für Noah hatte? War es so simpel? Die Scham war jedoch zu groß, um diesen Antworten nachzugehen, die Demütigung saß zu tief und deshalb weigerte er sich auch noch immer vehement, als May versuchte ihn zu einem weiteren Gespräch zu motivieren. Natürlich hatte er ein wenig mit ihr über den Abend geredet, sie kannte Bex schließlich gut, aber als sie subtil versuchte Noah darauf zu verweisen, dass Bex eventuell eifersüchtig auf Lahja sein könnte, empfand er das als so absurd, dass er nur den Kopf schüttelte. Schwachsinn. Völlig ausgeschlossen. Einerseits gab es da keinen Grund für und andererseits hätte Bex ihn doch auch nicht so strikt abgewiesen, wenn sie auch nur ansatzweise etwas für ihn empfinden würde. Nein. Niemals.
Womit Noah jedoch nicht rechnete, war, dass May durchaus penetrant sein konnte, wenn sie etwas für richtig erachtete, und so kam er auch leichtgläubig ein paar Tage später im Tierheim vorbei - an einem Nachmittag, an dem Bex angeblich nicht arbeitete - um sich von seinem Lieblingshund zu verabschieden. Bei den Spaziergängen hatte er den älteren Mischlings-Rüden unheimlich ins Herz geschlossen, so sehr, dass er sogar selber schon überlegt hatte ihn einfach zu sich zu nehmen, aber nein. Er pendelte zu viel hin und her und ein Hund brachte eine so große Verantwortung mit sich, er konnte sich doch nicht für mehrere Jahre an ein anderes Lebewesen binden und dennoch wurde ihm das Herz jetzt ganz schwer, als May ihn vor dem Tierheim abfing und direkt mit ihm gemeinsam zum Zwinger des Rüden lief. Zu spät merkte Noah jedoch, dass sich außer ihnen beiden noch jemand hier befand, jemand, dem er absolut nicht in die Arme laufen wollte. Mit einem dumpfen Geräusch fiel das Gitter ins Schloss, erschrocken wandte er sich herum, aber noch ehe er so recht verstehen konnte, was das hier sollte, warum Bex doch hier war und weshalb May sie jetzt in diesem kleinen Raum einsperrte, war die Freundin der beiden schon wieder verschwunden. Scheiße. "May!", versuchte er noch einmal zu rufen, sogar ein bisschen mahnend - Romanze, ja klar, das hier war alles andere als eine Romanze - doch er blieb erfolglos. Niemand holte ihn hier wieder raus, aus dieser Situation, in der er sich auf einmal wieder so gedemütigt fühlte wie dort auf dem Dach, und auch ein kurzes Rütteln am Gitter brachte absolut gar nichts. Verdammte Scheiße.
Hilflos und unsicher verschränkte Noah die Arme vor der Brust, zog die Schultern hoch und versuchte dem Blick von Bex auszuweichen, selbst dann noch, als sie tatsächlich das Wort ergriff und ihn mit Fragen konfrontierte. Doch obwohl er danach noch mehrere zehrend lange Sekunden Stille vergehen ließ, blieb ihm irgendwann nichts anderes übrig, als langsam, ratlos den Kopf zu schütteln, es gab schließlich keine Möglichkeit vor ihr zu fliehen oder vor diesem Gespräch. Und einfach schweigend in der Ecke zu stehen, das war auch keine Option, die er für mehrere Stunden durchziehen könnte. "Ich- versteh überhaupt nicht, was du eigentlich von mir willst, Bex." Kurz hob er den Blick, um ihr in die Augen zu sehen, aber das war dann doch zu schmerzhaft. Er hatte verdammt nochmal alles gegeben, er hatte ihr gesagt, dass er Gefühle für sie hatte, und versucht sie zu küssen und war von ihr immer nur abgewiesen worden. Das tat verdammt nochmal weh, auch jetzt noch. "Erst sagst du mir, dass ich für dich einfach nur ein Freund bin, mehr nicht, dann lässt du dich aber doch auf das Date ein. Und sogar auf ein Zweites. Ich meine, wenn du mir nach dem ersten Abend einfach gesagt hättest, dass da nichts ist und dass ich es nicht nochmal versuchen soll, dann- okay. In Ordnung. Aber nein, du hast wortwörtlich gesagt, dass du noch einmal mit mir ausgehen willst. Obwohl ich beim ersten Mal einiges falsch gemacht hab, ich denke das wissen wir beide." Verkrampft löste er die Arme aus der Verschränkung, um sich mit einer Hand angespannt über die Brust zu reiben, dann über den Hals, während er die andere in der Hosentasche versenkte. "Beim nächsten Mal wollte ich es halt besser machen. Ich hab über alles nochmal nachgedacht, was du gesagt hast, wie du dir eine Beziehung vorstellst und wie du dir ein Date vorstellst, aber- auch das ist anscheinend nicht richtig gewesen. Ich hab sogar Lahja um Hilfe gebeten, hab sie gefragt was ich tun soll - und glaub mir, es war nicht besonders angenehm mir von meiner Ex-Freundin Beziehungs- oder Dating-Tips geben zu lassen - aber- keine Ahnung. Ich weiß einfach nicht, was ich falsch mache oder was ich besser machen kann oder was du von mir willst oder ob du überhaupt irgendetwas von mir willst oder- ich weiß nicht. Vielleicht hättest du einfach nie mit mir auf dieses erste Date gehen sollen. Vielleicht hättest du mir einfach von Anfang an sagen sollen, dass das eine doofe Idee ist und dass du mich einfach nicht magst. Zumindest nicht so." Mit einem weiteren Kopfschütteln senkte er seinen Blick nur noch mehr und starrte angespannt, aber auch sichtlich unsicher auf den Boden. "Und ganz ehrlich, ich hab keine Ahnung, was du mir grad sagen willst. Ich wüsste nicht, dass ich am Abend vorher irgendjemand anderen geküsst hab und wenn hier jemand verletzt wird, dann bist das ganz sicher nicht du, Bex."
|