RE: ROUTE 66
Nur Matt schaffte es die junge Frau so aus ihrer Rolle zu locken. Niemand sonst war bisher dazu in der Lage gewesen, sie sich wie ein Kind fühlen, oder sogar benehmen zu lassen. Keiner schaffte das so wie dieser eine Mann vor ihr. Höchstens wenn sie damals ihre Großmutter besucht hatte, hatte sie sich so gelöst gefühlt von ihrem Kummer, verliebt in das unvoreingenommene Leben. Nicht gebunden von ihrer politischen Ernsthaftigkeit der Jugend oder allen schlimmen Erfahrungen die dem noch Folgen sollten. Der Kummer der Welt und ihr eigener Schwermut erdrückten ihren Leichtsinn oft genug aber Matt brachte es immer wieder fertig, sie alles vergessen zu lassen. Als er nach dem Austausch der Zuneigung, der sie im lichten Momenten fast schon wieder Überforderte, einfach mal sinnlos mit einem Schneeball nach ihr werfen musste, sah sie ihn im ersten Augenblick total fassungslos an. In den letzten zwei Jahren war es einfach nie so weit gekommen, dass jemand die ernste und stolze Oberfläche der jungen Frau durchbrochen hatte. Es war nicht schlimm gewesen, sie hatte dennoch herzlich gelacht und tiefe Gespräche geführt aber immer mit ihrer würdevollen Distanz. Männer mochten genau das an ihr. Diese unnahbare Kälte aber Matt und sie hatten genug Zeit miteinander verbracht - er wusste wer und wie Madison noch sein konnte. Er mochte im Gegenzug genau das hier. Die blonde Frau würde es nie zugeben aber es berührte sie immer zutiefst, wie viel mehr er in der Lage war, von Beginn an in ihr zu vermuten. Sie würde jedes Mal zuerst kritisch den Kopf schütteln über seine Ideen, bis sich Schlussendlich auch auf ihren Zügen ein grinsen Einfand. Ihr Traummann war genau er, der sie aus der Reserve lockte. " Du bist so kindisch - echt jetzt?" Fragte sie mit angezogener Augenbraue, das Kinn ein wenig vor gereckt um sich dann doch lachend auf ihn zu stürzen. " Sehr mutig so außerhalb deiner Gewichtsklasse einen Krieg anzufangen. Wehe du jammert gleich." In genau diesen Momenten spürte sie, wie sehr Liebe sie selbst verändern konnte. Was er in der Lage war mit seiner Art zu erreichen und verdammt, sie ließ zu, sich einzugestehen, wie sehr sie ihn doch vermisst hatte. Es war komisch ihn zu berühren, sie würde immer mehr Zeit brauchen als er um Veränderungen zu begreifen. Noch oft sein Gesicht studieren und sich Fragen, ob das hier auch wirklich das richtige war. Madison würde immer diese Art von Mensch bleiben aber bei ihm hatte sie das Gefühl, es war mehr als in Ordnung. Sie durfte Zweifeln und er würde es nicht Müde werden, offen zur Schau zu stellen, was sie für ihn Verkörperte. Vielleicht waren es diese Gedanken, die sie einholten, als sie im Bus wieder kurz davor war, aus lauter Panik zu Fliehen. Matt zog sich aus, hüllte sich unter die Decke und das Funkeln in seinen Augen Signalisierte ihr, wie gerne er sich nun auf das Kuscheln mit ihr besann. Das Kuscheln, was zu mehr führen könnte – was es immer getan hatte bei den beiden. Noch immer mit den nassen Kleidern an ihrem Leib, dem leichten Zittern und einem schnellen Atem betrachtete sie ihn. Sein wunderschönes Gesicht und seinen nackten Oberkörper, der so viele Sehnsüchte in ihr erwachen ließ. Angefangen dabei, ihren Kopf darauf zu betten bis hin, ihre langen Fingernägel darüber zu ziehen. Madisons Kehle schnürte sich bei dem Gedanken zu, ihn nun Abzuweisen und seine Hoffnungen zu zertreten. Sie wollte ihm doch nicht weh tun. Das wäre so falsch. Angespannt zog sie sich die nasse Jacke aus, das Top und auch die Hose war für sie kein Problem. Als sie ihm am Ende nur in Unterwäsche gegenüber saß, die Arme umständlich verschränkt und nicht bereit war, die Klamotten beiseite zu legen, die eben noch ihren Körper bedeckt hatten – da wurde Madison einiges noch klarer. Schwerer als die Leichtigkeit zuzulassen war es für sie, ihre Ängste zu teilen. Die, die wirklich tief saßen. So verkrampft und ängstlich wie in diesem Moment hatte auch ihr Exmann sie selten zu Gesicht bekommen. Erst jetzt wurde so ungeschönt klar, wie viel diese Krankheit in ihr schon geschafft hatte für sich zu Gewinnen. Eigentlich zog sie sich selbst, auch als seine ehemalige Partnerin jetzt zurück. Maddi fühlte sich von ihren eigenen Gefühlen überrannt und sie hasste das so sehr aber dann erinnerte sie sich an den weiten Weg bis hier hin. An seine Wutausbrüche, seine Verzweiflung, seine Eingeständnisse – sie würde es mit Füßen treten, wenn sie ihn nun erneut ausschließen würde. Vielleicht war es richtig Gewesen, sie an allen Gefühlen teilhaben zu lassen, die er durchgestanden hatte ab dem Moment, als er von der Krankheit erfahren hatte. Immer wieder suchte sie den Blick in seine Augen um dann ins Nichts vor sich zu starren und sich selbst irgendwie vor der Kälte aber allem voran vor der Nacktheit zu schützen. Die Unterarme vor der Brust gekreuzt, die Hände in die Schultern Krallend, suchte sie nach den richtigen Worten. „ Ich wollte – damit niemanden Schockieren.“ Madison erschreckte sich vor der einigen Unsicherheit in der Stimme, vor dem dünnen Ton, der meist Tränen mit sich zog. „ Ich bin Stur – weiß ich aber... aber diesmal nicht nur. Ich will nur nicht – ich – der Tumor, der ist... gewachsen. Schnell. Ziemlich schnell. Man kann... ihn sehen und... man kann ihn auch fühlen Matt. Das... hat mich vor ein paar Tagen so eilig zur Vernunft getrieben und ich weiß auch jetzt nicht, ob es nicht besser ist, weiter auf dem Beifahrersitz zu schlafen.“ Zweifelnd sah sie ihn an, dann auf den Schlafplatz von ihr der letzten Tage. Das fühlte sich nach mehr Schutz an. Nicht für sie, diesmal nicht. „ Das... ist so Bedrohlich und das macht mir so eine Angst. All deine Gefühle in den letzten Tagen hast du mit mir geteilt, was auch richtig ist aber... das hier macht es noch einmal Realer. Das würde die Erinnerung an uns doch noch mehr... kaputt machen und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn... es auch für dich nur noch schlimmer wird zu ertragen.“ Erstmals ließ Maddi zu, dass auch sie sich nicht vor den ganz normalen Ängsten einer Frau verschließen konnte, in der sich so etwas veränderte. Etwas so intimes und Persönliches. " Was wenn du es... ekelhaft findest. Ich spüre wenn du den... tumor anfasst. Wenn der arzt mir die brust abnehmen muss? Weist du wie schwer es ist die brustwarze bei einer op zu retten und am leben zu erhalten? Wie sehr die todeschancen steigen, wenn der krebs nach einer erfolgreichen therapie zurück kommt? Ich weiß das alles nun - es ist nicht so als hätte ich nich nicht damit beschäftigt." Mit den schlanken Fingern fuhr sie sich durch die Haare, senkte den Kopf aber die erste Träne die über ihre Wange rollte, an der ließ sie Matt teilhaben. Alles andere fühlte sich nach der eigenwilligen Vertrauensübung falsch an. Viel zu schwach und viel zu wenig sie selbst ergriff sie eine seiner Hände, mit der anderen verbarg sie noch immer halb ihren Oberkörper. „ Ich will nicht, dass sich mein Körper so verändert und ich will nicht, dass diese Krankheit so offensichtlich ist und so offensichtlich ihre Narben einfordert. Das – ich gehörte doch mir und...“ Die Stimme nahm zunehmend an Festigkeit ab, als Madison endlich ihre zweite Hand sinken ließ und nach seiner griff. Noch immer bedeckte Unterwäsche die Stelle, an der der Krebs auch offensichtlich Sichtbar wurde aber sie fühlte sich ausgelieferter als selten zuvor. Sie hob ihre Hände, die noch immer seine umschlossen hielten an und legte sie auf ihre Tränen, rieb sich behutsam dagegen, damit er auch nicht dachte, sie vermisste ihn nicht. Sein Kuscheln. Sein Klammern. Das war es nicht. Viel eher sah man nun, wie viel ihr an ihm lag, dass sie Überhaupt noch immer hier saß, den Körper mit Gänsehaut überzogen und wie weit sie eigentlich für ihn hatte gehen wollen. Bis die Realität sie wieder eingeholt hatte, hatte sie sich nur gewünscht, genau an dem Fleck zu liegen, den er ihr gerade mit dem anheben der Decke reserviert hatte. „ Ich will dich nicht ausschließen aber ich will es auch nicht schwerer machen als es ist.“
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