RE: ROUTE 66
Madison hatte die ganzen letzten vergangenen Tage damit verbracht ständig gegen Matt zu reden. Er hatte so vieles versucht, sie so viele Emotionen spüren lassen, ständig das Gespräch wieder auf ihre Krankheit gelenkt, aber seine ehemalige Frau hatte bis zu diesem Zeitpunkt unnachgiebig auf ihrem Standpunkt und auf ihren Vorstellungen beharrt. Innerlich war Matt manchmal an den Rande des Wahnsinns gekommen, aber als er jetzt hier vor ihr stand, mitten im Wald, und als er endlich den Schal von seinen Augen nehmen konnte, da sah er in ihrem Blick erstmalig etwas anderes. Er sah, dass seine Vorstellung ihrer Zukunft auf einmal auch eine Option für Madison darstellte. Sie ließ ihn zum ersten Mal wieder an sich heran, sie ließ seine Ideen an sich heran, und weil das alles - und noch viel mehr - umfasste, was er mit diesem Trip hatte erreichen wollen, konnte man ganz deutlich sehen wie sich der Druck von seiner Brust löste und er zum ersten Mal wieder tief atmen konnte. Er hatte sie tatsächlich erreicht. Seine Vergebung, sein Vertrauen und seine Lieben konnten noch immer etwas in dieser sturen, unnachgiebigen Frau verändern. So wie auch schon vor Jahren. "Ich kümmere mich um den Waschbären, ja. Versprochen. Und auch um deine Beerdigung. Nur für den Fall." Matt ließ mit keiner Faser seines Körpers den pessimistischen Gedanken zu, dass Madison den Kampf eventuell verlieren könnte, aber er wusste, wie wichtig ihr war diese Eventualität schon von vornherein abzudecken. Sie brauchte das jetzt von ihm. "Wenn du niemanden sehen willst, ist das auch in Ordnung, aber wenigstens den wichtigsten Menschen in deinem Leben solltest du erklären, weshalb. Ian, deinen Eltern und Jamie. Sag ihnen, dass du sie deshalb nicht weniger liebst, aber dass sie mit mir reden können, wenn irgendetwas ist, und ich verspreche, dass ich sie auf dem Laufenden halte. Immer. Wie du weißt bin ich gut im Reden und könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als endlich mal dein Sprachrohr sein zu dürfen." Behutsam lächelte Matt noch einmal sein schiefes Lächeln, für sie beide. Auch, um die Ernsthaftigkeit und die Spannung ein wenig zu nehmen, die Madison gerade zweifellos spürte. Er sah doch wie unsicher sie in sich war, wie viel Angst sie hatte und wie schwer es ihr auch fiel so viele Eingeständnisse zu machen, aber Matt würde niemals seinen Humor verlieren, auch nicht wenn eigentlich alles dagegen schrie. "Falls das Erbe nicht ausreicht haben wir auch immer noch ein Haus, das wir verkaufen können. Ich weiß, dass das die letzte Option ist, vor allem wegen der Familie, die jetzt darin wohnt, aber- nur für den Fall. Oder wir nehmen ein Darlehen auf. Finanzen spielen keine Rolle." Vor allem, wenn es um ihr Leben ging, durfte Geld doch niemals ein Faktor sein. Lieber stürzte Matt sich in einen Haufen Schulden, als Madison einfach aufzugeben.
Doch obwohl er ihr bis hierher so viel Verständnis entgegen gebracht hatte, kam er bei ihrer nächsten Idee deutlich sichtbar an seine Grenzen. Wie von ihr gewünscht kletterte er zwar noch auf den umgestürzten Baum, er sah auch zu ihr hinab, aber als Madison die Arme ausbreitete und so erwartungsvoll zu ihm aufsah, zögerte Matt. Vor allem wegen dem, was seine ehemalige Frau sagte. Wie sie diesen Vertrauensbeweis für ihn erklärte. "Dir ist schon klar, dass du damit den Sinn dieser Übung ein bisschen verfehlst, oder? Nicht, dass ich dick bin, aber wenn meine stählernen Muskeln in deinen Armen landen, dann tust du dir definitiv weh, Madison." Und genau da lag der Punkt, den er nicht überschreiten konnte. Es war nicht so als vertraue er ihr nicht - er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie genau dort stehen bleiben und wirklich versuchen würde ihn aufzufangen - aber dennoch ging Matt in die Hocke und sprang auf der anderen Seite des Baumes herunter, viel zu weit entfernt von Madisons Armen, um ihn auffangen zu können. So, dass keiner von ihnen beiden sich dabei verletzen musste. Und auch auf die Gefahr hin, dass er seine Frau damit enttäuscht hatte, drehte Matt sich daraufhin zu ihr und lächelte ganz schwach, warm. "Endlich bist das mal du, die sich verletzt, Madison? Wirklich? Das ist der Grund, warum du das machen möchtest?" Er verstand, weshalb sie das wollte, aber für ihn war das so absurd, dass er sofort den Kopf schüttelte. Und genau das war auch für diese undefinierbare Beziehung der beiden so bedeutsam, dass Matt sachte nach ihren Händen griff und sie warm mit seinen drückte. "Gerade im Moment kann ich dir nicht sagen, wer oder was ich für dich bin, Madison. Denn solange du dir solche Vorwürfe machst wird eine Beziehung zwischen uns nicht funktionieren, egal wie sehr ich das möchte, wie sehr ich dich liebe und wie sehr du mir fehlst. Ich werde dich nicht absichtlich verletzen. Weder indem ich auf dich drauf springe, noch auf irgendeine andere Art, aber ich glaube genau das erwartest du von mir. Genau das willst du von mir. Damit wir endlich quitt sind? Ist es das? Würdest du dich besser fühlen, wenn ich dir wirklich weh tue? Würdest du dann aufhören mich so mit Samthandschuhen anzufassen? Hättest du dann nicht mehr das Gefühl in meiner Schuld zu stehen? Das ist doch der Grund, warum du mir überhaupt erlaubt hast dich auf diese Fahrt zu begleiten, oder? Weil du das Gefühl hattest du wärst mir das schuldig. Du dürfest mir das nicht abschlagen." Vorsichtig zog Matt seine Frau dichter zu sich und ging gleichzeitig einen Schritt auf sie zu, sodass sie ganz nah voreinander standen, als er seine Hände von ihren löste und sie stattdessen an ihren Armen hinauf zog, über ihre Schultern, bis in ihren Nacken. "Ich bin hier. Ich bin bei dir, wenn der Arzt dir eine gute Nachricht gibt, aber auch wenn er dir eine schlechte Nachricht gibt. Ganz egal, was du davon wie definierst. Ich bin bei dir und ich unterstütze dich wie ich nur kann, aber bevor wir uns definieren, müssen wir nicht herausfinden, ob wir uns gegenseitig noch lieben, sondern du musst herausfinden, ob du dich noch liebst. Ich mache gerne jedes Vertrauensspiel mit, darum geht es mir nicht, aber keins, in dem ich dir bewusst weh tue. Und vor allem nicht dann, wenn du auch noch der Meinung bist, dass das richtig so ist."
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
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