RE: ROUTE 66
Das alles - jede Reaktion, die Madison im Bezug auf diesen hilflosen, verletzten Waschbären zeigte - war genau das, was Matt unbedingt in ihr sehen wollte, wenn es um ihr eigenes Leben ging. Begonnen bei der anfänglichen Bestürzung, dem Schock, der Angst in ihren Augen, als sie das arme Tier gefunden und unbedingt aus der ansonsten tödlichen Falle befreien wollte. Dann die Wut und die Haltlosigkeit, die sie bei der Tierärztin mitten in der Nacht eindrucksvoll präsentierte. Das Unverständnis und das Entsetzen in ihr, als nur das Wort Einschläferung genannt wurde. Matt wollte sehen wie Madison auch gegen das kämpfte, was sie innerlich zerstörte. Er wollte sehen wie sie sich vor ihrem eigenen Gegner so aufbäumte wie jetzt vor dieser fremden Frau, bei der sie beinah gänzlich die Fassung verlor. Er wollte, dass sie sich selber im Spiegel so mitleidig, liebevoll ansah wie diesen Waschbären hier, der mit verbundener Pfote und Halskrause nur noch viel hilfloser und trauriger wirkte. Er würde seine Genesung hassen, das sah man jetzt schon. Er würde es hassen, dass er dank des Plastikgestells um seinem Hals nicht an der juckenden, schmerzenden Verletzung lecken konnte, dass es ihm nicht möglich war zu fliehen und dass man ihn seiner Freiheit beraubte. Letzten Endes war das alles zu seinem Besten, eventuell würde auch er das zu angemessener Zeit verstehen, aber jetzt gerade wehrte sich dieses garstige Tier noch mit allem, was ihm gegeben war. Und Madison gab trotzdem nicht auf. Als Matt am nächsten Morgen wach wurde hatte sie sogar im nächsten Supermarkt alle möglichen Fleischsorten gekauft, um den Waschbären damit zu füttern und vor allem um die nötigen Medikamente in seinen Körper zu bekommen, trotz ihrer sonst so strikten Überzeugungen. Sie tat alles, was in ihrer Macht stand, um dieses Lebewesen zu retten.
Matt hatte nicht besonders lange gebraucht, um die doch sehr deutlichen Parallelen zu erkennen, spätestens bei der Tierärztin, als diese davon sprach das Tier von seinem Leid zu erlösen - bei der Überbevölkerung der Waschbären würde ihn schließlich niemand vermissen - war es für ihn nicht mehr von der Hand zu weisen, aber seine ehemalige Frau tat sich da anscheinend schwerer. Sah sie wirklich nicht wie sehr sich die Schicksale von ihr und ihrem Findelkind ähnelten? Oder verschloss sie sich einfach nur davor? Matt wusste es nicht, aber so wie auch mit dem Kuss in der vorherigen Nacht, mit der plötzlichen Nähe und all diesen Emotionen, die bei ihm dadurch wieder aufgekommen waren, gab er Madison einfach Zeit. Er drängte sie nicht sofort zu einem klärenden Gespräch, er überschüttete sie nicht mit seinen Erkenntnissen und seinen Gefühlen, sondern wartete einfach ab, dass sie von sich aus einen Schritt auf ihn zuging. Auch in etwa so wie bei einem wilden Tier: Wenn man es überforderte, dann würde es nur die Krallen ausfahren. Geduld hingegen zeichnete sich aus, das musste Matt sich auch im Bezug auf den Waschbären eingestehen, nachdem jetzt schon mehrere Kratzwunden seinen Arm zeichneten, weil er mehrmals versucht hatte den Kleinen zu streicheln. So wie Madison hatte dieses Lebewesen aber seinen ganz eigenen Kopf und während die beiden am Nachmittag im Bus saßen, während die blonde Frau das Tier erneut mit Fleisch fütterte und er sie dabei beobachtete, um auch optisch nach Ähnlichkeiten zwischen den beiden zu suchen, hatte Matt sich anscheinend lange genug auf Abstand gehalten, um zu provozieren, dass Madison sich ihm ganz von selber näherte. Na bitte. Ging doch. Er hätte sich zwar andere Worte aus ihren Lippen gewünscht, aber er war auch noch nie müde geworden mit ihr zu reden. Und sie dadurch auch manchmal umzustimmen.
"Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst, Maddi. Wir haben doch genau das getan, was ich mir gewünscht hab. Natürlich abgesehen von dem Nacktschlafen, aber hey. Wir haben ja noch ein, zwei Nächte vor uns." Matt konnte einfach nichts dafür, diese dummen Sprüche würde er nie ganz loswerden, aber zumindest versuchte er mit einem schwachen, schiefen Lächeln die Ernsthaftigkeit schnell aus seinen Worten zu nehmen. Viel wichtiger und viel bedeutsamer war nämlich auch, was Madison danach zu ihm sagte, und obwohl er selber den Kuss keinesfalls als dumm betiteln würde, akzeptierte er ihre Reaktion mit einem schwachen Nicken. Mehrmals wechselte er mit dem Blick schweigend zwischen ihr und dem genüsslich kauenden Waschbären, ehe er dann aber doch an Madison hängen blieb und mit seinen Augen die Konturen ihres so vertrauten Gesichts nachzeichnete. "Ich weiß, du warst nie wirklich kopflos. Da war immer zu viel in dir drin." Vorsichtig hob Matt seine Hand, um mit Zeige- und Mittelfinger zwei Mal sachte gegen ihre Stirn zu tippen, ehe er den Arm wieder sinken ließ. Oft genug hatte er gehofft, dass Madison ihm Einblick in ihren Kopf gab und oft genug war er enttäuscht worden, aber auch diesmal resignierte er nicht einfach. So war er nicht. "Sag mir, was es diesmal ist. Bitte. Was geht in dir vor? Was ist in deinem Kopf los, dass du dich nicht traust neben mir zu schlafen? Nicht nur neben mir, sondern anscheinend auch neben all den anderen Menschen, die du in den letzten zwei Jahren kennen gelernt hast. Wovor hast du Angst, Madison? Es ist mir immer schon schwer gefallen dich zu verstehen - genau deshalb hab ich mich ja auch so in dich verliebt - aber- ich hatte in den letzten Tagen immer wieder das Gefühl, dass ich dich kaum kenne." So absurd es auch war, genau in diesem Moment kam sogar der Waschbär auf Matt zu, um interessiert an seiner Hose zu schnuppern, und er konnte nur hoffen, dass Madison ähnlich reagierte. Weniger Stoffschnüffeln vielleicht, aber ebenso viel Aufmerksamkeit.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
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