RE: MOUNT GLEASON
Matt versagte kläglich an dem Versuch ein besonnenes Gesicht zu wahren, ganz automatisch hoben sich seine Mundwinkel zu einem schiefen, schwachen Lächeln, weil gerade genau das in Madison erweckt wurde, was er immer so enorm an ihr geliebt hatte. Wie erwartet stieg sie auf die Provokation ein, bissig, stolz und stark wie sie nunmal war. Diesen Kampfeswillen, den Matt jetzt in ihr spürte und den sie ihm gegenüber so großartig ausleben konnte, den musste er nur irgendwie auf ihre Krankheit zentrieren. Auf ihr Leben. Mit Sicherheit hatte sie den am Anfang auch gehabt, er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Frau jemals völlig kampflos resignieren würde, aber irgendwo in ihrem bisherigen Kampf gegen Ärzte und gegen die grauenhafte Wahrheit, dass da etwas in ihr existierte, gegen das sie wohlmöglich mit all ihrer Stärke nicht ankam, war sie dann eingeknickt. Matt jedoch, er war noch immer ein elender Optimist, in allem, und da war auch die Krankheit seiner ehemaligen Frau keine Ausnahme. Er kannte noch nicht alle Fakten, er wusste nicht wie ihre Chancen aussahen und was genau das alles mit sich bringen würde, aber bisher hatte Matt auch in den schrecklichsten, grauenhaftesten Zeiten immer irgendwie seinen Optimismus bewahren können. Er suchte noch immer nach dem Guten, in allem. Wenn er das nicht tun würde, dann säße er doch jetzt gar nicht hier, vor Madison, die ihn so verletzt hatte wie noch nie jemand zuvor, um sie zu einem weiteren, vielleicht letzten gemeinsamen Road Trip zu drängen. Er sah, dass die nötige Kraft in ihr steckte, er musste nur einen Weg finden sie auf ihren Körper, auf ihr Leben, zu projizieren und dafür würde er gerade tatsächlich alles tun. Wirklich alles. Denn auch, wenn er ihr niemals verzeihen konnte, wenn es immer irgendwie wehtun würde Madison anzusehen und in ihren Augen zu entdecken, was er in ihr verloren hatte, fühlte es sich einfach falsch an in einer Welt zu leben, in der sie nicht existierte. Das war nicht richtig. Das konnte noch nicht das Ende gewesen sein. Nicht für Madison, sie hatte noch so viel zu sehen, so viel zu erleben. Nicht für Jamie, die unter ihrem Verlust schrecklich leiden würde. Nicht nur Ian, der seine starke Zwillingsschwester doch brauchte. Und auch nicht für Matt, der sich trotz seines ständigen Optimismus nicht vorstellen konnte jemals irgendetwas Positives an ihrem Tod finden zu können. Er hatte jetzt zwei Jahre nicht mit ihr gesprochen, er hatte sie zwei Jahre nicht gesehen, nicht ihre Stimme gehört, er hatte sie zwei Jahre nicht berühren, nicht greifen können und doch fürchtete er sich so dermaßen vor der Endgültigkeit des Sterbens. Ihres Sterbens. So sehr, dass er sogar ihre Bedingungen mit einem zögerlichen Nicken hinnahm.
Man hatte deutlich erkennen können wie sich dabei sein Blick auf einmal änderte, wie aus dem schiefen Grinsen ein eher erschrockenes Starren wurde, aber er wusste auch, dass eine Diskussion mit Madison nicht einfach war. Er wollte diese Woche mit ihr gemeinsam in einem Bus? Er wollte ihr zeigen, was ihr bald fehlen würde, durch den Besuch bei dem größten Schaukelstuhl der Welt und einem unheimlich uninteressanten Meteor Krater? Dann musste er dafür auch etwas geben. Und so makaber das auch war, wenn sie im Gegenzug ihre Beerdigung von ihm wollte, dann würde sie diese bekommen. Letztendlich ging es dabei ja nicht nur um Formalien oder darum ihr einen würdigen Abschied zu kredenzen, sondern vor allem darum, dass Matt ihr damit eine Last abnahm. Er wollte nicht, dass sie sich auch noch damit herumschlagen musste, wem sie diese Aufgabe gewissenhaft anvertrauen konnte, ohne zu viel von dieser Person zu verlangen - wie es zweifelsohne bei Jamie oder Ian der Fall gewesen wäre - und obwohl Matt die Vorstellung grauenhaft fand überhaupt darüber nachzudenken, was Madison sich für die Zeit nach ihrem Tod wünschte, stimmte er letztendlich zu. Sein Optimismus war sowieso felsenfester Überzeugung, dass es niemals dazu kommen würde. Madison würde kämpfen und sie würde siegen und dieser schreckliche, unangenehme Druck auf seiner Brust würde über kurz oder lang wieder verschwinden. Daran glaubte er ganz fest. Etwas anderes, an das er glauben konnte, blieb ihm doch auch nicht.
"Okay. In Ordnung. Ich bin mir sicher es wird ein wundervolles Gespräch mit dir durchzusprechen welche Lieder du auf deiner Beerdigung spielen möchtest und wie viele Büsche und Blumen ich samt Wurzeln auspflanzen muss, damit keine Pflanze für dein Ableben stirbt, aber- okay. Ich übernehme diese Dinge für dich." Matt war sich noch nicht sicher, ob sein ironischer Unterton in einer Situation wie dieser angebracht war, aber wann hatte er jemals etwas darauf gegeben taktvoll zu sein? Taktlosigkeit lag ihm so viel besser. "Im Gegenzug krieg ich die gesamte Woche bis Silvester und das Recht alle Reaktionen an dir auszulassen, die ich für richtig halte. Außerdem versprichst du mir, dass du dich auf meine Pläne einlässt und schön alles mit mir durchmachst, was ich unbedingt sehen oder erleben möchte auf dem Weg." Wie bei einem förmlichen Deal hob er eine Hand von ihrem Bein, um sie in Madisons Richtung zu strecken und ihre Vereinbarung durch einen Handschlag zu besiegeln. Genau darauf hatte er auch gewartet, denn noch während ihre Hände gegeneinander gedrückt waren, lehnte er den Kopf ein wenig zur Seite und lächelte dasselbe provokative Lächeln von eben. "Und damit fangen wir heute gleich an. Ich möchte, dass du zu Jamie gehst. Und ich möchte, dass du ihr erzählst, dass du krank bist." Wenn er mit etwas niemals scherzen würde, dann mit dem Wohlergehen von Jamie und er tat das hier gewiss nicht nur deshalb, weil er Madison an ihre Grenzen bringen wollte, vor allem nicht an Heiligabend, aber auch wenn seine ehemalige Frau das anders sah, war er der festen Überzeugung, dass seine kleine Tochter-Schwester mehr brauchen würde, als ein paar Briefe. "Eigentlich bin ich gleich mit ihr verabredet, zum Plätzchen backen und essen, aber ich möchte, dass du stattdessen zu ihr gehst und dass du ihr erzählst, was los ist. Von Angesicht zu Angesicht. Ohne Briefe. Ich weiß, dass du sie schützen willst, Madison, und dass du es nur gut mit ihr meinst, ich weiß auch, dass sie schon unheimlich viel durchmachen musste, aber sie ist kein kleines Kind mehr. Du musst sie vor nichts schützen. Ich finde, dass sie den Respekt und die Aufrichtigkeit von dir verdient hat sich darauf einzustellen, was vielleicht mit dir passiert. Ich weiß, wovon ich spreche, mir wolltest du schließlich auch nichts davon sagen. Das wird hart, auf jeden Fall, aber- sag es ihr. Sprich mit ihr. Tröste sie. Zeig ihr, dass es okay ist und dass du sie liebst. Wenn sie dir sagen will, dass du kämpfen sollst, dann hat sie ein Recht dazu. Hör es dir an. Bitte. Es wäre leichter dich davor zu verschließen, aber der einfache Weg war noch nie dein Weg. In Ordnung? Ich gehe in der Zeit einkaufen, ich besorge ein paar Lebensmittel, ich hol ein paar meiner Sachen, zeichne unsere Ziele in die Straßenkarte ein und dann komm ich am Nachmittag und wir fahren los? Einverstanden?" Mit großen, offenen, erwartungsvollen Augen sah Matt Madison an und zog in weiteres, letztes Mal seine Hand über ihr Schienbein.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
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