RE: MOUNT GLEASON
Matt versuchte wirklich Madison zu verstehen. Er gab alles dafür, während er ihr stumm lauschte, und wartete sehnsüchtig darauf, dass irgendeine Erklärung aus ihrem Mund kam, die für ihn plausibel und nachvollziehbar klang - die ihm ermöglichte hinter ihr zu stehen und ihre Entscheidung vielleicht sogar zu unterstützen, anstatt unaufhörlich darüber nachzudenken wie er sie doch zum Kämpfen und damit auch zum Überleben animieren könnte - aber letztendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als erst sachte und dann immer energischer den Kopf zu schütteln. Das reichte nicht. Das reichte einfach nicht, verdammt. Ja, er kannte seine ehemalige Frau, und ja, ihr Gedankengang war nachvollziehbar, er wusste wie schwer sie sich mit Schwäche tat, aber war das ein Grund einfach aufzugeben? "Nein", hörte sie ihn leise sagen, fast flüsternd, ehe Matt den Blick vom Horizont wieder abwandte und stattdessen in das angespannte, traurige Gesicht von Madison sah. Ganz ruhig und warm. "Das ist vielleicht ein unfairer Gegner in dir, Madison, aber- nicht unbesiegbar." Er hatte in dem Gespräch mit Ian zumindest so viel in Erfahrung bringen können, dass er diese Worte jetzt mit voller Überzeugung sagen konnte. "Und deshalb- nein. Nein, ich verstehe dich nicht, und nein, das reicht mir nicht. Das akzeptiere ich nicht. Ich brauche mehr von dir, als das. Ich weiß nicht, was in den letzten zwei Jahren in deinem Leben passiert ist, Madison, aber- bist du unglücklich? Bist du unzufrieden? Einsam? Bist du ausgeglichen mit dem, was du bist und hast? Tust du genau das, was du tun möchtest? Weil- wenn ich zurückdenke an uns damals, vor deinem Unfall und vor deinem Gedächtnisverlust, an die Frau, die du warst, dann sehe ich in ihr nicht das, was ich jetzt in dir sehe. Meine Madison hätte nicht einfach so kampflos aufgegeben. Meine Madison hätte dem Krebs verdammt nochmal in den Arsch getreten. Das wäre wahrscheinlich die schwierigste, härteste Auseinandersetzung ihres Lebens gewesen, aber sie hätte nicht einfach alles hingeschmissen und sich ihrem Schicksal gefügt. Das hätte sie nicht getan." Oder? Es gelang Matt einfach nicht zu visualisieren, dass seine Frau damals nicht alles versucht hätte, um an dem verrückten, bunten, aber so glücklichen Leben der beiden festzuhalten. Weil er es genauso getan hätte. Lag ihre Resignation also daran, dass es dieses Leben der beiden jetzt nicht mehr gab? Nicht nur ihn an seiner Seite, sondern auch das Haus, Jamie, die Zukunft, die Visionen, die Hoffnungen? Das Gefühl Zuhause zu sein? Angekommen zu sein? Alles, was ihr einst so wichtig gewesen war? Genau das war es nämlich, was Matt so schrecklich beängstigte: Der Gedanke daran, dass er etwas an ihrer Entscheidung hätte ändern können, wenn es ihm nur gelungen wäre ihr damals zu verzeihen. Wenn er vielleicht etwas anders gemacht hätte, früher. Wenn er sie nach ihrem Gedächtnisverlust nicht so überfordert hätte. Wenn er in ebendieser Nacht des Unfalls damals nicht mit ihr aus der Stadt heraus gefahren wäre. Matt war so nicht, das Gefühl der Reue kannte er eigentlich nicht - seiner Meinung nach würde alles irgendwann einen Sinn ergeben -, aber wie könnte er einen Sinn darin finden, dass die Frau, die er so liebte, bald sterben würde? Wie könnte er jemals seinen Frieden damit schließen? Ganz langsam hob er seine Hand, ganz behutsam legte er seine Finger um ihre und drückte sie sachte, warm mit seinen, zog den Daumen zärtlich über die weiche Haut auf ihrem Handrücken, ehe er erneut den Kopf schüttelte. "Ich hab unsere Beziehung immer so gesehen wie du, Madison. Das weißt du auch. Es kam nie darauf an jede Sekunde zusammen zu verbringen, wir mussten nie alles miteinander teilen, wir mussten nicht vierundzwanzig Stunden am Tag aufeinander hängen, aber- wir hatten damals auch immer dieses riesige, ewig lange Konstrukt der Zukunft vor uns. All unsere Pläne. Und irgendwie- waren die auch in den letzten zwei Jahren nie ganz weg, für mich zumindest nicht. Es hat sich falsch angefühlt eine Zukunft ohne dich zu visualisieren, also habe ich einfach in den Tag hinein gelebt und nicht darüber nachgedacht, was in zwanzig Jahren passiert. Oder nächstes Jahr. Nächsten Monat. Nächste Woche. Sogar Übermorgen war für mich immer zu weit vorausgeschaut. Aber ich hab in den zwei Jahren nie ganz mit uns abgeschlossen, Madison, es war immer beruhigend zu wissen, dass es dich irgendwo da draußen gibt und dass es dir gut geht. Und- ich habe einfach eine scheiß Angst davor, was passiert, wenn das nicht mehr so ist. Der Tod ist so endgültig. Also- nein. Nein, ich brauche einen besseren Grund, um deine Entscheidung zu akzeptieren und ich brauche vor allem das Gefühl, dass es nichts gibt, was ich tun könnte, um dich umzustimmen."
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
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