RE: MOUNT GLEASON
Wenn Maddi etwas schwerwiegendes Belastete, dann war sie tatsächlich am liebsten alleine für sich. Dann klärte sie die Situation mit sich und sobald sie im Einklang war, suchte sie die Nähe zu den Menschen, die ihr am Herzen lagen. Um zu vermeiden, dass sie ihren Zwilling am Telefon anlügen müsste, wenn er Heiligabend anrief und sie fragte, wie Weihnachten mit Jamie war, schrieb sie ihm vorbeugend, die Stadt zu verlassen und zu Silvester bei ihm aufzutauchen. Er wusste, wie sie tickte und er wusste auch schon Instinktiv, wenn sie log – das war eben so bei Zwillingen. Sie hielt die Belastung nur nicht aus, sie hielt es nicht aus in Los Angeles zu verweilen und das mit all den Erinnerungen und mit ihrem Wissen. Nicht, dass Maddi nicht noch immer unfassbar Dankbar war, sich wieder an all die schönen Erlebnisse und Abenteuer in dieser Stadt zu erinnern und wie sie – wegen Matt damals – hier her gezogen war aber es erdrückte sie. Es ließ Madison keine Luft zum atmen und egal wie oft Matt darüber gescherzt hatte, zog es sie in die Natur. Zwischen den Bäumen, in den Bergen, da konnte sie sich selbst Treu bleiben und Madison hatte nie ein Problem damit gehabt, alleine zu sein. Sie würde es nicht als einsam bezeichnen, es ging ihr hier nur besser. Matt war der einzige, der in diesen Zeiten von ihr bei ihr sein konnte, ohne das sie sich dabei unwohl gefühlt hatte. Er hatte schon damals, als er in ihr Leben getreten war, das alleine sein nicht verjagt sondern viel eher mit ihr daran teilgenommen, wenn es ihr Wunsch war und er hatte vor allem dann einen Schubs gegeben, wenn sie fast aus den Augen verlor, wieder zurück zu kehren. Trotzdem hatte er auch diesen Brauch immer für sie gelassen – weil er sich nie aus dem Bett bequemt hatte. Ihren Spaziergang zum Mount Gleason um sich dort den Sonnenaufgang anzuschauen, am morgen von Heiligabend. Danach war sie absolut beruhigt und mit dem inneren Frieden wieder zu ihm ins Bett gekrochen und die beiden hatten ihr Weihnachten gefeiert, immer eigen und immer so unfassbar besonders. Auf ihren Reisen hatte sie immer wieder neue Orte erkundet und diesen Brauch für sich weiter geführt, war am Morgen des vierundzwanzigsten Dezember durch die Natur gestreift aber wenn sie schon an diesem Tag hier war, wenn sie schon nicht wusste, wohin mit sich, dann wäre es schön, sich diesen Anblick noch einmal zu ermöglichen. Wer wusste denn schon, ob und wann sie wieder hier her kam? Das war ihre Art sich zu Verabschieden auf einen Weg, vor dem sie doch auch Angst hatte. Madison konnte noch so oft die Krankheit verschweigen, sie konnte noch so oft gegen Ian reden, irgendwas zu tun, was ein Arzt ihr riet, ihre Angst blieb. Das ungute Gefühl, irgendwann nicht mehr das tun zu können, was sie wollte. In ihrem Kopf und in ihrem Herz pochten diese Sorgen und Gedanken dauerhaft, das hieß nur nicht, dass irgendwer daran Teilhaben durfte.
Es hatte jedoch jemand anderes diese Entscheidung abgenommen. Es hatte jemand dafür gesorgt, dass es auf einmal im Unterholz knackte und sie deswegen ihren Blick hob. Mit einer Decke um sich und einer guten Flasche Wein saß Maddi auf einem Baumstumpf, die Beine zum Schneidersitz gekreuzt und wartete auf den Tagesanbruch. Eine Weile war sie schon hier, nachdem sie im Bus ein paar Stunden probiert hatte die Augen zu schließen, war sie irgendwann schon eher los gegangen. Die halb leere Weinflasche verriet es genauso wie die rötlichen Finger, dass leichte Schaudern weil sie sich nach Matt umdrehte und er ihr ansehen konnte, dass seine Exfrau auch ein paar Tränen vergossen hatte. Ihre Augen waren leicht rötlich unterlaufen und glasig, als sie so starr an ihm hingen und das erste, was ihr in den Sinn kam, war so unpassend und beantwortete seine Frage nicht im geringsten. „ Ich werde Ian dafür hauen,... sobald kein Feiertag mehr ist.“ Danach kehrte sie ihm aber nicht den Rücken, sie konnte ihren Blick auch nicht von ihm abwenden. „ Mir fallen mehr Gründe ein, es dir nicht zu sagen, als es dir zu sagen – also habe ich es gelassen.“ Das Empfand sie auch jetzt noch so, er konnte es in ihren Augen sehen, trotz dass sich ihr Blick danach in dem winzigen, hellen Streifen am Himmel verlor. „ Du hast gesagt, du kannst mir noch nicht verzeihen. Das irgendwann alles wieder... hoffentlich wird wie früher, wir wieder Teil des anderen Lebens werden und das wäre es nicht. Ich wollte nicht du denkst, ich bin nur deswegen da, um mich zu Entschuldigen. Oder das du deine Überlegungen überdenkst, weil vielleicht keine Zeit mehr ist. Das fühlt sich falsch an und du weißt das doch auch selbst. Deswegen bin ich so schnell gegangen. Ich will dich nicht belügen und ich will auch kein Mitleid oder eine Standpauke, was man alles machen kann, dagegen... Ian hatte gehofft, du stimmst mich um. Ich weiß das, weil er will, dass ich mich behandeln lasse aber das ist Schwachsinn. Ich möchte das nicht und es ist nicht mehr deine Aufgabe. Selbst wenn – wenn etwas anders zwischen uns wäre... wir wollten so lange zusammen sein, solange es besser gemeinsam ist und das wäre es in ein paar Wochen, Monaten oder in einem Jahr nicht mehr. Vielleicht ist das... alles genau so wie es passieren sollte. Weder dir noch Jamie wollte ich alles unnötig schwer machen. Nein, Jamie weiß es auch nicht – ich wollte ihr Briefe schreiben, ganz viele, über jeden guten und vielleicht weniger guten Tag und es reicht, wenn sie dann traurig ist, wenn es so weit ist aber ich wollte nicht, sie denkt, dass ich sie vergessen hätte.“ Wieso sie alles los wurde? Weil Matt verstehen sollte, dass sie ihre Entscheidungen durchaus alleine und bei vollem Bewusstsein traf. Das es kein Trotz vor, ihm nichts zu sagen, sie hatte darüber nachgedacht und sie hatte sich einiges durch den Kopf gehen lassen, noch bevor sie in Los Angeles angekommen war. Deswegen drehte sie sich danach auch wieder in seine Richtung, auf die Gefahr hin, dass die beiden wieder viel mehr Unsicherheiten und Ängste in den Augen des anderen fanden, als gut für sie war. „ Immerhin hat dich das hier rauf gescheucht, dass ist ja wie ein... unfassbar spätes Weihnachtsgeschenk. Das weiß ich zu würdigen, du bist immerhin ein Murmeltier, dem ich hier oben noch nie Frohe Weihnachten gewünscht habe.“ Als wenn ihn das von all dem Ablenken konnte, was eben aus ihrem Mund gekommen war. Ihr Lächeln war so fern und abwesend, sie konnte sich doch nicht einmal selbst damit Ablenken.
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