RE: JAMIE
Troy hörte Jamie zwar noch immer aufmerksam zu, er betrachtete sie dabei auch einfühlsam, aber konnte am Ende dann doch nichts anderes tun, als ungläubig den Kopf zu schütteln. "Und das ist für dich okay? Du willst dich lieber mit deinen Büchern auseinandersetzen, weil dir dabei nichts Schlimmes passieren kann, als herauszugehen und etwas Spannendes zu erleben? Etwas Großartiges? Das kann doch nicht einfach in Ordnung für dich sein." Nachdem er auch den letzten Schluck aus seiner Bierflasche getrunken hatte, sah er noch einmal langsam um sich und blieb erneut mit dem Blick an ihren vielen Büchern hängen. Ganz in Ruhe las er sich ein paar der Titel durch, es gab viele, die ihm nichts sagten, aber auch ein paar Klassiker dazwischen, die auch er mal gelesen hatte. Und nicht wenige davon erzählten Geschichten von großen Abenteuern, von weltbewegenden Veränderungen, von Emotionen, von Kriegen, von Freundschaften und von Liebe, all das, wovon Jamie sich abkapselte, indem sie hier in ihrem Zimmer blieb. "Weißt du, ich finde es ist vollkommen okay, wenn man eher- introvertiert ist. Wenn man beim Bücherlesen zufriedener ist, als draußen, mit Freunden, beim Feiern oder sonst irgendwo, aber ich bekomme bei dir das Gefühl nicht los, dass du nicht wirklich glücklich bist, mit dem, was du hast und wer du bist. Ist das so? Und wenn ja, warum? Was würde dich glücklich machen, Jamie? Ich bin mir sicher, dass du viel Scheiße erlebt hast-" Nickend deutete er auf ihre Handflächen, ohne genau nachzufragen, worum es dabei überhaupt ging. "Aber was du daraus machst, ist nur deine Entscheidung. Das kannst nur du selber in die Hand nehmen. Die Welt ist nicht grundsätzlich gegen dich und sie wartet auch nicht darauf dich endlich fertig machen zu können. All das, was um dich herum passiert, kannst du beeinflussen." Troy stützte die Arme hinter sich ab, heftete seinen Blick dabei aber noch immer an die junge Frau ihm gegenüber. "Ich hatte echt eine scheiß Kindheit, wirklich. Ich wurde genauso geärgert wie du jetzt und hatte nie jemanden, der für mich eingestanden ist. Als ich zwölf Jahre alt war haben ein paar Idioten mir meine Schuhe und meine Jacke gestohlen und als ich, nur in Socken, auf dem Heimweg nach der Schule über eine Brücke gelaufen bin, hab ich echt darüber nachgedacht, ob ich mich einfach da runter stürze, nur um meiner Mutter nicht sagen zu müssen, dass ich keine Schuhe mehr hab. Und keine Jacke. Ich war gerade erst zwölf Jahre alt und ich habe tatsächlich darüber nachgedacht mir das Leben zu nehmen, weil ich zu dem Zeitpunkt nicht verstanden habe, dass ich nicht schwächer bin, als die. Ich bin nicht dümmer, als die anderen Jungs. Ich hab es nicht weniger verdient zu leben, genauso wenig wie du. Es fühlt sich schnell so an als wäre man irgendwie falsch, wenn man von so vielen Seiten auf Ablehnung und auf Hass stößt, ich kenne das, aber du bist nicht das, was andere aus dir machen wollen. Du bist besser. Und wenn ich dir einen Rat geben kann: Versuch das Gute in dir zu finden, anstatt dich im Selbstmitleid zu suhlen und zu bedauern, dass du so sozial inkompatibel und schüchtern und langweilig bist. Das bist du nämlich nicht. Das ist nur das, was andere in dir sehen wollen. Und du glaubst ihnen einfach." Er wollte ihr damit nicht vor den Kopf stoßen, deshalb wirkte sein Blick auch noch immer so verständnisvoll und warm, aber Troy schüttelte dennoch langsam den Kopf, ehe er ihre Fragen schulterzuckend beantwortete. "Ich glaube ich war dreizehn oder vierzehn, als ich meine Freunde kennen gelernt habe, da hat sich dann vieles für mich verändert. In der Schule war ich zwar immer noch allein, die anderen waren alle etwas älter als ich, aber ich hatte ein ganz neues Selbstwertgefühl und wenn jemand versucht hat mir meine Schuhe zu klauen, dann brauchte ich irgendwann niemanden mehr, der für mich einsteht, sondern habe das einfach selber getan. Und das kannst du auch. Das Verhältnis zu meiner Mutter ist dadurch auch schwieriger geworden, weil ich irgendwann einfach nicht mehr ihr Sündenbock sein wollte, aber Eltern sind auch nur Menschen. Wenn sie dich nicht so behandeln wie du es verdienst, dann haben sie nichts in deinem Leben zu suchen, also nein, besonders viel Kontakt habe ich zu meiner Ma nicht mehr. Ich seh sie mal alle paar Wochen, um zu schauen, ob sie noch lebt oder schon in ihrer Wohnung verrottet."
TROY CHAMBERS # 25 YEARS OLD # ARYAN BROTHERHOOD
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