RE: KRANKENHAUS
All die Aufgaben, die Zac als Vater bei der Geburt übernehmen sollte, erledigte er trotz des ständigen Gefühls der Überforderung genau so wie seine Verlobte es von ihm brauchte. Wenn Ava seine Hand so fest drückte als würde ihr Leben davon abhängen, hielt er das nicht nur aus, sondern übte auch selber Druck auf ihre Finger aus. Er zeigte und sagte ihr durchgehend, dass er für sie da war. Er beruhigte sie, wenn sie panisch wurde, und motivierte sie, wenn sie kurz davor stand aufzugeben. Er litt mit ihr, er weinte mit ihr und als die gemeinsame Tochter nach zehrend langen schmerzhaften Stunden endlich geboren war, da freute er sich genauso wie ihre Mutter - da begann sein Herz auf einmal zu rasen, als er den kleinen Körper in den Armen der Hebamme erkannte - doch so wie bei Ava, hielt das auch bei Zac nur für einen viel zu kurzen Moment, ehe sich auf einmal die Dame von dem Paar abwandte und sein Blick sich dadurch veränderte. Warum legte man das kleine Mädchen nicht in die Arme seiner Verlobten? Warum schrie seine Tochter nicht nicht? Warum brachte man sie von ihnen weg und warum folgten gleich mehrere Leute, um das neugeborene Baby zu untersuchen? Zac war auf diesen Moment noch viel unvorbereiteter, als Ava. Er hatte in den letzten Tagen keine Gespräche mit den Ärzten führen können, er wusste nicht, was er zu erwarten und zu befürchten hatte. Ängste kamen auf einmal in ihm hoch, bei denen er sich nicht sicher sein konnte, ob sie berechtigt waren oder nicht, und obwohl die Hebamme in ruhigen, professionellen Worten noch einmal für das junge Paar erklärte, dass die Tochter von ihnen zu ein paar Untersuchungen gebracht und dann in einen Brustkasten gelegt werden würde, verstand er in diesem Moment trotzdem nicht, ob die Situation tatsächlich so gefährlich war wie sie klang. Nur aus Instinkt griff er schon wieder fest nach Avas Hand und versuchte beruhigend auf sie einzureden, aber in sich spürte er genau dieselbe Panik wie sie, genau dieselben Ängste, die Unsicherheit und die Hilflosigkeit. Es fühlte sich so an als hätten die beiden versagt, als Eltern, und als man Zac dann auch noch vor die Tür schob, weil der Pulsschlag seiner Verlobten sich einfach nicht beruhigen wollte, verlor er auf einmal all seine Kräfte. Er hatte sich noch nie zuvor so machtlos und ausgeliefert gefühlt wie in diesem Moment, als er gegenüber des Zimmers auf einen der Stühle sackte und den Oberkörper so weit nach vorne lehnte, dass sein Gesicht beinah seine Knie berührte. Nicht einmal nach schrecklichen Kämpfen, mit malträtierten, bewegungsunfähigen Gliedern, unzähligen Verletzungen und Prellungen, war sein Körper so erschöpft gewesen und obwohl eine Krankenschwester neben ihm Platz nahm und versuchte ihm in Ruhe zu erklären, was medizinisch mit Ava und mit der gemeinsamen Tochter geschah, brauchte er einfach diesen Moment, um wieder Kraft zu fassen. Er brauchte einen Moment, in dem er kurz vor den Tränen stand, in dem er all die Anspannung fallen lassen und selber verzweifeln konnte, bevor er sich langsam nickend wieder aufrichtete und die Rolle einnahm, die nicht nur andere, sondern auch sehr selber von sich erwartete: Die des starken, liebenden Vaters und des aufopferungsvollen, hilfsbereiten Verlobten. Das war jetzt seine Aufgabe, das musste er tun, während seine Tochter und seine Freundin um ihr Leben kämpften und wenn er das nicht schaffen würde, dann wäre er für den Job als Vater völlig ungeeignet.
Dennoch wirkte es eher mechanisch, als man ihn kurz darauf zu dem Raum brachte, in dem seine Tochter mit einigen anderen zu früh geborenen Babys nun erst einmal leben sollte, und auch, dass man ihm erklärte seinem Kind ging es den Umständen entsprechend gut, sie wies keine Anzeichen für Krankheiten auf, bekam er noch gar nicht recht mit. Er stand zu neben sich, sein Körper funktionierte noch nicht richtig, sein Kopf wechselte vor Sorge zwischen Ava und seiner Tochter, so lange, bis man ihn direkt an den gläsernen Kasten brachte und bis er dort zum ersten Mal in das wunderschöne, makellose, absolut perfekte Gesicht von seinem kleinen Mädchen sehen konnte. Wie bei jedem Frühgeborenen wirkte ihr Körper zu klein für den größer gewachsenen Kopf, ihre Brust zu breit für die winzigen Beine, aber Zac sah das alles gar nicht. Er sah nur dieses wunderschöne Kind, sein Kind, das in dieser Welt - und vor allem in diesem Kasten - unfassbar verloren wirkte. Er wollte seine Tochter so gerne in den Arm schließen, er wollte ihre Haut berühren und ihr sagen wie sehr er sie liebte, wie sehr auch ihre Mutter sie liebte, aber abgesehen davon, dass die Berührungen erst einmal ausschließlich mit dafür vorgesehenen Handschuhen stattfinden durften, war er in diesem Moment von seinen Emotionen auch so überwältigt, dass er kein Wort herausbrachte. Er hatte dieses kleine, unschuldige Lebewesen dort erschaffen, gemeinsam mit Ava. Sie hatten es auf diese Welt gebracht, in ihnen lag die Verantwortung für das Kind und in seinem Baby lag die Verantwortung für die Zukunft. Wie wäre sie wohl, wenn sie älter wurde? Welche Musik würde sie dann wohl hören? Wäre sie vernünftig? Oder rebellisch? Und, wichtiger als alles andere, wäre sie glücklich? Würde seine Tochter zu einer glücklichen jungen Frau heranwachsen? Zac würde alles dafür tun. Er würde alles daran setzen, dass dieses kleine Kind dort niemals an der Liebe seiner Eltern zweifeln müsste, dass es eine starke Familie hatte, die es in allem unterstützte, was es tun und sein wollte. Nichts war wichtiger, als das. Nichts war wichtiger, als seine kleine Tochter vor ihm, die sich hilflos bewegte, so als passe sie hier nicht hin. Als wolle sie viel lieber dorthin zurück, wo sie hergekommen war. Weich und warm war es dort und obwohl die Decke und dieser Brustkasten dasselbe Gefühl symbolisieren sollten, war es dennoch nicht dasselbe. Und auch die Hände ihres Vaters, die er jetzt ganz vorsichtig durch die Handschuhe in den Kasten schob und damit behutsam das kleine Kind berührte, waren nicht so schön wie der Bauch seiner Mutter. Schöner aber, als diese simple Decke. Und während Zac ganz langsam, ganz sachte seine Finger über die kleinen, rötlichen Wangen seiner Tochter zog, als er behutsam ihre winzigen Arme und den kleinen Bauch berührte, da glaubte er fast sein Baby würde sich ein wenig an ihn schmiegen.
Er war so gerührt, so überwältigt von seinen Gefühlen und dem Glück, das er gerade empfand, dass er die Zeit völlig vergaß, in der er hier stand, immer wieder zärtlich über die Haut seiner Tochter streichelte und leise mit ihr redete, ehe eine Krankenschwester auf ihn zukam, um ihn über Avas Zustand zu informieren. Sie sei gerade stabil, ihre Verfassung wäre aber noch immer kritisch und es würde mit Sicherheit noch etwas dauern, bis er zu ihr gehen könnte. Man wies ihm den Weg zur Cafeteria und bot ihm an in einem der Wartezimmer wieder Platz zu nehmen, dem gemeinsamen Kind würde ein wenig Schlaf und Ruhe sicher auch ganz gut tun, aber es fühlte sich völlig falsch an seine Tochter hier zurückzulassen. Er würde am liebsten nie wieder den Blick von ihr abwenden und für immer in ihrer Nähe bleiben, aber nach einer weiteren Viertelstunde zog er dann doch langsam, müde seine Hand aus dem Brutkasten und ließ schweren Herzens das kleine Kind dort zurück, während er langsam durch die Flure schlich, hin- und hergerissen zwischen der Angst um Ava und dem puren Glücksgefühl, das er empfand, wenn er an seine Tochter dachte. In den folgenden Stunden ging er noch mehrmals zu ihr - manchmal blieb er auch einfach nur vor dem Fenster zum Raum stehen und beobachtete sie lange -, er erkundigte sich regelmäßig voller Sorge nach Avas Zustand, er trank mindestens drei Tassen Tee, kontaktierte ein paar Freunde und Verwandte, unter anderem auch Lahja, und verbrachte verdammt viel Zeit damit angespannt auf einem der Stühle zu sitzen und einfach darauf zu warten, dass sich etwas tat. Erst als man ihm sagte, dass sich der Blutdruck seiner Verlobten gänzlich beruhigt hatte und dass er nun zu ihr gehen könnte, ließ diese Spannung endlich von ihm ab - es fühlte sich so an als könnte er nach einer Ewigkeit wieder frei atmen - und folgte dem Krankenpfleger bereitwillig zu Avas Zimmer, in das er, trotz der Erschöpfung aller, mit einem breiten, glücklichen, überwältigten Lächeln hinein ging, um ihre Hand direkt sanft, fest in seine zu schließen. "Sie ist perfekt, Ava. Sie ist- wunderschön. Ich hab ihr gesagt wie sehr wir sie lieben und dass wir- so froh sind sie bei uns zu haben." Zacs Stimme war ganz leise, nur ein Flüstern, während er seine andere Hand hob, um liebevoll, zärtlich über die Wange seiner Verlobten zu streicheln. "Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Haben die Ärzte dir schon irgendwas gesagt? Ob und wann du hier raus kannst? Ich kann einen Rollstuhl besorgen, wenn das geht, und dann bring ich dich zu ihr. Du musst sie sehen, sie wird- diese Welt verändern. Das wird sie wirklich."
ZACHARY WILLIAM COLES # 28 YEARS OLD # STRAIGHT EDGE
![[Bild: zac04.png]](https://i.postimg.cc/tgR61mn8/zac04.png)
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