RE: KRANKENHAUS
Das Schlimmste war für Zac zweifellos die Unsicherheit. Er verstand, weshalb Ava wütend auf ihn war, warum sie nicht mit ihm reden, ihn nicht sehen wollte, und er verstand auch, weshalb sie ihn von der gemeinsamen Tochter fern hielt. Er verstand die Ängste, die ihr jetzt durch den Kopf gehen müssten, denn dieses Umfeld, in dem er sich dort aufgehalten hatte - diese animalischen Kämpfe, die brüllenden Zuschauer - das war ein Ort, an dem er selber sein Kind niemals sehen wollte. Er würde die Kleine nie dorthin mitnehmen, er würde ihr nie jemanden vorstellen, den er daher kannte, und er wollte auch diesen Teil seines Lebens nie mit ihr teilen. Zac war bewusst, dass Ava ihn nicht ignorierte, um ihn zu strafen oder um ihre Wut auf die Art auszuleben, sie ignorierte ihn, weil ihr Instinkt gar nichts anderes zuließ, als Gefahr von ihrer Tochter fernzuhalten. Und ob er wollte oder nicht, genau das symbolisierte er gerade für seine Verlobte. Sie hatte ihn dort gesehen, im Keller, mit gespannten Muskeln, blutüberströmt, verschwitzt, auf einen fremden Mann einprügelnd. Sie war Zeuge von einem Teil seines Lebens geworden, den er selber mehr als alles andere hasste. Er akzeptierte zwar mittlerweile, dass diese Zerstörungswut in ihm steckte, aber seit Jahren versuchte er doch schon dagegen zu arbeiten, er versuchte Alternativen zu finden, sich anderweitig auszulasten, aber manchmal- manchmal funktionierte das nicht wie erhofft. Manchmal blieb ihm keine andere Wahl, als das alles aus sich herauszulassen. Manchmal konnte er einfach nicht anders. Diese Kämpfe waren kein Hobby von ihm, er tat das nicht aus Spaß oder weil es ihm gefiel, sondern weil es einfach nicht anders ging. Wenn er vermeiden wollte erneut zu einer tickenden Zeitbombe zu werden, wie damals als Jugendlicher, dann brauchte er das. Dann musste er das tun. Und vielleicht, ja, vielleicht hätte Zac das alles schon viel eher mit Ava teilen müssen. Vielleicht hätte er sich nicht blind darauf verlassen dürfen, dass sie sein Leben besser machen konnte und dass er mit ihr an seiner Seite nie wieder an die Grenzen seiner Belastbarkeit kommen würde. Damals, bei dem gemeinsamen Kennenlernen, hatte er zwar mit ihr geteilt, dass es diese Seite in ihm gab, er hatte auch versucht es ihr zu erklären, aber Zac konnte sich selber auch nichts vormachen: Er war so verliebt in Ava gewesen und wahrscheinlich hatte er, aus Angst sie zu verlieren, die Wirklichkeit herunter gespielt. Körperliche Gewalt beängstigte sie, er wusste das, und deshalb hatte er nie ausgeführt wie brutal diese Kämpfe tatsächlich waren oder ihr detailliert von seiner Vergangenheit berichtet. Nicht so, wie er es hätte tun müssen, um sie auf das vorzubereiten, was Ava vor ein paar Tagen gesehen hatte, in diesem dunklen, stickigen Kellerraum. Die schreienden Männer, die Brutalität, die Härte, das Blut, das würde sie noch nachhaltig schockieren und Zac konnte ihr nicht einmal einen Vorwurf daraus machen. Er war Schuld daran, dass er jeden Abend alleine in der gemeinsamen Wohnung saß, während seine Verlobte darum kämpfte ihr Kind am Leben und in ihrem Bauch zu erhalten, ohne seine Hilfe anzunehmen. Das hatte er sich selber zuzuschreiben und das Schlimmste daran war, dass er nicht einmal etwas tun konnte, um diesem Stress entgegen zu wirken. Sein Körper war noch immer viel zu geschwächt von dem Kampf, seine Prellungen schmerzten bei jeder Bewegung, er brauchte jetzt Ruhe, er musste sich selber die Chance geben wieder zu heilen, und das verhinderte auch, dass er - wie sonst immer - die Belastung beim Training abbauen konnte. Stattdessen war er allein, unruhig und das, verbunden mit der Ablehnung seiner Verlobten und den ständigen Ängsten, erschöpfte ihn so sehr, dass man die Müdigkeit deutlich in seiner Stimme hören konnte, als er an diesem späten Abend den Hörer abnahm, ohne darauf vorbereitet zu sein, was ihn dort in der Leitung erwartete. Ava. Das Kind, seine Tochter. Sie kam zur Welt. Jetzt. Noch bevor er recht realisieren konnte, was hier gerade geschah, hatte seine Verlobte das Telefonat schon wieder unterbrochen, aber aus Instinkt griff er augenblicklich, so schnell er konnte nach seiner Jacke und seinen Schuhen. Es war aber doch noch nicht so weit, verdammt. Ihr Kind war doch gerade erst sieben Monate alt, es durfte noch nicht auf die Welt kommen. Oder? Durfte es das? Hatte Ava in den letzten Tagen schon gewusst, dass es dazu kommen würde? Hatte sie sich auf eine Frühgeburt vorbereitet? Und die Ärzte? Wie standen die Chancen für so ein junges Baby? Konnte es überleben? Würde es Schäden davon tragen? Wenn ja, was dann? Was, wenn seine Tochter nie ganz gesund werden würde, wegen dem Stress, für den Zac verantwortlich war? Was, wenn etwas schief ging? Würde etwas schief gehen? Wie standen die Chancen? Er fühlte sich so uninformiert, so gänzlich hilfslos, versuchte sich im Kopf an all die Bücher zu erinnern, die er gelesen hatte, und aus seinem Gedächtnis die prozentualen Studien herauszufischen, die sich mit Frühgeburten beschäftigten, aber da war nichts. Zac konnte keinen klaren Gedanken fassen, er stand völlig neben sich, Ängste breiteten sich in ihm aus, Sorgen drückten ihm so schwer auf die Brust, dass er im Taxi, auf dem Weg zum Krankenhaus, kaum Luft bekam. Und das sollte sich auch nurmehr verstärken, als er so schnell wie er konnte durch die Flure des Krankenhauses rannte und atemlos in das Zimmer von Ava stürzte. "Nein nein nein nein nein", wiederholte er in Endlosschleife, immer wieder, während er mitansehen musste wie sie sich unter Schmerzen krümmte. "Es ist noch- zu früh. Es ist doch noch- viel zu früh." Und trotzdem tat er aus Instinkt genau das, was seine Verlobte jetzt brauchte, indem er auf das Bett zuging und ihre verkrampften Finger so fest in seine Hand schloss wie er konnte. "Ich bin da. Ich bin da. Es tut mir so Leid, Ava, es-- HILFE! WIR BRAUCHEN HILFE HIER DRIN! -- Es tut mir Leid, ich bin hier." Seine andere, bebende Hand legte er auf ihren Kopf, streichelte so sanft durch ihre verschwitzten Haare, als hätte diese andere, brutale Version von ihm nie gegeben. "Du schaffst das, okay? Wir schaffen das. Es tut mir so Leid."
ZACHARY WILLIAM COLES # 28 YEARS OLD # STRAIGHT EDGE
![[Bild: zac04.png]](https://i.postimg.cc/tgR61mn8/zac04.png)
|