RE: FAMILIE SMIRNOW
Noah war von dem Schmerz noch immer so weggetreten, dass er gar nicht recht realisierte wie ihm geschah, sondern einfach schweigend, wortlos den Anweisungen von Bex folgte, sich auf ihren Körper stützte und auch ihre Hilfe annahm, als sie versuchte ihn ins Taxi zu verfrachten. Immer wieder sog er bei einer falschen Bewegung scharf die Luft in seine Lungen, hustete oder keuchte leise und mindestens ebenso oft drückte er entweder das schnell gerötete Taschentuch oder sein T-Shirt gegen die Nase, weil die Blutung einfach nicht stoppen wollte. Er war so sehr mit sich selber und mit seinem lädierten Körper beschäftigt, dass er erst auf dem Weg durch den kleinen Garten langsam verstand, was das hier bedeutete, und dann nur noch mehr, als er in das Haus von Bex und ihrer Familie eintrat. Noah fühlte sich oft nicht wohl im Umkreis von einer gut funktionierenden, traditionellen Familie, diese tiefe emotionale Verbindung schüchterte ihn ein und das merkte man jetzt auch, indem er noch stiller und unsicherer wurde als üblich. Er hatte gerne viele Menschen um sich, das wusste jeder, der ihn kannte, aber den Kreis einer harmonischen Familie zu betreten, ließ ihn oft unheimlich einsam fühlen. Einerseits, weil er diese grenzenlose Liebe selber nie erfahren durfte, und andererseits auch, weil man als Fremder immer außerhalb des Kreises blieb. Das war einfach so. In eine Familie wurden nicht einfach neue Leute aufgenommen wie in eine Freundschaft. Hier allerdings, in Obhut von Bex Mutter, fühlte sich die Grenze auf einmal schwammiger an als sonst, denn obwohl er die Frau mit ihrem starken Akzent manchmal kaum verstand, ging sie von Anfang an unheimlich herzlich und liebenswert mit ihm um. So oft wie sie nach seinem Wohlergehen fragte und wie sie ihn bedauerte, fühlte er sich bei ihr besser aufgehoben, als in seiner eigenen Familie und irgendwann gelang es ihm auch sich langsam wieder zu entspannen. Nicht unwesentlich deshalb, weil diese Frau ihm durchgehend gut zuredete und fachmännisch seine Verletzungen verarztete. Ein paar Salben und Medikamente sollten gegen Schmerzen und Schwellungen helfen und in die Nase schob sie ihm ein Objekt aus fester Watte, das nicht so schnell durchbluten würde wie ein Taschentuch. Als sie den Raum verließ, um in der Kleidung ihres Mannes ein neues Oberteil für Noah zu suchen, war Noah endlich wieder so zur Ruhe gekommen, dass er Bex ansehen und dabei sogar schwach lächeln konnte. "Danke, das ist- wirklich nett von dir und deiner Mutter. Meinst du- meinst du du kriegst Ärger? Wegen allem? Du hast mal gesagt deine Eltern sind- relativ streng, oder?" Er dämpfte seine Stimme dabei natürlich, damit die Mutter von Bex ihn durch die dünnen Wände hindurch nicht verstand. "Und- bist du okay? Wegen Joker? Gehts dir- gehts dir okay?"
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