RE: AIDEN # LUCY
Alles, was Lucy mir entgegen warf, war so absurd, dass ich irgendwann gar nicht anders konnte, als meine Augen für einen Moment zu schließen, den Kopf ein wenig in den Nacken zu lehnen und fest die Kiefer aufeinander zu pressen, in der Hoffnung, dass das alles gerade nicht wirklich geschah. Dass ich jeden Moment aus einem Traum aufwachen würde. Obwohl es mich frustrierte, konnte ich verstehen, dass sie Probleme hatte ihre eigenen Gefühle für mich zu definieren, aber jetzt auch noch an meinen Gefühlen zu zweifeln? In Erwägung zu ziehen, dass es für mich so einfach wäre alles stehen und liegen zu lassen und mir stattdessen eine Frau zu suchen, die weniger vorbelastet war, als sie? Sie war doch Schuld daran, dass ich sie so liebte. Mit ihrer ganz anderen Art, ihrer Sicht auf die Welt, mit diesen dunklen Augen, denen ich nicht widerstehen konnte. Ich hatte es nie darauf angelegt mich in jemanden so zu verlieben, bis Lucy einfach in mein Leben gekommen war und alles auf den Kopf gestellt hatte. Ich konnte nicht anders, als ihr zu helfen und wochenlang jede Nacht aufs Neue zu akzeptieren, dass ihr Vertrauen in mich kaum noch existent war. Darauf zu hoffen, dass es im Laufe der Zeit zurückkehren würde. Wenn ich ihr nur lang genug zeigte, dass es nichts gab, wovor sie sich fürchten musste. Dass ich nichts mit Chris gemein hatte.
Auch Lucys Tränen, ihre Wut und ihre Verzweiflung änderten nichts daran, dass ich ihr noch immer ablehnend gegenüber stand und dabei versuchte in mir selber neuen Mut zu finden, um auch diesen Konflikt zu überstehen. Obwohl ich gerade nichts lieber tun wollte, als einfach ein wenig Zeit für mich zu haben, fühlte sich selbst das nicht richtig an. Weil jede Minute ohne sie eine verdammte Qual war. Weil ich keine Ruhe bekam, wenn ich sie nicht in meiner Nähe wusste. Genau dem sollte ich aber viel schneller ausgesetzt werden als ich dachte, denn völlig unerwartet mischte sich ein anderer Mann ein, berührte Lucys Schulter von hinten und löste damit etwas in ihr aus, das ihr den Rest gab. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie sie sich einfach umdrehte und davon lief, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Doch als ich dann verstand und ihr folgen wollte, wurde ich von eben diesem Mann aufgehalten, der mir unmissverständlich klar machte, dass er glaubte ich wäre eine Bedrohung für die Frau. Gerade ich. Wütend stieß ich seine Hände zur Seite, warf ihm an den Kopf, dass er absolut keine Ahnung hatte, worum es ging, aber als ich es gerade geschafft hatte mich an ihm vorbei zu drängen und ein Stück die Straße herunter zu laufen, war Lucy schon in der Dunkelheit verschwunden und ich damit völlig ohne Anhaltspunkt, wo sie sein könnte. Mehrmals fluchte ich laut, gnadenlos machte sich wieder die besagte Unruhe und Nervosität in mir breit, aber gleichzeitig war ich von der ganzen Situation auch so frustriert, dass ich völlig auf Desinteresse stellte. So als wäre mir mein Stolz wichtiger als ihre Sicherheit, ging ich zurück in die Kneipe, nahm mir die Zeit, die ich doch eigentlich gerade gewollt hatte, aber bereits beim zweiten Bier gab ich nach. Ich war angespannt, gereizt. Jeder, der mir nur schief ansah, bekam einen bösen Blick zurück oder einen dummen Kommentar an den Kopf geworfen. Ich konnte mich absolut nicht entspannen, wenn ich nicht wusste, ob es Lucy gut ging, deshalb warf ich auch früher als gedacht einen weiteren Geldschein auf die Theke und verließ die Bar, um den Heimweg einzuschlagen. Auf dem Weg dorthin versuchte ich bereits drei Mal bei Lucy anzurufen, aber erfolglos. Ich konnte nur für sie hoffen, dass sie bereits im Bett lag und deshalb nicht auf mich reagierte, aber als ich mit schwer schlagendem Herzen die Wohnungstür aufschloss, bestätigten sich meine schlimmsten Ängste. Sie war nicht da. Keine Spur von ihr. Der Druck auf meiner Brust wurde immer unangenehmer, mein Herz schlug immer schneller, meine Hände zitterten sogar, als ich erneut das Handy aus meiner Hosentasche holte und versuchte sie zu erreichen. Mehrmals. Bestimmt zehn oder zwanzig Mal. Zwischendurch schrieb ich ihr genauso viele Nachrichten, dass sie sich melden sollte, dass ich mir Sorgen machte und dass sie mir sagen sollte, wo sie war, aber es kam nichts zurück. Eine geschlagene Stunde ging ich in der Wohnung auf und ab, völlig überfordert von meinen eigenen Emotionen, aber dann war ich so gereizt, dass ich genau das tat, was ich noch versucht hatte zu verhindern. Erst nahm ich vor Wut und Verzweiflung die halbe Wohnung auseinander, weil ich unbedingt ein anderes Ventil finden musste, als die Drogen. Ein Stuhl landete krachend auf dem Boden, sogar ein Glas warf ich so hart gegen die Wand, dass es in tausend Teile zersprang, aber irgendwann konnte selbst das mich nicht mehr beschäftigen. Es war, als setzte mein Kopf auf einmal völlig aus. Von einem Moment auf den nächsten fiel jegliche Stärke von mir ab und ich konnte nichts anderes mehr tun, als meinen Trieben und diesem drängenden Verlangen nachzugeben, das mich direkt in einen elektronischen Untergrund-Club führte, den ich auch schon vor vielen Monaten mit Lucy besucht hatte. Während dieser eskalativen Phase von uns beiden. Bevor Chris sie völlig zerstören konnte. Mit wachem Blick sah ich um mich, sprach ein paar Leute an, bis ich jemanden fand, dem ich in Richtung der Toiletten folgte und ihm ein kleines Röhrchen mit Kokain abnahm. Die Erlösung, die mein Körper so dringend benötigte und vermutlich das Einzige, was mir jetzt helfen konnte. Eine unfassbar schwere Last fiel mir von den Schultern, als ich damit in einer Kabine verschwand und mir das gelblich-weiße Pulver in die Nase zog, das sich langsam in meinem Körper ausbreitete. Ich fühlte mich stärker als zuvor, selbstbewusster. Nach und nach rückte die Sorge um Lucy in den Hintergrund, nur noch ich selber existierte. Die dröhnenden Bässe taten letztendlich ihr Übriges, als ich wieder in den Club hinein ging. Ich ließ mich einfach von dieser Euphorie mitreißen, von den Glückshormonen, die sich in mir ausbreiteten. Mein Herz raste, aber diesmal auf eine gute Art. Fast schon mächtig. So lange wie möglich hielt ich an diesem Gefühl fest, legte mir immer wieder nach, bis das Röhrchen leer war. Als die Musik abgestellt wurde, war es bereits hell draußen, mein Handy hatte ich seit Stunden nicht mehr angerührt, aber als ich mich in ein Taxi setzte, um nach Hause zu fahren, sah man auf der Anzeige, dass es bereits kurz nach 11 Uhr am Morgen war. Physisch war mein Körper vollkommen ausgelaugt, von dem ganzen Stress der vergangenen Nacht und der pausenlosen Bewegung zur Musik, aber das Kokain vibrierte noch immer in mir. Wie ein Irrer zwinkerte ich ständig mit den Augen, wackelte unaufhörlich mit meinem Bein, während ich dort auf dem Rücksitz des Taxis saß. Aber der Konsum machte mich auch so gleichgültig für alles, das um mich herum geschah, dass ich nicht einmal einen Gedanken an Lucys Reaktion verschwendete, als ich am Zielort ausstieg, die Treppen zu unserer Wohnung nach oben ging und dort die Tür aufschloss. Ich sah sie dort, mitten im Raum, blickte ihr auch kurz in die Augen, aber schob mir kommentarlos die Schuhe von den Füßen und sagte nicht einmal ein Wort zu ihr.
AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE
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