RE: TIERHEIM
Für ein paar wenige Sekunden blieb Noah erschrocken vor der Tür stehen, zog sich die Finger durch die Haare, schüttelte den Kopf, aber dann wurde der unangenehme Druck in seiner Brust und der Kloß in seinem Hals zu schmerzhaft, als dass er es noch länger an diesem Ort aushalten konnte. Er hatte Bex doch gesagt, dass er sie mochte. Mehr als eine Freundin. Sie wusste es und trotzdem tat sie ihm das hier an? Warum? Woher kam das auf einmal? Hatte sie sich gemeinsam mit Joker gegen ihn verschworen oder was sollte das? Er hatte so viele Fragen in seinem Kopf, so viele Dinge, die er nicht verstand, aber trotzdem konnte er nichts anderes tun, als sich eiligen Schrittes von dem Gebäude zu entfernen, weil er viel zu viel Angst vor den Antworten hatte. Wie dumm er war. Am allermeisten ärgerte er sich über sich selber, darüber dass er Bex vertraut hatte, dass er sich schon wieder in jemanden verlieben musste, die kein Interesse an ihm hatte, und darüber, dass er es wirklich zuließ dieses eklige Gefühl der Eifersucht wieder zu spüren. Eigentlich hatte er das aus seinem Leben verbannt, eigentlich war das doch ein wichtiger Teil dieser offenen Liebe, die er zelebrierte: Dass jeder die Freiheit hatte zu tun, was sich richtig anfühlte. Und eigentlich, eigentlich war das auch so, aber auch schon bei Lahja hatte es da eine Ausnahme gegeben, gegen die er sich nicht wehren konnte: Er hasste es, wenn jemand, den er mochte, sich in destruktive Hände begab. Bei Lahja waren es die schnelllebigen Affären auf der Tour - Männer, die sie gar nicht richtig wertschätzten und respektierten - und bei Bex war es eben Joker. Allein die Vorstellung machte ihn wütend und er verzweifelte daran, dass er nichts dagegen tun konnte wie sich auch jetzt seine Kehle zu schnürte, als er plötzlich eine Hand an seiner Schulter spürte und zum Stehenbleiben gezwungen wurde. Vorher war er so in seinen eigenen Gedanken gewesen, dass er Bex gar nicht bemerkt hatte, doch als er sie jetzt direkt vor sich sah, wich er automatisch einen Schritt zurück, mit angespanntem, erbostem Gesicht und fest aufeinander gepressten Kiefern. Eigentlich glaubte er es gäbe nichts, was er ihr im Moment sagen wollte, eigentlich wollte er nur schnell weg, aber als sie atemlos aussprach, dass sie nichts von dem Treffen gewusst hatte, stockte er auf einmal. Hatte sie nicht? Joker hatte das in die Wege geleitet? Noahs Blick glitt kurz an Bex vorbei, auf ihren Freund, der mit deutlichem Abstand langsam folgte, mit der Schallplatte in der Hand, aber er glaubte in seinem Gesicht deutlich zu erkennen, dass das alles hier genau nach seinem Plan gelaufen war. Er hatte das genau so inszeniert, doch anstatt das Bex das auch erkannte, nahm sie ihren Freund auch noch in Schutz. Sie verteidigte eine Beziehung, die auf Lügen und Misstrauen errichtet war, und kritisierte im selben Atemzug die Art von Liebe, die Noah lebte? Bitte was? "Du kannst das nicht Ernst nehmen? Was willst du mir damit sagen, Bex? Willst du mir damit sagen, dass meine Gefühle weniger wert sind - oder weniger echt sind - weil ich sie nicht mehr nur gezwungenermaßen auf eine Person zentriere? Ist es das? Willst du mir gerade wirklich sagen, dass das, was Joker dir geben kann, ehrlicher ist, als das, was ich dir geben könnte?" Fassungslos starrte er in ihr schönes Gesicht, schüttelte noch einmal schwach den Kopf und wich automatisch einen weiteren Schritt zurück. "Es geht mich nichts an, was du tust und mit wem du zusammen bist, ich weiß. Ich sollte mich da nicht einmischen. Und ich weiß auch, dass das hier- kein Wettkampf zwischen mir und ihm ist. Wir sind nicht automatisch zusammen, wenn du dich von Joker trennst, aber- Scheiße, Bex, ist es dein Ernst, dass du mich und meine Gefühle infrage stellst, aber gleichzeitig mit offenen Armen zu jemandem wie ihm zurück rennst? Du kannst ihm doch nicht wirklich glauben, dass er gerade einfach die Zeit vergessen hat, oder?" Das war so absurd, dass Noah erneut hilfslos den Kopf schütteln musste. "Die Überraschung ist ihm gelungen. Herzlichen Glückwunsch."
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